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Überraschungen bei Brandprozess

Ein Kriebethaler steht wegen fahrlässiger Brandstiftung vor dem Döbelner Amtsgericht. In der Beweisaufnahme zeigen sich noch andere Details.

Von Dirk Westphal
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In der Nacht zum 30. März 2017 brannte in Frankenberg die Firma „Color Textil“ nieder. Am Montag musste sich der Technische Leiter vor dem Amtsgericht in Döbeln verantworten.
In der Nacht zum 30. März 2017 brannte in Frankenberg die Firma „Color Textil“ nieder. Am Montag musste sich der Technische Leiter vor dem Amtsgericht in Döbeln verantworten. © Archiv/Harry Härtel

Döbeln/Frankenberg. Die Anspannung ist einem 37-jährigen Kriebethaler deutlich anzumerken. Schon im Jahr 2018 brach für ihn eine Welt zusammen. Für einen Großbrand in der Frankenberger Firma „Color Textil“ mit 31,8 Millionen Euro Schaden im März 2017 wurde ihm nach Erkenntnissen der Brandermittler die alleinige Schuld gegeben. 

Psychische Belastung und Existenzängste beeinflussten danach auch das Familienleben des gesellschaftlich engagierten Mannes. Am Montag musste sich der Technische Leiter des Unternehmens, zu dessen Aufgabengebiet die Wartung und Instandhaltung gehörten, vor dem Amtsgericht Döbeln wegen fahrlässiger Brandstiftung durch Unterlassung verantworten.

Es war kurz nach Mitternacht, als am 30. März 2017 die Feuerwehren der Region Frankenberg mit über 100 Kameraden zu einem Großeinsatz ins Hammertal gerufen wurden. Die Firma „Color Textil“ brannte lichterloh. In einer zweistöckigen Produktionshalle war es zu einer Verpuffung gekommen.

 Das Feuer griff rasend schnell um sich und breitete sich auf weitere Gebäude aus. Später explodierten zwei Chemietanks. Die Höhe des Schadens wurde mit 31,8 Millionen Euro beziffert, wodurch der zur „Peppermint Company“ in Berlin gehende Betrieb 2018 insolvent ging und nicht gerettet werden konnte.

Entsprechend der Schadenshöhe war das öffentliche Interesse an der Verhandlung hoch, das Platzangebot im Saal von Richterin Nancy Weiß aufgrund der Corona-Bestimmungen begrenzt.

In ihrer Anklageschrift untermauerte die Staatsanwaltschaft nochmals die Vorwürfe, dass es durch mangelnde Wartungsleistungen am Abluftsystem einer Produktionsstrecke zu Ablagerungen gekommen wäre, die sich entzündet und den Brand ausgelöst hätten.

Zu Beginn der Beweisaufnahme machte der Rechtsanwalt des Beschuldigten, André Schuster klar, dass sich sein Mandant selbst nicht äußern würde. Zudem stellte er den Antrag, dass die beiden vor Gericht erschienen Sachverständigen den Saal verlassen, dem Richterin Nancy Weiß nachkam. „Es ist ein besonderes Verfahren mit einer technischen Fragestellung. Wir sollten uns bemühen, den Sachverhalt zu klären“, sagte Schuster.

Bastelstunde verschaulicht Situation

Aus diesem Grund hatte der Rechtsanwalt die Bastelsachen seines fünfjährigen Sohnes geplündert. Er baute aus Papphülsen von Toiletten und Küchenrollen sowie Buntstiften und Pappkartons vor sich ein Modell der Produktionsstrecke zur Erklärung auf. Damit veranschaulichte er Zeugenaussagen, dass das Feuer nicht in einem der vier Spannrahmen, so die Maschinenbezeichnung, sondern im Abluftsystem entstanden sei. 

Zudem wies er auf mutmaßliche Konstruktionsfehler im System hin, um nach den technischen Erörterungen infrage zu stellen, ob der Angeklagte dafür verantwortlich sein kann. „Ist ihm die Verkehrssicherungspflicht überhaupt übertragen worden?“ Auch der Gesundheits- und Brandschutz hätte nicht zu seinem Aufgabengebiet gehört. Dazu war extra ein Mitarbeiter bestellt worden.

