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Vom „Pannen-Hilbert“ zum Oberbürgermeister

Dirk Hilbert lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Mit dieser Methode wird er nun wohl auch die Landeshauptstadt regieren.

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© Norbert Neumann

Von Andreas Weller

Dirk Hilbert hat mit seiner gemütlichen Art die Herzen der meisten Dresdner erobert. Gestern haben sie ihn zum neuen Stadtoberhaupt für die kommenden sieben Jahre gewählt. Auch wenn sein Slogan „Auf Sieg“ etwas martialisch wirkte, ging sein Konzept auf. Der Mann mit dem Spitznamen „Teddybär“ führt Dresden nun in die neue alte Gemütlichkeit – wie Balu der Bär aus Walt Disneys Dschungelbuch.

Hilbert profitierte von der Schwäche der CDU und dem Gefühl der meisten Dresdner, die Stadtratsmehrheit aus Linken, Grünen, SPD und Piraten nicht noch durch eine von ihnen unterstützte sozialdemokratische Oberbürgermeisterin Eva-Maria Stange stärken zu wollen. Der Mann passt zu Dresden: Irgendwie immer durchlavieren, keine klaren Positionen beziehen – nicht gegen Pegida, auch nicht gegen Neonazis, wie es seine Vorgängerin Helma Orosz (CDU) zumindest zuletzt rund um den 13. Februar getan hat. Es spricht vielen Dresdnern offenbar aus der Seele, lieber zu bewahren als zu verändern. „Ich bin kein Innovator“, sagt Hilbert über sich selbst. Was in anderen Städten der Republik vielleicht von den Wählern abgestraft worden wäre, wird hier als Stärke gesehen. Hilbert gefällt der Mehrheit der Dresdner. Wahrscheinlich auch, weil er von sich selbst sagt: „Ich bin nicht der Politiker-Typ. Aber ich möchte meine Stadt gestalten.“

1971 wurde Hilbert in Dresden geboren, hat zwei jüngere Brüder, war ein guter Schüler, lernte dann Elektronikfacharbeiter, hat sein Abitur am Abendgymnasium nachgeholt und dann Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Von 1997 an hat Hilbert das Weinfest in Radebeul mitorganisiert und dadurch seine Liebe zum Wein entdeckt. „Ich mag vor allem die kräftigen, komplexen Rotweine“, sagt er. Deshalb darf daheim in Klotzsche der gut bestückte Weinkeller nicht fehlen. Nach einem zweijährigen Abstecher nach Köln und einem kurzfristigen Engagement bei der Firma CargoLifter kam er 2001 zurück nach Dresden. Die FDP, deren Mitglied er seit 1990 ist, holte ihn als Wirtschaftsbürgermeister in die Riege unter dem damals frisch gewählten Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP). Warum Hilbert Mitglied in der FDP ist? Weil die Jungliberalen ihn in den Wendetagen einluden und er es spannend fand, die Partei in Dresden aufzubauen.

Als Bürgermeister legte er einen holprigen Start hin, der ihm den Spitznamen „Pannen-Hilbert“ einbrachte. Weil er unter anderem bei der Umstrukturierung des Striezelmarktes unglücklich agierte. Nachdem er die Wochenmärkte privatisiert hatte, ging die Angst um, er wolle auch den Striezelmarkt aus städtischer Hand geben. Dagegen begehrte selbst die privatisierungsfreudige CDU auf, die ihn sonst unterstützte. Im Ostragehege ließ er einen Festplatz bauen, den die Schausteller ablehnten. Die ehemalige „Vogelwiese“ musste der Waldschlößchenbrücke weichen.

„Aus dieser Zeit hat Dirk Hilbert viel gelernt“, sagt ein Vertrauter. Vor allem wohl, sich durch nichts aus der Ruhe bringen zu lassen. Hilbert hat die Begabung, Probleme länger auszusitzen als viele andere. Das lässt ihn heute unerschütterlich und eben ziemlich gemütlich wirken.

Sein im Nachhinein größter Schachzug gelang ihm, als er 2008 zum ersten Mal als Oberbürgermeister kandidierte. Damals offen als FDP-Kandidat. Im zweiten Wahlgang zog er sich zurück, unterstützte Helma Orosz. Der Preis dafür: Sie und die CDU verpflichteten sich, Hilbert zum Stellvertreter zu machen. Das war in zweierlei Hinsicht ein Glücksfall für ihn. Am Wahltag war er auf Dienstreise in Südkorea, lernte dort seine spätere Frau kennen, fand seine große Liebe und hat mit ihr mittlerweile einen Sohn. Außerdem kam er so in die Situation, 2011/2012 mehr als ein Jahr amtierender OB zu sein. Durch Orosz Krankheit schnupperte er den Duft der Macht.

„Früher habe ich immer gedacht, OB möchte ich nicht sein. Aber durch die Vertretungen habe ich Gefallen daran gefunden, die letzte Entscheidung treffen zu können“, sagt Hilbert heute. Über die Jahre wuchs der Gedanke, tatsächlich selbst gewähltes Stadtoberhaupt werden zu wollen. Als Vertreter hat Hilbert Duftmarken gesetzt. Im Stadtrat gilt er als guter Moderator und er legte eine leicht veränderte Planung für das Dauerstreitthema Königsbrücker Straße vor. Dieser Variante wollten damals Linke, SPD und Grüne sogar zustimmen. Sie scheiterte an der eigenen FDP und der CDU, die da noch die Mehrheit im Stadtrat stellten.

