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Versteinerte Trolle im Einnehmerhaus

Horst Hoppe ist ein Meister des Holzschnitts. Am Freitag feiert er seinen 85. Geburtstag. In Freital entschied sich einst sein berufliches Schicksal.

Von Thomas Morgenroth
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„Versteinerte Trolle. Bei untergehender Sonne steigen sie aus der See.“ So nennt Horst Hoppe seinen Holzschnitt aus dem Jahre 2017.
„Versteinerte Trolle. Bei untergehender Sonne steigen sie aus der See.“ So nennt Horst Hoppe seinen Holzschnitt aus dem Jahre 2017. © Thomas Morgenroth

Wenn die mächtigen Trolle bei Sonnenuntergang aus dem Meer steigen, stehen die Menschen mit offenen Mündern und klickenden Kameras am Ufer. Besonders spektakulär ist das Schauspiel am steinigen Strand der zu Gotland gehörenden Insel Fårö mitten in der Ostsee. Dort taucht das Zentralgestirn genau zwischen den Beinen des Höllenhundes in das Wasser, während seine Spießgesellen ringsum immer größer werden.

Der Freitaler Horst Hoppe stand mit seiner Frau Evelin staunend auf dem zu Schweden gehörenden Eiland und machte viele Fotos. In den heimischen Schweinsdorfer Alpen schnitt der Künstler die Szene dann in ein Holzbrett und druckte sie in seiner Garage auf der Oststraße in mehreren Farben. Wie in Feuer getaucht stehen die unheimlichen Wesen seit Sonntag im Einnehmerhaus und wundern sich, warum sie im Tageslicht nicht verschwinden.

Die Trolle werden Raukar genannt, in der Einzahl Rauk. Sie sind bis zu 27 Meter hohe Säulen aus Kalksandstein, geformt von Wind und Wetter. Horst Hoppe ist nicht der erste Kreative, der sich der Faszination der Felsen nicht entziehen konnte. Prominentestes Beispiel ist wohl der schwedische Filmemacher Ingmar Bergmann, der in der rauen Umgebung nicht nur atemberaubende Kulissen für seine cineastischen Meilensteine fand. Er verlegte sogar seinen Wohnsitz nach Fårö.

Horst Hoppe mit drei Wikingern im Einnehmerhaus.
Horst Hoppe mit drei Wikingern im Einnehmerhaus. © Thomas Morgenroth

Horst Hoppe indes kehrte nach Sachsen zurück, mit einem Sack voller Eindrücke, wie stets, wenn er auf Reisen war. Davon zehrt er mitunter jahrelang, wieder und wieder greift er markante Motive in seinen Bildern auf, die meistens mehrfarbige Holzschnitte sind, eine Technik, die Horst Hoppe meisterlich beherrscht. Er druckt mit verlorenen Formen von Hell nach Dunkel, schneidet also weg, was bereits auf dem Papier ist. Es ist kein Prozess für Eilige: Weil er übereinander druckt, dauert es wegen der Zeiten des Trocknens der Farben mitunter Wochen, bis ein Bild fertig ist.

Eine Spezialität Hoppes ist es, die Strukturen des gewachsenen Holzes, die er mit einer Drahtbürste freilegt, in seine Bildfindungen einzubeziehen. Als gelernter Zimmermann hat er seit jeher eine besondere Beziehung zu diesem Material. Und so ist Hoppe stets dem „Geist des Baumes“ auf der Spur, egal, ob er zersplitterte Baumstümpfe ins Holz schneidet, eine große Hauslinde in Tharandt, Fachwerkhäuser oder auch nur ein paar Schriftzeichen.

Die skandinavischen Landschaften und Legenden haben es Horst Hoppe besonders angetan. Er ließ sich von Stabkirchen und Speicherhäusern in Norwegen inspirieren, von einer Ringkirche auf Bornholm in Dänemark und eben von den Rauken in Schweden. Auf Island fand er „Eisriesen im Nebelspuk“, schnitt den Temperatursturz im Felsengebirge ins Holz und zitiert aus Egils Saga den „Lobpreis des Wikingerlebens“: „Kämpfen Mann gegen Mann.“ Aber sie waren keineswegs die Bösen, sagt Hoppe, und porträtiert die Wikinger, die lange vor Kolumbus in Amerika waren, als Triumvirat „Krieger – Händler – Entdecker“.