 Vielmehr sei der Angeklagte laut Stellenbeschreibung ab 2013 als Leiter Instandhaltung angestellt worden, um zum Beispiel das Fremdfirmenmanagement mit Wartungsfirmen durchzuführen. Für das Reinigen der technischen Anlagen wären die Produktionsmitarbeiter, die verantwortlichen Meister sowie Produktions- und Betriebsleiter verantwortlich gewesen.

 Inhaltlich ist der 47-Jährige laut Stellenausschreibung für die Ausführung der Produktion verantwortlich gewesen, wodurch es immer wieder Kontakte zu den Mitarbeitern gab. Und so wären Reinigungsmängel gemeldet worden, wenn es sie gab, und vom Angeklagten an die verantwortliche Fremdfirma weitergeleitet worden.

Der zuständige Sachverständige vom Institut für Schadenforschung und Schadenverhütung, der im Auftrag der Sparkassenversicherung, in enger Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei vor Ort ermittelte, beschrieb noch einmal das Geschehen. Dabei machte der promovierte Chemiker ganz klar deutlich, dass er von einer Selbstentzündung im Zusammenspiel der Ablagerung von Chemikalien und angesaugten Fasern ausgehe. 

Eine Entzündung durch glimmende Partikel hielt er für relativ unwahrscheinlich, ebenso die Entzündung durch Zigaretten oder einen elektrischen Defekt. „Der Brand ist in der Absauganlage entstanden“, so der Sachverständige. Dort habe er bei der Ermittlung auch noch Ablagerungen von acht Zentimeter Dicke gefunden.

 Das sei auch wenig verwunderlich, da die Wartung im Vierteljahres- statt wie in der Beschreibung vorgeschriebenen Monatsmodus durchgeführt wurde. Die sei übrigens für einen Spannrahmen empfohlen und nicht für vier, wie hier genutzt. Entsprechend hätte das Intervall nochmals verkürzt werden müssen.

Baumängel in der Dachkonstruktion

Außerdem hätte der Dachaufbau aus Polystyrol und Bitumen sowie fehlende oder unzureichende Brandwände dafür gesorgt, dass sich das Feuer auf die Nebengebäude ausbreitete. Dabei sei in der Firma die Industriebauordnung missachtet worden.

Als zweiter Zeuge sagte der damals zuständige Meister aus. Er erklärte, dass es Reinigungen der Anlage gegeben hätte, die sonntags bei Schichtbeginn kontrolliert wurden. Mängel seien gemeldet worden. 

Allerdings brachte er auch zum Ausdruck, dass das Abluftsystem innen nicht kontrolliert werden konnte, da es verschraubt war. Sei dieses zugesetzt gewesen, hätte man das an den Maschinen gespürt, deren Drehzahl sich dann gesteigert hätte. Bei Problemen – am Ende des Wärmeaustauschers hätte es undefiniert getropft – wären von ihm neben dem Angeklagten auch Betriebs- und Produktionsleiter informiert worden. 

Die zum System dazugehörige Esse wäre übrigens, solange der 51-Jährige in der Firma war, noch nie gereinigt worden. „Das ist seit 1989“, sagt er.

Gericht zieht Schlussstrich

„Eigentlich wollten wir einen Freispruch, aber er will einen Schlussstrich und stimmt Paragraf 153 der Strafprozessordnung zu“, sagte Anwalt André Schuster nach einem längeren Rechtsgespräch. Das bedeutet Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit. Die Staatsanwaltschaft stellte den entsprechenden Antrag, dem Richterin Nancy Weiß nachkam. Weitere Zeugen und Gutachter mussten deshalb nicht gehört werden.

„Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass der zugrunde gelegte Schaden von 31,8 Millionen Euro nicht in dem Umfang dem Angeklagten zugerechnet werden kann. Zum einen ist das nicht belegbar und zum anderen spielt die Nichteinhaltung der Richtlinien zum Brandschutz eine Rolle“, begründet die Richterin. 

Außerdem gebe es zum Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung beträchtliche Zweifel, dass das Brandereignis auf ein Fehlverhalten des Angeklagten zurückzuführen ist, der durch den Beschluss des Gerichtes weiterhin als nicht vorbestraft gilt.

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