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Was gilt jetzt für die Physiotherapie?

Massagesalons mussten wegen Corona schließen, Physiotherapien nicht. Das gefällt nicht allen – und sorgt für Verunsicherung.

Von Stephanie Wesely
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Die Physiotherapeutinnen Ina Richter (hinten links) und Susanne Steinert (rechts) behandeln auch in Corona-Zeiten.
Die Physiotherapeutinnen Ina Richter (hinten links) und Susanne Steinert (rechts) behandeln auch in Corona-Zeiten. © Hendrik Jattke

Seit Montag gelten verschärfte Corona-Regeln. Dazu gehört, dass zum Beispiel Massagesalons schließen mussten. Eine Gruppe von Physiotherapeuten in Sachsen fordert das nun auch für ihre Praxen. Denn wegen des meist engen körperlichen Kontakts während der Behandlung sei das Infektionsrisiko bei Beschäftigten und Patienten erhöht. „Viele Therapeuten haben schlichtweg Angst. Nicht nur um sich selbst, sondern auch davor, andere anzustecken“, sagt Christian Thieme, Sachsens Landesgruppenvorsitzender des Verbandes der Physikalischen Therapie (VPT). Und das nicht ohne Grund: „Die meisten Praxen haben keine Schutzausrüstung.“

Das Problem: Von Amts wegen können die Physiotherapiepraxen gar nicht geschlossen werden, wie Thieme sagt. Physiotherapeuten sind systemrelevant, das heißt, sie gehören ausdrücklich zum Kern der Gesundheitsversorgung wie Krankenhäuser, Ärzte und Apotheker. Sie dürfen – und müssen – weiterhin Patienten behandeln, weil eine effektive und frühzeitige Physiotherapie zum Beispiel Folgeschäden wie Pflegebedürftigkeit verhindern kann. Für Massagesalons, die reinen Wellness-Charakter haben, gelte das nicht. Genau so wenig für reine Privatleistungen in der Physiotherapie. „Alle Behandlungen ohne Rezept sind nicht medizinisch notwendig und müssen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Nur notwendige Behandlungen sind jetzt noch erlaubt“, erklärt Christian Thieme. Dazu gehörten zum Beispiel aktuelle Verordnungen.

„Wir gehen davon aus, dass die Ärzte die Beschränkungen aufgrund der Infektionsgefahr kennen und nur dann ein Physiotherapierezept ausstellen, wenn es unbedingt erforderlich ist.“ Auch laufende Behandlungen, die sonst schwere Folgeschäden hätten – zum Beispiel eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach einem Schlaganfall – müssten fortgeführt werden. Konkrete Vorgaben gebe es nicht. „Die Therapeuten sind in der Lage, selbst zu entscheiden, welche Behandlung dringend und welche aufschiebbar ist“, so der Landesvorsitzende.

Einbußen bis 90 Prozent

Das alles bringe natürlich Einbußen mit sich. Seit Beginn der Corona-Krise lägen die Umsatzrückgänge in der Physiotherapie bei 60 bis 90 Prozent, hat der Spitzenverband der Heilmittelverbände errechnet. Gruppenkurse fielen weg, zahlreiche Patienten sagten ihre Termine ab. Die Praxisinhaber hoffen daher auf Entschädigung durch den Staat. Die gibt es derzeit aber nur, wenn eine Praxis aufgrund eines Corona-Falles geschlossen und die Mitarbeiter in Quarantäne geschickt wurden. „Wir fordern, dass uns die Ausfälle durch die Corona-Krise erstattet werden, plus der Mehrkosten für Desinfektionsmittel“, sagt der Landesvorsitzende. „Die Praxen brauchen keine Kredite, sondern Soforthilfen“, fordert der Spitzenverband. Müssten Praxen aus finanziellen Gründen schließen, würde dies auch in Sachsen auf Dauer massive Versorgungsprobleme bringen, was am Ende allen Patienten schadet.

„Um unser Personal und die Patienten zu schützen, geht zum Beispiel immer nur ein und derselbe Therapeut in ein Pflegeheim. Die alten Menschen sind gefährdet und sollen so wenig wie möglich wechselnde Behandlungskontakte haben.“ Doch oft machten Pflegeeinrichtungen auch von ihrem Hausrecht Gebrauch und verweigerten den Therapeuten den Zutritt. Das sei schade, weil Behandlungsfortschritte so schnell wieder zunichtegemacht würden.

„Wir empfehlen den Therapeuten zu ihrem Schutz dringend, die Hinweise des Robert-Koch-Institutes einzuhalten“, sagt Thieme. Vor Beginn der Behandlung sollte jeder Patient gefragt werden, ob er Kontakt zu Corona-Patienten oder in Risikogebiete hatte und ob er Krankheitssymptome zeigt. Die Patienten sollten sich die Hände gründlich waschen, wenn möglich desinfizieren. Doch einen hundertprozentigen Schutz gebe es nicht, das sei allen klar. Deshalb werde auch niemand gezwungen, seine Praxis in Corona-Zeiten zu öffnen. Für die Patienten bietet sich deshalb ein ungleiches Bild: Manche Praxen arbeiten, andere schließen wegen der Ansteckungsangst. Damit steigt aber auch die Verunsicherung. Patienten sagten möglicherweise dringende Termine ab, so der Vorsitzende.

Selbsthilfe mit Schutzmasken

Das Praxispersonal sei aber auch erfinderisch geworden. So bieten einige bereits Krankengymnastik als Videobehandlung an, zum Beispiel per Skype. Auch die fehlende Schutzausrüstung hat zu einer bisher nie erlebten Solidaritätswelle geführt. Ina Richter, Physiotherapeutin aus Flöha, hat dazu aufgerufen, dass alle, die zu Hause sind und Nähkenntnisse haben, doch Mundschutzmasken nähen und an den Landesverband schicken sollen.

„Wir verteilen die Masken je nach Bedarf, egal, ob ein Praxisinhaber Verbandsmitglied ist oder nicht. Wir helfen uns jetzt“, sagt Christian Thieme. Ina Richter spricht in ihrem Aufruf auch Änderungsschneidereien und Gardinennähereien an, die jetzt schließen mussten. Anleitungen gebe es im Netz. „Uns ist sehr wohl bekannt, dass die einfachen Schutzmasken zum Selbstschutz ungeeignet sind. Doch wir wollen nicht selbst zum Virenüberträger für Risikopatienten werden“, sagt sie. Keiner wisse genau, ob er möglicherweise mit Corona infiziert ist. Denn die Mehrzahl der Betroffenen zeige keine bis leichte Symptome. Und getestet werde man auch nur, wenn man bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Die Gefahr, unerkannt zur Ansteckungsquelle zu werden, sei bei den Physiotherapeuten zu hoch.

Was heißt systemrelevant?

Zum Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus darf nur noch die Wohnung verlassen werden, wenn ein triftiger Grund dafür vorliegt. Der ist laut Sächsischem Sozialministerium gegeben, um einzukaufen, zur Arbeit zu gehen und notwendige medizinische oder psychotherapeutische Behandlungen wahrzunehmen.

Physiotherapeuten sind genauso wie Logopäden, Ergotherapeuten und Podologen systemrelevant. Das heißt, sie dürfen – und müssen – weiterhin Patienten behandeln, könnten anderenfalls sonst sogar haftbar werden. Annerose Anys, Sachsensprecherin von Physio Deutschland sagt, dass alle Behandlungen, die ärztlich verordnet wurden, als dringend nötig gelten und erbracht werden müssen. (rnw)

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