In seiner Ausstellung „… und immer wieder Holz“ im Einnehmerhaus reist Hoppe, der aus Fördergersdorf stammt, nicht nur in die Ferne, sondern zeigt auch die Schönheiten seiner Heimat. Das Erzgebirge zum Beispiel, wo er in Geyer nahe Annaberg zehn Jahre lang gearbeitet hat, oder die Sächsische Schweiz, wo sein Sohn Heiko Hoppe das Ferienhaus „Kleine Bastei“ betreibt. Freital darf nicht fehlen, die Stadt, in der sich Hoppes berufliches Schicksal entschied. Zwei seiner Ansichten aus den Siebzigern gibt es so heute nicht mehr: die Tankstelle Poisental und Deuben mit seinen rauchenden Schornsteinen.

Ja, Freital. Im Mal- und Zeichenzirkel des Edelstahlwerkes hatte Horst Hoppe vor fünfundsechzig Jahren bei Gottfried Bammes seine erste ernsthafte Begegnung mit der Kunst und mit dem Holzschnitt. Bammes, später Professor für künstlerische Anatomie an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, sah Horst Hoppe wegen seiner handwerklichen Vorbildung als Bühnenbildner. Weil diese Abteilung aber gerade nach Berlin umgezogen war und Hoppe unbedingt in Dresden bleiben wollte, wurde er durch Bammes Vermittlung Lehrer für Kunsterziehung und Deutsch.

Er blieb seinem neuen Beruf bis zu seiner Pensionierung 1998 treu, mit Stationen im Erzgebirge, in Wilsdruff und an der Waldblickschule in Freital. Hoppe hielt auch dem Mal- und Zeichenzirkel die Treue, übte sich in der freien Kunst, denn nur so, sagt er, habe er seinen Schülern etwas beibringen können. Hoppe arbeitete kontinuierlich an seinen Holzschnitten, nach Bammes bei Werner Haselhuhn, Andreas Küchler und Klaus Werner. 1990 gründete er den Kunstverein Freital mit, dessen Vorsitzender er bis 2002 war. Er leitete einen Schnitzzirkel, einige seiner Figuren und Räuchermänner sind in der Ausstellung zu sehen, und betreut bis heute einige Schnitzer im Einnehmerhaus.

Drei Figuren von Horst Hoppe, rechts ein Räuchermann.
Drei Figuren von Horst Hoppe, rechts ein Räuchermann. © Thomas Morgenroth

Dort schließt sich nun der Kreis. Horst Hoppe schlägt in seiner Ausstellung einen zeitlichen Bogen über dreiundfünfzig Schaffensjahre, beginnend im Jahre 1966 in Freital, als er einen Schmied bei der Arbeit beobachtete. Für ihn ist es sein erster gültiger Farbholzschnitt eines arbeitenden Menschen. Und ein seltener: Personen kommen auf seinen Bildern meist nur als Staffage vor, wenn überhaupt. Bei seiner Familie machte er hin und wieder eine Ausnahme, und aus diesem Umfeld stammt auch sein wohl emotionalstes Bild.

Es entstand im Jahre 1983 und trägt den Titel „In schlimmer Erwartung“. Es zeigt Hoppes Sohn Olaf als Schüler der ersten Klasse im Keller, der verängstigt mit großen Augen zum Fenster über ihm starrt. Dem Blick dieses traumatisierten Kindes kann sich wohl keiner entziehen. „82/83 bereitete die SED die Schulkinder in realistischer Aufklärung auf einen Atombombenabwurf vor. Bei Olaf blieb das nicht ohne psychische Folgen“, schreibt Hoppe als Erklärung unter den Holzschnitt.

Am Freitag feiert Horst Hoppe seinen 85. Geburtstag. Die Ausstellung ist diesem Anlass gewidmet, sie ist so etwas wie eine Retrospektive, eine Zusammenfassung. Hoppe selbst spricht von einem Abschluss. Das wäre wohl etwas verfrüht. Seine jüngste Arbeit stammt aus diesem Jahr, sie sozusagen noch druckfrisch. Ein Holzschnitt, der versteinerte Trolle in einer Bucht zeigt, die auf den Sonnenuntergang warten.

Bis 14. Dezember im Einnehmerhaus, Die. – Fr. 16 – 18 Uhr, Sa./So. 10 – 17 Uhr, an Feiertagen geschlossen.

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