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Umstrittene Dresdner Buchhändlerin stellt sich Kritikern

Beim Dresdner Lingner-Podium diskutierte Susanne Dagen mit Hans-Peter Lühr und Paul Kaiser. Meinungsfreiheit, Populismus und Polarisierung waren Themen. 

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Susanne Dagen
Susanne Dagen © Christian Juppe

Von Michael Ernst

Auf der Website des Dresdner Lingnerschlosses hieß es: „Diese Veranstaltung ist leider ausverkauft.“ Leider? Der Ansturm aufs Lingner-Podium am Donnerstagabend unter dem Titel „Wenn ein Riss durch die Gesellschaft geht“ zeugt von großem Publikumsinteresse an der viel beschworenen Dresdner Debattenkultur.

In diesem Fall hatte sie eine konkrete Vorgeschichte, den Offenen Brief von Hans-Peter Lühr und Paul Kaiser im „Elbhang-Kurier“ vom Herbst. Darin haben der Publizist und der Kunstwissenschaftler der Loschwitzer Buchhändlerin Susanne Dagen eine Hinwendung zur neurechten Szene vorgehalten. Zum Beispiel unterhält sie auf Youtube das Video-Talkformat „Aufgeblättert, Zugeschlagen. Mit Rechten lesen“, zusammen mit Ellen Kositza, der Gattin des rechten Verlegers Götz Kubitschek. Mit der Kritik einhergegangen war eine Einladung zum öffentlichen Forum.

Hans-Peter Lühr
Hans-Peter Lühr © Ronald Bonß

Susanne Dagen hat die Einladung angenommen und erschien gemeinsam mit der einstigen Grünen-Politikerin Antje Hermenau auf dem Podium. Das wertete Frank Richter als allseits erfahrener Moderator positiv im Sinne einer völlig neuartigen Politisierung der Gesellschaft. Er verwies darauf, dass in diesen Räumen, deren unverputzte und der weiteren Renovierung harrenden Wände der Debatte um den „Riss“ passende Kulisse boten, einst der „Klub der Intelligenz“ beheimatet war. Ein deutlicher Hinweis auf den von ihm erhofften Stil des Abends, der kulturvoll und friedlich, eben intelligent verlaufen sollte. Er verlief eher zahm, ohne Biss. Kultiviert, keine Frage, sowohl im Disput als auch bei der Hörerschaft, bis hin zur abschließenden Publikumsrunde nach mehr als zwei Stunden Thesenaustausch.

Was freilich die Frage aufwirft, ob ein solch braver Dissens nicht sogar den Riss in der Gesellschaft noch kultiviert. Da gab es erst einmal berechtigte Elogen auf frühere Aktivitäten am Buchhaus Loschwitz, um dann doch deutlich zu konstatieren, dass jüngere und jüngste Entwicklungen dort als radikale Schräglage wahrgenommen würden. Diese Vorwürfe wollte Susanne Dagen aber keinesfalls negativ sehen. „Ich bin radikal liberal“, meinte sie. „Meinungsfreiheit wird an den Grenzen verteidigt, nicht in der Mitte.“ Auch ihr „Mit Rechten lesen“ sei völlig harmlos, „wir sprechen ausschließlich über Literatur“.

Kaum kritische Nachfragen

Erstaunlicherweise haben Hans-Peter Lühr und Paul Kaiser bei solchen Vorlagen kaum kritisch nachgehakt, denn die Art Literatur, über die in den jüngsten ein, zwei Jahren im Buchhaus Loschwitz gesprochen wird, unterscheidet sich schon sehr von der in den Jahren zuvor. Da muss wohl nur der Einladung Dagens gefolgt werden, ihr Archiv im Internet mal gründlich zu sichten.

Immerhin fand Lühr klare Worte und sprach von einer „Gefährdung der demokratischen Landschaft“, wenn unkommentiert Plädoyers für eine „Revolution von rechts“ und tendenzielle Zündeleien von jenen Seiten verbreitet würden, die offen nach einem noch tieferen Riss in der Gesellschaft verlangten. Solche Argumente wurden mit dem billigen Verweis auf die Rechtsstaatlichkeit vom Tisch gefegt. Als gäbe es nicht hinreichend justiziabel fragwürdige Formulierungskünste der Szene. Furchtlos sei sie und interessiert, so Susanne Dagen, „und das möchte ich vorzeigen“. Sie unterscheide eben nach „links, rechts und klug“, wohingegen Paul Kaiser eine Buchhandlung als „Ort der Vernunft“ sehen und den Loschwitzer „Positionswechsel“ nicht goutieren wollte.

Antje Hermenau
Antje Hermenau © Robert Michael

Dass Antje Hermenau in parlamentarisch trainierter Saloppheit die Demokratie als „Staatsform der Geduld und des Respekts“ apostrophierte, wollte Frank Richter insofern eingrenzen, dass die Deutschen historische Gründe haben, sich nicht mit Nazis und deren Gedankenungut gemein zu machen. Immerhin meinte die nun mit Frau Dagen und anderen bei den Freien Wählern mitmachende Ex-Grüne, die Gesellschaft sei sich in siebzig bis achtzig Prozent aller Fragen ziemlich einig. Viele Menschen suchten nach Orientierung, Gefahren sehe sie eher in Diskursvermeidung als im Diskurs. Populismen jedoch, hielt Hans-Peter Lühr dagegen, würden in ausweglose Situationen führen. Paul Kaiser warnte, dass man aus der „Polarisierungsfalle“ rauskommen müsse.

Stellenweise zerfaserte das Gespräch, wurden Begriffe wie „Moralfalle“ und „Menschlichkeit“ bemüht, zerrieb man sich unnötig an Ost-West-Themen, streifte in diesem Zusammenhang den Dresdner Bilderstreit und war sich weitgehend darin einig: Ausgrenzung führe immer nur zu neuen Wunden. Richter versuchte zwar, die Debatte nach vorn zu führen, und wollte mit dem Hinweis auf das mehrfache Wahljahr 2019 „in die Zukunft denken“. Doch sein Fazit dieses Abends klang nüchtern: „Die Tatsache, dass er stattfand, ist schon ein Wert an sich.“ Es sei „sehr deutlich geworden, dass in der Beurteilung der politischen Gefahr, die durch die neue Rechte in diesem Lande ausgeht, kein Konsens hergestellt werden konnte“. Immerhin gab sich Richter zuversichtlich: Das halte die Demokratie aber aus.

Ohne Erwartung keine Enttäuschung

Weder Susanne Dagen noch Hans-Peter Lühr wollten das Lingner-Podium mit großen Hoffnungen verknüpfen. „Ich habe keine Erwartungen an diesen Abend gestellt und konnte deswegen auch nicht enttäuscht werden“, meinte die Buchhändlerin. Der Autor resümierte: „Fakt ist, dass Gespräche solcher Art als Ergänzung zu den Debatten, die in der Politik geführt werden, absolut notwendig sind.“

Aus dem Publikum wurde von einer „Zersetzung der Demokratie“ gesprochen und die Gleichsetzung der Loschwitzer „Charta 2017“ mit dem Freiheitsbemühen der „Charta 77“ kritisiert. Das habe selbstverständlich nichts miteinander zu tun, beharrte Susanne Dagen, um dann aber doch Václav Havel mit „Die Wahrheit und die Liebe müssen die Lüge und den Hass besiegen“ zu bemühen.

Wer die „leider ausverkaufte“ Veranstaltung nachhören will, soll in wenigen Tagen einen Mitschnitt auf der Seite der Veranstalter finden können.