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Was unterscheidet Kletterer und Fußballer?

Sachsens Bergsteiger haben ein besonderes Verhältnis zur Kultur. Ulrich Voigt, Ehrenvorsitzender des Bergsteigerbundes, weiß, warum.

Von Jochen Mayer
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Uli Voigt freut sich über das rege geistige Leben der Bergsteiger.
Uli Voigt freut sich über das rege geistige Leben der Bergsteiger. © Jürgen Lösel

Eine Vergangenheit haben alle Sparten im Sport. Aber Bergsteiger machen das meiste daraus. „Keine andere Sportart hat so ein reges geistiges Leben, so eine breit gefächerte Kultur mit jahrhundertalter Tradition, wie Bergsteigen“, sagt im Brustton der Überzeugung Ulrich Voigt, den in der Kletter-Szene alle Uli nennen. Ein feines Lächeln spielt dabei mit den Falten und Fältchen im Gesicht des agilen 85-Jährigen.

Mit wachem Blick scheint der Ehrenvorsitzende des Sächsischen Bergsteigerbundes (SBB), Sektion des Deutschen Alpenvereins, auf Widerspruch zu warten. „Oder hat etwa der Fußball solche Kunst in Wort, Bild, Ton und in Sachen Ethik hervorgebracht wie die Kletterer?“, fragt er im SBB-Vereinszentrum und wartet keine Antwort ab, weil er sie kennt. Das neuerbaute Dresdner Vereinsgebäude ist bester Beleg für seine stolze Ansage. Neben der imposanten Kletterhalle befinden sich Gemälde-Sonderausstellungen auf zwei Etagen, der Proberaum für die Chöre wird jede Woche genutzt, die Bibliothek und die Gipfelbuchsammlung sind sehr gefragt. Historische, Noten- und Gemäldesammlungen haben ihren Platz, die Kulturstiftung des SBB Kunst & Berge eine Heimat.

Uli Voigt weiß, wovon er spricht. Schon als Jugendlicher erlebte der Dresdner das besondere Vereinsleben bei den Kletterern von Empor Löbtau. In der Bergsteiger-Bibliothek betrieb er die Ausleihe und fand seine Schätze. „Dolle Sachen waren dabei“, schwärmt er heute noch. Er kletterte im Elbsandstein, sang mit den Bergfinken, hielt Vorträge über die Klettertraditionen in Sachsen. Sein Kletterklub TK Berglust 06 wurde zur Heimat. Jede Woche treffen sie sich. „Seit 1906“, sagt er und fügt nach einer kleinen Spannungspause hinzu: „Kaum ein Treffen ist trotz vieler schwerer Jahre ausgefallen.“

Klettern ist immer eine Kopfsache für Ulrich Voigt, „weil es dabei um grundlegende Dinge geht, um Leben und Tod, um Verantwortung sich selbst und den Angehörigen, Kletterkameraden, Freunden, der Gesellschaft gegenüber. Das ist ein wunderbarer Nährboden für Künstler, für Schriftsteller, Dichter, Maler, Komponisten.“ Für den promovierten Physiker, der als Glaziologe auf Spitzbergen forschte und sich im DDR-System schwertat, war die Sächsische Schweiz immer etwas Besonderes. „So etwas gibt es nicht noch mal auf der Welt“, schwärmt er. „Natürlich kann man auch anderswo an Sandsteinfelsen klettern. Aber diese Vielfalt, die tausend Felstürme, die Elbe, die Wälder, die Dörfer, die Menschen, die Traditionen, machen die Sächsische Schweiz zu etwas Herausragendem in der Welt. Dazu haben wir noch unsere eigenen Kletterregeln. Das alles sorgt für die besondere Bindung der Sachsen an ihre Bergheimat.“

Ulrich Voigt im Jahr 2014, als er im Alter von 80 Jahren den Falkenstein bestieg.
Ulrich Voigt im Jahr 2014, als er im Alter von 80 Jahren den Falkenstein bestieg. © Mike Jäger

Für den ersten Nachwende-Vorsitzenden des SBB, der jetzt schon über 15.000 Mitglieder zählt, gibt es noch einen besonderen Grund, dass in Deutschland die sächsischen Kletterer einen besonderen Draht zur Kunst haben – die Kulturstadt Dresden. „Schon vor dem Zweiten Weltkrieg gab es unter den SBB-Bergsteigern Künstler aus allen Richtungen“, weiß Ulrich Voigt. „Wenn ein Kern von Kultur da ist, dann finden sich immer Leute, die mitmachen, die schöpferisch sind, die malen, dichten, komponieren und philosophieren. Wo gibt es das sonst im Sport?“ Und er erinnert an die Satzung der SBB-Stiftung Kunst & Berge: „Wir sammeln nicht nur alles und bewahren es auf. Kultur wird bei uns aktiv betrieben! Der SBB und der Alpenverein sind Sport- und Naturschutzvereine mit der Kultur als einer dritten tragenden Säule.“

Ein Selbstläufer ist die Kultur aber nicht. Selbst die traditionsbewussten Bayern schauten schräg auf die Sachsen, weil die eine gemeinsame Bergsteiger-Kulturwoche in München auf die Beine stellen wollten, in der an jedem Tag eine andere Sparte agieren sollte. „So ein sächsisch-bayerisches Projekt kam leider nicht zustande“, bedauert Ulrich Voigt. „Es war den Bayern eine Nummer zu groß.“ Und er schwärmt über das Festival Sandstein & Musik, in das der SBB mit eingestiegen ist. Es steht unter der künstlerischen Leitung von Ludwig Güttler. Die nun schon 27. Auflage umfasst 28 verschiedene Programme, die zwischen dem 23. März und 8. Dezember in der Region Elbsandsteingebirge/Osterzgebirge aufgeführt werden. Die SBB-Bergsteigerchöre sind da auch dabei.

Ulrich Voigt will die Kultur weiter in den Sport-Alltag bringen. Und so liegen ihm die Gemälde am Herzen, die als wechselnde Sonderschau im SBB-Bau allen zugänglich sind. Eine Auswahl von Hanns Herzings Werken war in den Wintermonaten zu sehen. Die nächste Ausstellung zeigt eine Auswahl aus der Nachlass-Stiftung des bergsteigenden Künstlers Christian Reinicke von mehreren 100 Gemälden. „Und wir wollen unsere malenden Mitglieder aufrufen, mit ihren Bildern in die Öffentlichkeit zu kommen“, das ist das nächste Projekt. „Danach könnte es eine Ausstellung mit Frank Richters Fotos geben.“ Ulrich Voigt ist sich sicher: Dank der Kulturstiftung werden Sachsens Bergsteiger auch künftig immer wieder neue Denkanstöße bekommen.

Ausstellungseröffnung: Der Dresdner Maler, Pädagoge und Bergsteiger Christian Reinicke (1937-2016): Mo., 25. März, 19 Uhr, Dresden, Papiermühlengasse 10 im SBB-Vereinshaus. Geöffnet werktags 10 bis 22 Uhr.