Von Mario Heinke
Oybin. Als ich kurz vor 18 Uhr auf dem eigens für den Ferienwaggon reservierten Parkplatz neben dem Schmalspurbahnmuseum am Bahnhof Oybin ankomme, ist der Kurort wie leer gefegt. Ich schließe den Ferienwaggon auf, hole die Sitzkissen aus dem Schrank, setze mich auf die Gartenstühle neben dem Gleis im Bahnhofsgelände und richte mein Haupt gen Abendsonne. „Teste doch mal den Ferienwaggon“, lautet mein Auftrag. Denn der Schmalspurbahnbetrieb aus dem Zittauer Gebirge hatte Ende März den Innovationspreis vom Landkreis Görlitz für seine zum Übernachten umgebauten Urlaubswaggons erhalten.
Urlaub auf dem Abstellgleis in Oybin
Langsam fällt der Tag von mir ab. Mein Blick wandert zum Oybin, über die Gleise, bleibt an den liebevoll gestalteten Schildern und am schnuckligen Bahnhofsgebäude hängen. Ich sehe eine filmreife Kulisse: Sommerfrische in den 1920er Jahren. Gebirgsluft, Grün, Ruhe – Wohlfühlatmosphäre mit Bahnfeeling – das ist schon mal etwas Besonderes.
Moderne Küchenzeile im Wagen
Kurz vor 20 Uhr meldet sich mein Magen: Zeit zur Nahrungsaufnahme. Ich begebe mich auf die Suche nach etwas Essbarem. Die Feriengäste im Waggon sind Selbstversorger, deshalb ist der Wagen auch mit einer modernen Küchenzeile ausgestattet, hatte Manuela Bartsch vom Marketing der Sächsisch-Oberlausitzer Eisenbahngesellschaft (Soeg) bei der Schlüsselübergabe am Nachmittag erklärt. Weil ich für den Praxistest nur eine Nacht im Ferienwaggon verbringe, verzichte ich auf den Lebensmitteleinkauf und gönne mir ein Abendessen im Restaurant. So jedenfalls der Plan.
Das Hotel Nensch, gleich gegenüber dem Bahnhof, ist wegen Ruhetag an diesem Dienstag geschlossen. Nach einer Runde entlang der Hauptstraße, Straße der Jugend und Kammstraße stelle ich fest: Alles dicht im Kurort. Nur im hell erleuchteten Saal des Café Meier erblicke ich eine Gruppe älterer Menschen. Hoffnung keimt in mir auf. Als ich das Café betrete, kommt mir eine Kellnerin entgegen und sagt: „Wir haben heute eine geschlossene Veranstaltung“. Eigentlich habe ich keinen großen Hunger. Mein Gesichtsausdruck zeigt offensichtlich etwas anderes an, denn die freundliche Kellnerin sagt vom Mitleid ergriffen: „Wir machen ihnen noch was Kleines, setzen Sie sich doch bitte ins Café.“ Der Satz klingt wie Musik in meinen Ohren. Einige Minuten später stehen Würzfleisch und ein Bierchen auf dem Tisch, an dem tagsüber Kaffeekränzchen abgehalten werden. So retten die Mitarbeiter des Café Meier wohl den Ruf des Kurortes. Vielleicht sollten die Oybiner Wirte ihre Ruhetage absprechen, damit Urlauber im Kurort nicht verhungern.
Nach dem Abendmahl schlendere ich allein durch die Dunkelheit, ohne einen einzigen Menschen zu treffen. Wer mal einen ganzen Ort für sich allein haben möchte, sollte abends durch Oybin spazieren. Einige Fenster ohne Gardinen gewähren einen Blick in Räume, die von außen wie Puppenstuben wirken. Die Silhouette des bienenkorbförmigen Felsens, die Lichter der Burg- und Klosteranlage verzaubern den kleinen Ort in ein Märchenland oder erinnern an eine Modelleisenbahnplatte. Je nach Sichtweise und Fantasie.
Es ist nach 22 Uhr, als ich den Komfort meiner außergewöhnlichen Unterkunft teste. Als Erstes entdecke ich einen Retro-Wecker mit großen Glocken, der ein lautes Ticken von sich gibt. Ich wickele das Teil in ein Badehandtuch ein und lagere es im Handtuchkorb des Badezimmers, damit das Ticken mir nicht den Schlaf raubt. Der Flachbildschirm in der Mitte des Wagens verfügt über einen beweglichen Arm, der es erlaubt sowohl vom Bett als auch von der gemütlichen Sitzecke aus, fernzusehen. Und das in HD-Qualität. Wer viel reist, kennt das Problem mit den Steckdosen, von denen es in Hotels immer zu wenige gibt, wenn zwei Smartphones, Kameraakkus und elektrische Zahnbürsten gleichzeitig geladen werden sollen. Nicht so im Ferienwaggon! Allein im Wohnraum finde ich 16 Steckdosen, im Bad zwei weitere. So viele Ladegeräte muss man erst einmal haben. Die beiden Betten im Schlafbereich stehen über Eck und lassen sich auch nicht zusammenschieben. Pärchen müssen auf den Kuschelfaktor verzichten oder eben ganz, ganz eng zusammenrücken. Nichts zu meckern gibt es auch bei der Ausstattung des Bades, die Dusche liefert gleichbleibend warmes Wasser. Die Ausstattung des Ferienwaggons ist gut durchdacht und dank kostenloser Internetverbindung auch zeitgemäß. Gäste müssen auf nichts verzichten.
Ein Ort für Langschläfer
Auf den Kopfkissen sind Schokoladenbonbons platziert. Die Betthupferl überleben den Abend nicht. Die Nacht bleibt ruhig, ich schlafe tief und bequem. Oybin ist ein Ort für Langschläfer, bis neun Uhr bleibt es ruhig. Halb zehn bellt der erste Hund. Nach dem Frühstück sitze ich mit einer Tasse Kaffee noch vor dem Waggon, als eine Reisegruppe älterer Damen den Bahnsteig ausfüllt. „Bekommen wir bei Ihnen die Fahrkarten“, ruft die Reiseleiterin zu mir herüber. Nachdem ich meine Anwesenheit erklärt habe, schauen die Frauen neugierig in den Ferienwaggon, dessen große Tür offensteht. Unüberhörbar fährt 9.53 Uhr die Bimmelbahn in den Bahnhof ein. Jetzt sitze ich quasi in der ersten Reihe. Nachdem die Schaffnerin die Weiche mit der Hand umgelegt hat, rollt die dampfende Lok direkt neben das Abstellgleis, auf dem der Ferienwaggon parkt und stößt wieder zurück. Das ist wohl einer der großen Momente für Pufferküsser, wie die Eisenbahnfreunde von den Profis liebevoll genannt werden. Die Ferienwaggons werden von Bahnfans genauso gern gebucht, wie von Familien, sagt Manuela Bartsch. Für das laufende Jahr gibt es jedenfalls kaum noch freie Termine. Eisenbahnfans, die lieber in festen Gebäuden übernachten, können die Ferienwohnung „Am Wasserhäuschen“ am Bahnhof buchen.
Mein Fazit: Der Ferienwaggon auf dem Abstellgleis ist eine originelle Unterkunft mit einzigartigem Bahnfeeling. Tagsüber ist der Gast Teil des geschäftigen Treibens rund um Schmalspurbahn und Bahnhof, abends herrscht erholsame Stille.
Die Übernachtungs-Waggns sind Bbuchbar über Zimmervermittlung Ilka Seyfarth oder im Internet unter www.soeg-zittau.de, 55 Euro/pro Tag.