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Villa Kunterbunt für Radeberg

Der Verein Haushalten bietet am Bahnhof günstige Räume für Vereine und Künstler an. Das Konzept stammt aus Leipzig.

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© Thorsten Eckert

Von Thomas Drendel

Die Haustür muss eine Art Zeitschleuse sein: Ist man da durch, breitet sich DDR-Wohnatmosphäre aus. Kohleöfen in den Zimmern, alte Waschbecken, Blümchentapete und im Hausflur hängt noch das Schild mit den ehemaligen Mietern. Der Name des ABVs, des Abschnittsbevollmächtigten, ist ebenfalls verzeichnet. Thomas Prestel ist begeistert. „Trotz des langen Leerstandes, ist das Haus in einem Top-Zustand. Kein Schimmel, Türen und Fenster in Ordnung, Elektro, Gas- und Wasseranschlüsse vorhanden“, sagt der junge Mann vom Verein Haushalten aus Dresden. In seinen Gedanken ist das Backsteingebäude direkt neben dem Radeberger Bahnhof schon von den unterschiedlichsten Menschen bevölkert. „Hier in dem etwas schmalen Raum könnte ein Büro eingerichtet werden, hier in dem mit den großen Fenstern ein Atelier.“

Thomas Prestel vom Dresdner Verein Haushalten lädt ins neue Wächterhaus in Radeberg ein. Offiziell geht es hier am 1. September los. Dann wird die Hälfte des Backsteingebäudes am Radeberger Bahnhof an Vereine, Initiativen oder Künstler vermietet. Sie zahl
Thomas Prestel vom Dresdner Verein Haushalten lädt ins neue Wächterhaus in Radeberg ein. Offiziell geht es hier am 1. September los. Dann wird die Hälfte des Backsteingebäudes am Radeberger Bahnhof an Vereine, Initiativen oder Künstler vermietet. Sie zahl © Thorsten Eckert
Ein eisernes Geländer ziert das Treppenhaus. Die Bausubstanz ist völlig in Ordnung.
Ein eisernes Geländer ziert das Treppenhaus. Die Bausubstanz ist völlig in Ordnung. © Thorsten Eckert
Das Namensschild eines früheren Mieters. Es ist zugleich Motto im Wächterhaus.
Das Namensschild eines früheren Mieters. Es ist zugleich Motto im Wächterhaus. © Thorsten Eckert

Der Dresdner ist nicht etwa Immobilienmakler, der die Räume zu Spitzenmieten an den Mann bringen will. „Das Haus Am Bahnhof Nummer 6 soll zu einem Wächterhaus werden. Die Bewohner zahlen nur die Betriebs- und die Nebenkosten. Dafür achten sie darauf, dass das Gebäude in Schuss bleibt. Viel Fläche für wenig Geld ist das Motto.“ – Entstanden ist dieses Konzept vor einigen Jahren in Leipzig mit seinen vielen leerstehenden Mietshäusern. Den Eigentümern fehlte das Geld oder es lohnte sich keine klassische Sanierung wegen fehlender Nachfrage oder der Lage. Auf der anderen Seite brauchen Vereine, Initiativen, Designer oder Künstler bezahlbare Räume. Normale Mieten können sie sich nicht leisten. Es werden Mietverträge abgeschlossen. Meist stellen die Besitzer ihre Immobilie für die Dauer von fünf bis sieben Jahren zur Verfügung. Das Konzept, 2004 aus der Taufe gehoben, findet immer mehr Anhänger. Thomas Prestel schätzt, dass es deutschlandweit mittlerweile etwa 20 solcher Wächterhäuser gibt, die meisten in Leipzig, aber auch in Halle, Erfurt, Chemnitz, Dresden und Görlitz haben sich solche Projekte etabliert. Den Städten kommt diese Nutzungsart meist sehr gelegen, wird doch Leerstand vermieden, der oft Vandalismus nach sich zieht. Auch die Stadt Radeberg ist mit dem Konzept einverstanden, wie Thomas Prestel sagt. „Wir sind bei unseren Gesprächen im Rathaus auf Begeisterung gestoßen. In den Ämtern war die Zustimmung groß.“ – In Dresden betreibt „Haushalten“ bisher ein Wächterhaus. Es steht am Emerich-Ambros-Ufer und wurde 2013 eröffnet. „Die Nachfrage war sehr groß schon kurze Zeit nach Bekanntwerden, gab es über einhundert Anfragen. Seitdem ist es ausgebucht“, sagt Thomas Prestel. Einquartiert haben sich Vereine, wie die Jugendinitiative Demokratie, deren Mitglieder sich auf die Fahnen geschrieben haben, Demokratie jungen Menschen näher zu bringen. Auch eine Gruppe von Kunststudenten hat sich mit ihren Ateliers einquartiert. Der Eigentümer schließt mit dem Verein Haushalten einen Vertrag ab und der wiederum mit den einzelnen Mietern. „Darin ist alles rechtssicher geregelt, was die Kosten angeht oder wer bei Schäden haftet.“

Dass jetzt auch in Radeberg ein Wächterhaus eröffnet wird, ist einem glücklichen Umstand zu verdanken. Der Eigentümer des Backsteinhauses am Bahnhof hat sich an den Verein gewandt. „Das ist eher ungewöhnlich. Normalerweise müssen wir die Eigentümer leerstehender Häuser aufwendig ausfindig machen und nachfragen. Dieser besondere Umstand hier hat uns natürlich sehr gefreut“, sagt Thomas Prestel. Mehrere Monate wurden zwischen dem Besitzer Simon Brugner und dem Verein E-Mails hin und her geschickt. Dann kam der Eigentümer aus Wien nach Dresden und Radeberg. Verträge wurden ausgearbeitet. Seit einigen Tagen sind sie unterschrieben. Jetzt kann es mit dem Radeberger Wächterhaus losgehen. Offizieller Start ist der 1, September. Thomas Prestel ist zuversichtlich, dass auch hier die Räume schnell weggehen. „Zum einen ist die Nachfrage in Dresden weiterhin hoch und das Radeberger Haus ist ideal gelegen. In einer viertel Stunde erreicht man es mit dem Zug vom Bahnhof Neustadt aus.“ Vermietet werden sollen die sechs Wohnungen ebenfalls an Vereine, Künstler oder Initiativen. „Wir werden da auch einzelne Räume vergeben. Das hängt von der Nutzungsart ab“, sagt der Dresdner. Zum Wohnen sollen sie nicht dienen. Auch reines Gewerbe soll da nicht einziehen. „Über unsere Internetseite kann sich ab sofort jeder melden.“ Fünf Jahre wird es jetzt als Wächterhaus dienen. Was danach passiert ist offen. „Es gibt da die verschiedensten Optionen. Denkbar ist, nach den fünf Jahren das Haus zu sanieren und Wohnungen einzurichten. Möglich ist aber auch, dass die Projekte darin bleiben. Wir werden sehen, wie sich das Projekt entwickelt“, sagt der Eigentümer.

www.haushalten-dresden.de