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Arbeitslos, alt und Spaß dabei

Der Musikkomiker Vicki Vomit nimmt in Dresden äußerst unterhaltsam Abschied vom Bühnenleben – ohne Tschüss zu sagen.

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Vicki Vomit überzeugte beim Konzert in Dresden mit Redseligkeit und morbidem Charme.
Vicki Vomit überzeugte beim Konzert in Dresden mit Redseligkeit und morbidem Charme. © Andreas Weihs

Von Tom Vörös

Für Roger Whittaker war der Abschied mal ein scharfes Schwert. Für Vicki Vomit ist es laut Plakatwerbung hingegen ein schweres Schaf. Und sieht man diesen Thüringer Musikkomiker und Rampenlicht-Schwerstarbeiter zu, dann spürt man förmlich die Last seines Päckchens, erlebt aber zugleich, wie der Mann ein ganzes Universum von Lebens- und Gesellschaftsschieflagen bitterböse-satirisch bis sozialkritisch wieder halbwegs ausbalanciert. Die Musik, am Sonnabend im Dresdner Liveclub Tante Ju wird dabei fast zur Nebensache. Auch, weil sich dieser auf den bürgerlichen Namen hörende Jens Hellmann quasi verbal übergibt, endlich mal ein passender Künstlername – das englische Wort „vomit“ heißt so viel wie „sich erbrechen“.

Und so wundert es kaum, dass der 56-Jährige auch tief in sein Privatuniversum blicken lässt. „Ich bin wieder Single“, sagt er, nicht ohne herausfordernden Unterton. Und beschwert sich zugleich kalauernd über die Nachteile einer Beziehung: Zum Beispiel über „etwas Schönes machen“, womit das Spazierengehen gemeint ist beziehungsweise dieses „im halben Tempo völlig ziellos durch die Gegend mäandern“. Was Herrn Vomit zum Fazit bringt: „Männer leben länger in Beziehung, obwohl sie lieber sterben würden.“

Wehrhafter Frührentner

Trotzdem möchte er ja im Training bleiben, am besten mit einer Obdachlosen, „da ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie über Nacht bleiben will“.

Vomit bezeichnet sich selbstkritisch als nicht besonders talentiert und intelligent, aber gut aussehend. Zurzeit allerdings mit den „Hüften von Dirk Bach, den Muskeln von Lady Gaga und dem Körpergeruch von Kurt Cobain.“ Und als Frauenheld, dessen Penis mal im Guinnessbuch der Rekorde war. „Danach hatte ich Hausverbot in meiner Buchhandlung“. So manches Lied streut er geschickt ein: „Das Leben ist so hart wie eine Latte“ – nachzuempfinden mithilfe eines selbst vertriebenen eigenen Liederbuches. Was Vicki Vomit innerhalb dieser anderthalb Stunden da ganz allein auf der Bühne vollführt, fühlt sich keinesfalls wie Abschied an. Der Mann wirkt mit seinem langen grauen Haar und dem exaltierten Schnurrbart inzwischen zwar wie Väterchen Frost.

Doch das Alter scheint nicht vor unbändiger Bühnenenergie und einem sprudelnden Redeschwall zu schützen. Und auch nicht vor dem Kampfgeist: Als jemand von hinten ruft, Vicki Vomit solle doch bitte endlich mal singen, entgegnet ebendieser: „Ich sage dir doch auch nicht, wie du auf Arbeit deine Straße zu kehren hast!“ Und plappert munter weiter.

Gesungen wurde zwischendurch auch noch: Mit „Wohin mit Omas Leiche“, „Liebe mit Claudia Nolte“, der Ex-Familienministerin, oder „Ich habe Steffi Graf gekillt“ springt Vicky Vomits morbider, 90er-Jahre gestützter Charme endgültig in den gut gefüllten Saal über. Und das, obwohl er Teile seiner eigenen Lieder vergisst. Prompt macht er Witze nicht nur übers Alter. „Meine Stiefel trug ich früher bei der Hitlerjugend, ihr vielleicht bald wieder, aber dann bin ich schon tot.“ Vorher besingt er aber eifrig einen kleinen Ort namens Obernaundorf, in dem es leider zu wenig Ausländer gibt, um ebenjene in Echtzeit zu hassen.

Im Finale eines der wohl kurzweiligsten Konzerte ist der verbalmusikalische Schichtarbeiter Vicki Vomit das, womit seine Karriere in der Nachwendezeit überhaupt erst in Schwung kam: „Arbeitslos & Spaß dabei“. Und man wünscht sich keinesfalls ein Ende dieser öffentlichen Beschäftigungstherapie. Die Hoffnung bleibt, denn wirklich verabschiedet hat sich Vicki Vomit an diesem Abend nicht.