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Viel los im Bunker

Im Gästebuch des Großenhainer Flugplatzmuseums hat sich eine illustre Gesellschaft von Besuchern verewigt.

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Von Manfred Müller

Meist läuft es so wie mit dem hochrangigen Nato-Offizier, der eines Tages im Flugplatzmuseum auftauchte. Als der Fotograf die Kamera zückte, hob der Militär abwehrend die Hände. Sein Besuch sei rein privat – die Öffentlichkeit müsse draußen bleiben. Deshalb bleibt den Großenhainern manch prominenter Besuch in ihrer Stadt verborgen. So der des Fliegerkosmonauten Viktor Michailowitsch Afanasjew, der im Oktober 2013 in der Röderstadt weilte. Der Russe hatte zuvor mit den Museumsleuten vereinbart, dass er unerkannt bleiben wolle. „Dabei war er sonst ein umgänglicher, auskunftsfreudiger und humorvoller Typ“, erinnert sich der Hobby-Militärhistoriker Marcel Reichel.

Marcel Reichel hat in seinem Bunker-Museum, dem einstigen Sonderwaffenlager auf dem Großenhainer Flugplatz, schon so manchen illustren Gast begrüßen können, wie das dicke Gästebuch beweist. Nur wollten viele der Besucher nicht gern in das Licht der Öffenl
Marcel Reichel hat in seinem Bunker-Museum, dem einstigen Sonderwaffenlager auf dem Großenhainer Flugplatz, schon so manchen illustren Gast begrüßen können, wie das dicke Gästebuch beweist. Nur wollten viele der Besucher nicht gern in das Licht der Öffenl

Afanasjew hatte zwischen 1970 und 1976 bei der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland gedient. Er war in Finsterwalde stationiert und kannte Großenhain von mehreren Überflügen her. Danach begann seine Kosmonauten-Karriere, die von drei Aufenthalten auf den Raumstationen Mir und ISS gekrönt war. „Der Mann gehörte zur Elite der russischen Kosmonauten“, erzählt Marcel Reichel. „Er war 555 Tage im All und hat 38 Stunden Außeneinsatz absolviert.“ Der Kosmonaut gab den Enthusiasten einen Einblick in seinen Erfahrungsschatz. Wenn eine Landekapsel in der kasachischen Steppe zu Boden schwebe, gehe meist die Nachricht von einer „weichen Landung“ um die Welt, erzählte er. In Wirklichkeit sei der Aufschlag verdammt hart. Er werde nur von der weichsten Stelle am Körper abgefedert – dem Hintern. Auch die Filmaufnahmen, in denen die Kosmonauten ihren Namen auf die Kapsel schreiben, spiegelten nicht die reale Situation wider. Die Muskeln seien nach der Schwerelosigkeit so zurückgebildet, dass man kaum die Kreide halten kann, erzählte der Russe. Er habe es nur ein einziges Mal geschafft, sein Signum auf das Metall zu kritzeln. Afanasjew, der mit einem Privatflugzeug in Großenhain einschwebte, hatte in Morgenröthe-Rautenkranz seinen deutschen Kollegen Siegmund Jähn besucht. Der konnte leider nicht mit nach Großenhain kommen. „Aber nächstes Jahr holen wir ihn her“, verspricht Marcel Reichel. Auch eine Gruppe von pensionierten britischen Geheimdienstmitarbeitern zeigte sich wenig interessiert, für ein Erinnerungsfoto zu posieren. Die Ex-Spione waren gekommen, um mehr über ihre ehemaligen Gegner hinter dem Eisernen Vorhang zu erfahren. „Die waren unheimlich an der russischen Geschichte interessiert“, erinnert sich Reichel. „Und daran, wie wir Ostdeutschen die Besatzungszeit empfunden haben.“ Bei anderen war auch Sensationslust im Spiel. Wie etwa bei der Spotter-Truppe aus den Niederlanden, die sich kurz vor dem Abzug der Sowjets in Großenhain herumgetrieben hatte. „Spotting“ ist das gezielte Beobachten von Objekten oder Phänomenen, und die Holländer fotografierten und filmten akribisch die Starts und Landungen der MiGs. Nach 20 Jahren kamen sie zurück, um im Flugplatzmuseum in Erinnerungen an diese wilde Zeit zu schwelgen. Eine Gruppe ehemaliger NVA-Offiziere, die Ende der 1950er Jahre in Großenhain ihre Ausbildung absolviert hat, schaute anlässlich eines Klassentreffens im Museum vorbei. Obwohl die Waffenbrüderschaft in der Propaganda heftig gefeiert wurde, wussten die Volksarmisten nichts darüber, was damals auf dem unmittelbar benachbarten Flugplatz passierte.

Das Museum hat die Flugplatzgeschichte zwar bis zu den Anfängen in der Kaiserzeit aufgearbeitet, Kern der Ausstellung aber ist die sowjetische Militärgeschichte. Am 2. Mai 1945 landeten erstmals Sowjet-Fliegerkräfte: ein Schlachfliegergeschwader mit IL2-Maschinen sowie die 9. Garde-Jagdfliegerdivision unter dem Kriegshelden Alexander Pokryschkin. Die Großenhainer Hobbyhistoriker stehen in Verbindung mit den Nachkommen des Gardeobristen und haben aus Russland eine Vielzahl Zeitzeugnisse geschickt bekommen. Die kann man seit einigen Jahren im ehemaligen Sonderwaffenlager, einem Bunkerbau mit meterdicken Beton- und Stahlbewehrungen, studieren. In der Ausstellung gibt es ein Holzmodell des Flugplatzgeländes mit allen Gebäuden zu sehen, die beim Abzug der Sowjets noch standen. Außerdem wurden militärische Schulungstafeln, Funktechnik und Utensilien aus dem Soldatenalltag – eiserne Gitterbetten etwa, Feldlager-Blechnäpfe und Kanonenöfen zusammengetragen. Zum Kern der Historiker-Truppe gehören neben Marcel Reichel die Russischlehrerin Carola Gärtig und der Moskauer Andrej Tschekmarjow. Über Begegnungen, Briefverbindungen und über die Website www.grhn105.eu werden ständig neue Erkenntnisse und Exponate zur Flugplatzgeschichte zusammengetragen.