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Was 1 000 Jahre alte Funde erzählen

Die neue Schau im Museum Bautzen zeigt unscheinbare Schätze aus der Zeit vor 1200 –und eine besondere Stickerei.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Vorsichtig hält Moritz Seeburger, Volontär der Archäologie am Bautzener Museum, einen Unterkiefer mit fünf Zähnen zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann legt er das Exponat in die Vitrine neben 90 andere Knochenfunde. Sie entdeckte Felix Wilhelm 1902 bei seiner Grabung am slawischen Burgwall bei Niedergurig. Jedes Fundstück versah er damals mit einer Nummer und bestimmte auch, zu welchem Tier die Überbleibsel gehören. Dann verstaute er den Schatz in Kisten.

Das Schwert stammt aus einer bäuerlichen Siedlung auf der Halbinsel Reiherwerder im Tegeler See in Berlin. Die Archäologen rätseln noch, wie der Einzelfund dort hinkam.
Das Schwert stammt aus einer bäuerlichen Siedlung auf der Halbinsel Reiherwerder im Tegeler See in Berlin. Die Archäologen rätseln noch, wie der Einzelfund dort hinkam. © Uwe Soeder
Erstmals wird in Sachsen die Reproduktion des Teppichs von Bayeux gezeigt. Die Stickerei erzählt auf 70 Metern die Geschichte der Eroberung Englands im Jahr 1066.
Erstmals wird in Sachsen die Reproduktion des Teppichs von Bayeux gezeigt. Die Stickerei erzählt auf 70 Metern die Geschichte der Eroberung Englands im Jahr 1066. © Uwe Soeder

Für die neue Sonderausstellung „Burgen, Scherben, Schläfenringe – Regionale Archäologie des Mittelalters“ hebt nun das Bautzener Museum diese unscheinbare Kostbarkeit. Museumsleiter Jürgen Vollbrecht nimmt einen Rest eines Schweinekiefers in die Hand. „Wir wissen, dass in dieser Siedlung Kühe, Schafe, Ziegen und Vögel gelebt haben. Wir vermuten, dass das Schwein auch in unserer Region der Hauptfleischlieferant war. Hinweise fehlen uns, dazu müssten wir heute weiterführende Analysen in Auftrag geben“, sagt der Archäologe. Für die Zeit vor 1200, als in der Oberlausitz die slawischen Milzener ihre Burgen und Siedlungen errichteten, hängen unzählige solcher losen Forschungsenden in der Luft. Die Niederlausitz dagegen ist viel besser untersucht. Deshalb soll die Schau auch Potenziale aufzeigen, welche mittelalterlichen archäologischen Funde und Befunde neu zu betrachten sind.

Jeder Grabungstag ist festgehalten

Moritz Seeburger schließt die Vitrine mit den Tierknochen und nimmt ein dickes Buch zur Hand. In verschnörkelter Schrift steht auf dem Einband „Grabungsberichte 1901 – 1923“. Es ist die Chronik des Vereins für Anthropologie und Urgeschichte der Oberlausitz, Zweigverein Oberlausitz. Jeder Grabungstag ist auf diesen vergilbten Blättern festgehalten, allerdings eher kurz und bündig. Zum Beispiel bekommen die Funde bei Nimschütz nur einen Dreizeiler. „Heute würden Archäologen alle Funde dreidimensional aufmessen und zeichnen. Dazu kämen umfangreiche Beschreibungen. Wir haben doch ganz andere methodische Werkzeuge“, sagt Jürgen Vollbrecht und öffnet einen Karton. Daraus holt er ein 1 000 Jahre altes Schwert. Auch dieser Fund aus einer ehemaligen bäuerlichen Siedlung auf der Halbinsel Reiherwerder im Tegeler See in Berlin ist noch ein Mysterium. „Eigentlich finden sich keine Hinweise auf Schwertträger in solchen Siedlungen. Krieger kamen aus bestimmten sozialen Schichten. Aber es gibt bestimmt eine Erklärung“, sagt der Museumsleiter. In Burgwällen wäre es wahrscheinlicher, ein Schwert zu finden. 60 solcher Anlagen befinden sich in der Oberlausitz. Bei Grabungen an der Burg von Brohna wurde zum Beispiel 1949 eine Holz-Rost-Konstruktion von neun Meter Höhe und neun Meter Breite entdeckt, höchstwahrscheinlich um die Bewohner zu schützen. Vielleicht aber auch nicht. „Denn wir waren ja nicht dabei“, sagt Vollbrecht.

Der Museumschef geht einen Raum weiter. Dort hängt eine Reproduktion des Teppichs von Bayeux. Das Original ist in der französischen Normandie zu sehen und inzwischen Unesco-Weltkulturerbe. Die Stickarbeit von knapp 70 Metern Länge erzählt in Bild und Text in 58 Einzelszenen die Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm den Eroberer. „Es ist eine Geschichte von Macht, Versprechungen und gebrochener Worte“, sagt Jürgen Vollbrecht und bleibt am Anfang des gigantischen Teppichs stehen. Dort trifft Harald Godwinson, Earl of Wessex mit dem englischen König Edward zusammen. Der Geschichtenfries endet mit der Schlacht von Hastings am 14. Oktober 1066, bei dem Harald Godwinson einem normannischen Reiterangriff zum Opfer fiel. Die angelsächsischen Truppen flohen daraufhin vom Schlachtfeld. Der Normannenherzog Wilhelm erhält so Weihnachten die englische Königskrone.

Fadenenden zusammenführen

Dazwischen wimmelt es nur so an Geschichten. Es wird gegessen, Zeremonien abgehalten, gepflückt, immer wieder mit dem Schiff in See gestochen und gekämpft. Auf den erhaltenen Szenen sind insgesamt 623 Menschen, 202 Pferde, 55 Hunde, 505 andere Tiere, 27 Gebäude, 41 Schiffe und Boote sowie 49 Bäume abgebildet. Den Bilderteppich begleiten ein beschreibender lateinischer Text und seine deutsche Übersetzung. Sie erläutert die Handlung. Nach Ansicht vieler Wissenschaftler dürfte der Bildteppich vor 1082 in Südengland im Auftrag Bischofs Odo von Bayeux angefertigt worden sein. „Wir bekommen so einen Einblick in das mittelalterliche Alltagsleben. Dieser Blick fehlt uns noch auf die Oberlausitz“, sagt Jürgen Vollbrecht. Die neue Ausstellung hilft nun, lose Fadenenden zusammenzuführen und ein paar Denkstöße mitzunehmen.

Ausstellungseröffnung heute um 15 Uhr. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 – 18 Uhr

www.museum-bautzen.de