Von Nora Domschke
Große bunte Schilder an der Kreuzung von Dohnaer und Spitzwegstraße weisen den Weg zur Gaststätte und Pension „Zum Knipser“. Im Logo ist eine historische Kamera zu sehen – vermutlich spielt dort also alte Film- und Fototechnik eine Rolle, vielleicht sind ein paar historische Kameras ausgestellt. Wer das erwartet, wird allerdings überrascht sein: Denn im „Knipser“ sind echte Profis am Werk, die in den Räumen ein riesiges Sammelsurium an Projektoren, alten Filmrollen und unzähligen Fotoapparaten zusammengetragen haben.
Blick in das "Knipser"
Die beiden Profis sind Wilfried und Ursula Schumann. Bis Ende der 1980er-Jahre führte die Familie auf dem Grundstück in der Dohnaer Straße 81 b eine „filmtechnische Anstalt“. Rückblick: Gegründet wurde die Firma 1926 von dem deutsch-russischen Mechaniker Wladimir Schmidt, damals allerdings in der Pfotenhauerstraße in der Johannstadt. Er fertigte Kameras und Kino-Projektoren, die in verschiedene europäische Länder exportiert wurden. Als die Bomben des Zweiten Weltkriegs die Werkstätten zerstörten, wagten Schmidt und sein Mitarbeiter Erich Schumann einen Neuanfang an der Dohnaer Straße.
Ihr großer Vorteil gegenüber der Konkurrenz: Die ausgelagerten Maschinen und Werkzeuge überstanden die Kriegswirren unbeschadet im Leubnitzer Klosterhof – die Produktion konnte also schnell weitergehen. Das Auftragsbuch war stets gut gefüllt, Erich Schumann wurde Mitinhaber, übernahm den Betrieb in den 1960er-Jahren und beschäftigte bis zu zehn Mitarbeiter. Auftraggeber waren neben volkseigenen Betrieben (VEB) zunehmend auch Dresdner Hochschulen, die von Schumann Kurzfilme drehen ließen. „Das waren aber keine Kunstfilme, sondern Aufnahmen von wissenschaftlichen Versuchen“, erklärt Wilfried Schumann. Für Unternehmen wie den VEB Schokoladen- und Verpackungsmaschinen in Reick filmte sein Vater zum Beispiel, wie ein Gerät Bonbons in Papier verpackt – das ging so schnell, dass der Vorgang nur mithilfe einer Zeitlupen-Aufnahme zu erkennen war. Ab 1978 führte Wilfried Schumann die Geschäfte, seine Frau Ursula, studierte Ökonomin, unterstützte ihn dabei. „Ich habe mich um die Buchhaltung gekümmert“, erzählt sie heute, „aber auch Kopien von Dia-Serien gemacht.“ Bis zu 1 000 Bilder pro Serie mussten vervielfältigt werden.
Als zur politischen Wende 1989 mit vielen Dresdner Betrieben Schumanns Auftraggeber wegbrachen, sattelte der gelernte Filmtechniker kurzerhand um. Die neue Geschäftsidee: ein Fotostudio mit Café. Im Obergeschoss wurden Porträtbilder für Bewerbungsmappen geknipst, Urlaubsfilme entwickelt, Werbefotos für Firmen gestaltet. In den ehemaligen Produktionsräumen im Erdgeschoss gab’s nach dem Foto-Shooting eine Tasse Kaffee. Anfang der 1990er-Jahre gehörte das Eiscafé zu den beliebten Ausflugszielen im Dresdner Süden.
Kaffee und Kuchen wurden im Laufe der Zeit durch herzhafte Speisen ergänzt – heute gibt es im „Knipser“ vor allem deutsche Hausmannskost wie etwa Bauernfrühstück und Schnitzel. Das allein ist nichts Besonderes – aber außergewöhnlich ist Schumanns Kneipe auf jeden Fall. Denn seine Gäste sitzen in einem Museum, umringt von Hunderten alten Kameras in Glasvitrinen, historischen Kino-Projektoren zwischen den Tischen, Fotos aus aller Welt an Wänden und Decken. Ein buntes Sammelsurium, in dem es in jeder Ecke etwas Neues zu entdecken gibt. Und in dem jedes Stück seine eigene Geschichte hat. Wie zum Beispiel die Kinostühle aus dem nahe gelegenen Olympia-Kino, das 1995 geschlossen wurde. Schumanns bewahren so mit ihrer Sammlung auch einen wichtigen Teil der Dresdner Stadtgeschichte auf.
Seit einigen Jahren führt ihr Sohn Thomas die Geschäfte. Doch so richtig kann und will das Rentnerehepaar den verdienten Ruhestand noch nicht genießen. Immer donnerstags gibt es viel zu tun: Dann wird die Kneipe zum Stammtisch für den Motorclub Motorveteranen Dresden. Dabei wird nicht nur über alte Film-, sondern auch über in die Jahre gekommene Auto- und Motorradtechnik gefachsimpelt.