Dennoch war es ein politischer Meilenstein: Der Gemütliche zeigte plötzlich Inhalt, profilierte sich, statt seine Chefin nur zu vertreten. Seine diplomatische Feuertaufe bestand Hilbert 2011 in St. Petersburg. Zum 50. Jubiläum der Städtepartnerschaft floss reichlich Wodka. So viel, dass Hilbert seinen ersten Termin am nächsten Morgen verpasste. Die besorgten Russen fragten, was los sei. Als sie zu hören bekamen, Hilbert gehe es nicht gut, boten sie an: Die Leibärzte von Wladimir Putin, die im selben Hotel waren, könnten nach ihm schauen. Hilbert bewies „Stehvermögen“ und schleppte sich zum nächsten Termin. Heute lacht er darüber und sagt: „Putin ist eine beeindruckende Persönlichkeit.“ Über den Wodka-Exzess verliert er lieber kein Wort.

Nach dem frühzeitigen Rückzug von Orosz Ende Februar dieses Jahres, konnte Hilbert quasi aus dem Amt heraus in den Wahlkampf gehen. Von dem Moment an setzte er auf Überparteilichkeit, lässt seit Monaten seine FDP-Mitgliedschaft ruhen, um unabhängiger Kandidat sein zu können. Tatsächlich fanden sich in seinem Wahlkampfteam nur einzelne FDP-Leute.

Hilbert hat von Anfang an mit Vehemenz verkündet: „Ich gehe auf Sieg!“ Damit ist er den „störenden Klotz“ FDP losgeworden. Nicht, weil er sich mit FDP-Frontmann Holger Zastrow überworfen hätte. Aber die jüngsten Wahlergebnisse haben deutlich gezeigt, dass sich die Liberalen auf dem absteigenden Ast befindet. Bei der Stadtratswahl 2014 gab es magere fünf Prozent – die AfD kam auf sieben Prozent. Hilbert strampelte sich frei und schafft es einigermaßen, sich unabhängig zu präsentieren. Wenn da nicht hin und wieder Störfeuer gekommen wäre. Zastrow und Co. gaben hin und wieder unbedachte Äußerungen wie „unser Kandidat“ von sich, die CDU-Jugend und auch Linke, Grüne und SPD versuchten Hilbert das FDP-Schild anzuheften. Aber bereits beim ersten Wahlgang am 7. Juni ließ Hilbert den CDU-Kandidaten Markus Ulbig deutlich hinter sich.

Auch wenn es verlockend gewesen sein mag, sich von der CDU für den zweiten Wahlgang die Unterstützung mit Zugeständnissen zu „erkaufen“, widerstand Hilbert. Immerhin hat die CDU in Dresden das größte Wählerpotenzial aller Parteien. Hilbert hätte seinen Sieg vorzeitig absichern können. Nach anfänglichem Zögern und Beratungen in seiner Wählerinitiative, erteilte er der CDU eine Absage.

Gut gepokert, denn nur gut eine Woche später, gab es die Wahlempfehlung durch die CDU doch – ohne jede Gegenleistung Hilberts. Auch diese Situation hat er also ausgesessen und wurde bestätigt. Nicht mal die zunächst offene Unterstützung der islamkritischen Pegida-Bewegung für den zweiten Wahlgang veranlasste Hilbert zum Handeln. Ohne Pegida abzulehnen, gab es einen Angriffspunkt. Aber auch dieser mögliche Makel versandete ganz gemütlich.

Wie Wasser an Teflon perlt Kritik an Hilbert scheinbar ab. Eher gelangweilt schaute er, wenn Stadträte ihn wie beim Nanozentrum in die Mangel nahmen. Hilbert wollte eine Geldspritze für das Projekt, das er auf die Beine gestellt hat, das seit Jahren schlecht läuft und bei dem er immer wieder unglücklich agierte. „Da ich für Sie so ein schlechter Wirtschaftsbürgermeister bin, werden Sie sich ja freuen, wenn ich künftig Oberbürgermeister bin“, entgegnete er den Kritikern leicht überheblich.

Bei Besuchen in Asylbewerberunterkünften wirkte Hilbert eher ungelenk. Kritiker sagen zudem, seine Art zu repräsentieren sei kein gutes Aushängeschild für die Stadt. Andererseits wirkt und ist er bodenständig. Immer mit dem Hang, Probleme auszusitzen. Will Hilbert etwas voranbringen, holt er sich Experten. Immerhin ist er kein Politiker, der denkt, nur er könne die richtige Lösung finden.

Dennoch muss auch er zunächst in die Rolle des richtigen Oberbürgermeisters hereinwachsen. Innovation wird von einem Stadtoberhaupt einer Landeshauptstadt erwartet. Das Hereinwachsen hat als Wirtschaftsbürgermeister geklappt. Auch wenn es einige Jahre gedauert hat. So viel Zeit wird Hilbert nun nicht haben. Jetzt schauen alle noch genauer auf ihn. Und er muss mit einer Stadtratsmehrheit aus Linken. Grünen, SPD und Piraten zusammenarbeiten, die ab Herbst auch die meisten Fachbürgermeister stellen werden. Das linke Lager dürfte die größte Herausforderung werden: Hilbert muss den Spagat schaffen, die Erwartungen zu erfüllen, braucht aber für alle Themen die Stimmen der Mehrheit.

Einen ersten Vorgeschmack wird es am 6. August geben. Da leitet Hilbert die Sitzung, in der der Rat die neuen Fachbürgermeister wählt. Verweigert Hilbert sein Einvernehmen zu den Personalien oder nimmt er sie gemütlich hin? Die ersten Wochen nach der Wahl werden zeigen, welche Richtung Dresden mit seinem neuen OB einschlägt. Hilbert sagt deutlich, er wolle es künftig Rot-Grün-Rot ungemütlich machen. Vielleicht wird das sein neuer Stil.