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Unterrichtsausfall ist ein Problem

Thomas Müller ist gleich in zwei Schul-Elternräten aktiv. Und ärgert sich vor allem über die Ludwig-Richter-Oberschule.

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© dpa

Von Jens Fritzsche

Natürlich weiß er, dass es ein sachsenweites Problem ist, sagt Thomas Müller. Und meint den zum Teil dramatischen Lehrermangel an den Schulen. Allerdings treibt den Großerkmannsdorfer das Thema ganz besonders mit Blick auf die Ludwig-Richter-Oberschule in Radeberg um. Dort ist er stellvertretender Chef des Elternrats und auch im Kreis-Elternrat ist er stellvertretender Vorsitzender. Er findet, das Thema müsse einfach offensiver diskutiert werden.

Wobei Thomas Müller nicht nur auf den Weg setzt, mehr junge Lehrer einzustellen. Auch eine veränderte Gestaltung des Lehrplans könnte helfen, ist er überzeugt. Und auch, ob es wirklich noch Unterrichtsfächer braucht, fragt er sich. Und spricht von „Bulimie-Wissen“, das dringend aus den Schulen verbannt werden müsse. Nach der jüngsten Vollversammlung des Kreis-Elternrates in Bautzen traf sich die SZ mit dem Großerkmannsdorfer zum Gespräch.

Herr Müller, Sie sprechen von „Bulimie-Wissen“, das den Schülern vermittelt werde. Was meinen Sie damit?

Es ist eine Umschreibung für umgangssprachlich: reinfressen, erbrechen und vergessen. Ich meine damit einfach Wissen, das sich die Schüler wirklich nur für eine Leistungskontrolle oder eine Prüfung einpauken, es dann wiedergeben, aber anschließend nie wieder brauchen. Wissen, das also nur die Lehrpläne verstopft –  und sozusagen Zeit frisst.

Zeit, die Ihrer Meinung nach wofür gebraucht wird?

Nun zum Beispiel für die Vertiefung von Themen, über die derzeit einfach viel zu schnell hinweggegangen wird. In allen Fächern wohlgemerkt. Zeit vielleicht auch für die intensivere Vermittlung von sozialen Kompetenzen.

Sie sprechen regelmäßig auch davon, dass man auf Unterrichtsfächer verzichten könne. Wie soll das denn gehen?

In anderen Ländern geht das sehr gut. Und auch bei uns geht das schon. Ein Versuch ist ja zum Beispiel der sogenannte fächerübergreifende Unterricht, um bestimmte Projekte anzugehen. Ein Thema steht dann im Mittelpunkt und alle Fächer gehen darauf ein. Das funktioniert; warum also nicht ausweiten?

Kritiker halten dagegen, Unterricht brauche klare Strukturen …

Hätte er ja auch so. Im Übrigen waren wir ja bei unserer Kreiselternrats-Versammlung im neuen Berufsschulzentrum in Bautzen zu Gast. Ein sehr toller Schulbau! Und der Direktor erklärte uns, dass es in Berufsschulen schon seit längerer Zeit keine Fächer mehr gibt, sondern sogenannte Lernfelder. Also quasi Fächer, die zusammenpassen werden zusammengefasst. In der Kita – in der Vorschule sozusagen – funktioniert das ja auch genau so. Nur dazwischen – in der Grund- und Oberschule oder im Gymnasium – gibt es noch Schulfächer.

Das alles, sagen Sie, könnte auch gegen Lehrermangel und Stundenausfall helfen.

Davon bin ich überzeugt. Durch die Lernfelder könnten ja andere Lehrer einfacher die Vermittlung im Falle des Ausfalls eines Kollegen mit übernehmen, ohne dass dessen Stunden ausfallen. Wenn der Kollege wieder da ist, kann dann sein Thema ins Lernfeld eingebracht werden. Da ist aus meiner Sicht einfach viel mehr Flexibilität möglich.

Aber gegen Lehrermangel hilft doch nur, mehr Lehrer einzustellen …

Natürlich, das ist richtig. Durch mehr Flexibilität lassen sich zwar die Symptome leichter behandeln, nicht aber die Ursache. Die ist ganz klar, dass es in Sachsen zu wenige Lehrer gibt.

Das Thema treibt Sie ganz besonders mit Blick auf die Ludwig-Richter-Oberschule in Radeberg um. Warum?

Weil ich das Gefühl habe, dass hier das Thema Lehrermangel zu sehr unter den Tisch gekehrt wird. Am Radeberger Humboldt-Gymnasium geht die Schulleiterin das Thema viel offensiver an und setzt darauf, dass sich die Eltern aktiv einbringen. Dort wurde zum Beispiel klar gesagt, dass es Schwierigkeiten im Englisch-Unterricht gibt – die engagierten Eltern werden sich nun an die zuständigen politischen und schulpolitischen Stellen wenden.

Aber es gibt doch auch an der Ludwig-Richter-Oberschule einen Elternrat. Dem steht es ja ebenfalls frei, sich zum Beispiel an die zuständige Bildungsagentur in Bautzen zu wenden.

Leider habe ich zunehmend das Gefühl, dass an unserer Schule – eines meiner Kinder ist hier eingeschult – die Eltern ausgebremst werden. Ich habe zum Beispiel in einer der Elternratssitzungen den Vorschlag unterbreitet, mal als Eltern gemeinsam zu einem Termin der Bildungsagentur zu fahren – das sah die Schulleiterin kritisch. Ich verstehe nicht, warum dieses Potenzial der engagierten Eltern nicht stärker nutzen.

Welches Potenzial sehen Sie da?

Ich bin überzeugt, dass steter Tropfen bekanntlich den Stein tatsächlich höhlen kann. Heißt, die Eltern können die Schulleitung durchaus unterstützen, was das Hinweisen auf Probleme betrifft. Es nützt doch nichts, die Augen zu verschließen. Es fällt einfach massiv Unterricht aus. Wir brauchen da dringend Auswege!

Sachsen hat vor wenigen Wochen ein neues Schulgesetz bekommen. Sehen Sie dort Verbesserungen – sehen Sie auch das, was Sie gerade vorgeschlagen haben, Lernfelder oder das Aus fürs „Bulimie-Wissen“?

Nein, das neue Gesetz ist weit unter den Möglichkeiten geblieben. Gerade auch, was die Mitbestimmungsmöglichkeiten von Eltern betrifft. Da ist ausdrücklich nicht von Mitbestimmung die Rede, wie es in der Verfassung steht, sondern wieder nur von Mitwirkung. Schade, da ist man an den freien Schulen schon viel weiter. Und die haben zum Beispiel auch weniger Probleme, Lehrer zu finden.

Weil?

Weil dort nicht nur die Eltern intensiver einbezogen werden, sondern auch die Lehrer freier in ihrer Arbeit sind. Das könnte im Übrigen auch dafür sorgen, den Lehrerberuf insgesamt wieder attraktiver zu machen. Auch das könnte gegen Lehrermangel helfen. Denn wir leben ja in der glücklichen Zeit, dass Arbeit zunehmend nicht mehr nur zum Geldverdienen da ist, sondern auch stärker, um sich selbst zu verwirklichen …