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Ist das sklavenähnliche Arbeit?

Löbau streitet darüber, ob Arbeitslose das Grün aus dem Rinnstein kratzen sollen. Andere Städte setzen auf Technik, Löbaus OB verteidigt seinen Weg.

Von Anja Beutler & Markus van Appeldorn
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An manchen Stellen - wie hier am Neumarkt vor dem Umbau - sprießt das Grün ganz unerwünscht. Aber wer und wie macht man es weg?
An manchen Stellen - wie hier am Neumarkt vor dem Umbau - sprießt das Grün ganz unerwünscht. Aber wer und wie macht man es weg? © Rafael Sampedro (Archiv)

Holger Pfennig ist nach seinem Gang durch die Löbauer Innenstadt völlig außer sich: "Das müssen Sie sich mal ansehen: Da knien drei Frauen auf dem Bürgersteig und kratzen das Grün aus den Rinnen zwischen den Pflastersteinen. In der prallen Sonne - das ist entwürdigend!" Der SZ-Leser aus dem Löbauer Umland, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist nicht der einzige, dem dieses Alltagsbild in Löbau aufgestoßen ist.

Auch andere Passanten, die in der Inneren Zittauer Straße unterwegs waren, schüttelten die Köpfe und fragten, ob das wirklich sein müsse. Die Szene mit den Unkraut jätenden Ein-Euro-Jobbern war viel diskutierter Gesprächsstoff in der Stadt, denn der kleine Trupp war an mehreren Stellen - auch am Promenadenring oder auf der Äußeren Bautzener Straße - unterwegs.

Die Problematik selbst ist in Löbau altbekannt: Vor genau zwei Jahren - vor dem Tag der Sachsen 2017 - kratzten Ein-Euro-Jobber schon einmal Unkraut und Moos aus den Steinfugen und von den Straßenrändern. Auch damals gab es Diskussionen dazu. Die Stadt erklärte daraufhin, dass viele der betroffenen Hartz-IV-Bezieher dankbar dafür seien, eine Aufgabe wie diese zu erhalten und etwas dazuverdienen zu dürfen. Ein Problem sah man nicht. Ob die Stadt rückhaltlos bei der Haltung geblieben ist oder auch andere Gründe eine Rolle spielen, bleibt offen: Auf eine Anfrage der SZ schweigt die Stadt seit vergangenem Mittwoch.

Lediglich im jüngsten Stadtrat sah sich Oberbürgermeister Dietmar Buchholz (parteilos) zu einer Reaktion genötigt: Aus den Reihen der Bürgerliste kam beim Tagesordnungspunkt „Bürgerfragestunde“ die Bemerkung zu den Unkrautjätern in der Inneren Zittauer Straße: „Die Arbeit erschien mir sehr erniedrigend und kommt mir vor wie moderne Sklavenarbeit.“ Der OB erwiderte darauf: „Die Leute wollen das machen. Ihnen kommt es vor wie Sklavenarbeit, aber es ist das Gegenteil.“ Nach Auskunft des OB sei es eine kleine Gruppe aus den immer gleichen Leuten, die regelmäßig diese Arbeiten verrichtet. „Wir haben sie gefragt, ob sie es machen. Es ist nicht erniedrigend.“ Ob dies tatsächlich so ist, lässt sich nicht nachvollziehen, denn die Betroffenen dürfen gegenüber der SZ keine Fragen beantworten.

Aber gibt es überhaupt Alternativen? Und wie handhaben das andere Städte in der Region? Technische Möglichkeiten gibt es durchaus: In Zittau setzt man beispielsweise auf Technik: "Mitarbeiter der Städtischen Dienstleistungs-GmbH Zittau entfernen maschinell durch Wildkrautbürste oder thermisch durch Heißwasser den unerwünschten Grünbewuchs", erklärt Stadtsprecher Michael Scholze. In beiden Fällen geschieht das von Fahrzeugen aus. Nur in extremen Fällen werde das Unkraut durch Freischneider oder Rasenmäher eingekürzt, oder eben auch einmal manuell gehackt. "Aber das ist äußerst selten", erklärt Scholze.

Chemische Vernichter kommen nicht in Frage

Auch in Ebersbach-Neugersdorf setzt man weniger auf Handarbeit, sondern auf mechanische Lösungen, wenn es sehr massiv grünt am Straßenrand. Eine ideale Lösung hat die Stadt noch nicht gefunden: "Wir hatten schon Firmen hier, die mit Schaum vorgegangen sind, wir haben auch die Möglichkeit mit einem Bürstenansatz auf der Motorsense zu arbeiten - aber der Erfolg ist oft sehr kurzfristig", erklärt Nadja Kneschke von der Stadtverwaltung. Um dem Grün per Handarbeit Herr zu werden, reichen die Arbeitskräfte nicht aus. Und: "Ich persönlich möchte die Kollegen auch nicht am Straßenrand neben den Autos per Hand kratzen lassen", betont sie.

So ähnlich sieht es auch Herrnhuts Bürgermeister Willem Riecke (Herrnhuter Liste): "Wir haben mehrere technische Unkrautbekämpfungslösungen ausprobiert - es gab keine zufriedenstellende Lösung." Vor allem nicht beim Preis-Leistungs-Verhältnis. Deshalb legen auch die Herrnhuter Mitarbeiter Hand an: "Wir achten darauf, dass diese Arbeiten nicht ausschließlich stattfinden und dass sie auch nur dort durchgeführt werden, wo es dringend nötig ist", erklärt Riecke.

Unkrautvernichter - also chemische Lösungen - kommen für die Gemeinden ohnehin nicht mehr in Frage. Zum einen, weil man dazu inzwischen eine Ausnahmegenehmigung braucht. Zum anderen, weil auch die Akzeptanz der Bevölkerung dafür schwindet. Auch das Abbrennen des Grüns per Gasflasche sei keine Option, bestätigt Nadja Kneschke. Diese Lösung sei zwar nicht verboten, aber teuer und bei der Trockenheit ohnehin zu riskant.

Dennoch: Etwas mehr Fingerspitzengefühl wünschen sich auch Löbauer Händler von der Stadt: Auch Lutz und Diana Engemann - vor deren Ladenfenster die Langzeitarbeitslosen das sogenannte Schnittgerinne zwischen Straße und Fußweg sauber gekratzt haben - empfanden die Arbeitsweise als erniedrigend für die Leute, die da zwischen Auspuffgasen und Fußgängern kauern. "Ja, uns ist das aufgefallen und ich frage mich, ob das so geschehen muss", sagt Lutz Engemann. Auch er hat seinen Gehweg von Grün frei zu halten. "Klar, ich mache das per Hand", sagt er und fügt hinzu: "Aber nach Feierabend, wenn weniger Betrieb und keine pralle Sonne ist", betont er.

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