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Wo ein Handicap normal ist

Menschen mit Behinderung haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer. Ein Ferienhof in Weicha zeigt, dass es anders geht.

Von Franziska Springer
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André Mrusek ist trotz seiner spasmischen Krankheit seit Februar die gute Seele auf dem Weichaer Hof nahe Weißenberg.
André Mrusek ist trotz seiner spasmischen Krankheit seit Februar die gute Seele auf dem Weichaer Hof nahe Weißenberg. © SZ/Uwe Soeder

Weißenberg. Manchmal passieren die Dinge von selbst. Familientherapeut Hagen Schmidt vom Weichaer Hof lehnt sich zufrieden zurück und beginnt zu erzählen: „Demnächst bekommen wir eine weitere Reitlehrerin. Martina Schnell ist wirklich eine hervorragende Reiterin. Es ist in Zeiten des Fachkräftemangel ein Glück, dass solche Leute hier in der Nähe wohnen. Und ganz nebenbei erzählte sie mir, dass sie mal ein Jahr lang Menschen mit Handicap auf die Deutschen Meisterschaften vorbereitet hat.“

Gerade der letztgenannte Punkt ist für den Unternehmer von besonderer Bedeutung. Denn seit jeher werden auf dem idyllisch gelegenen Gehöft nahe Weißenberg Menschen mit körperlicher oder seelischer Beeinträchtigung in den Arbeitsmarkt integriert. Fünf von zehn Beschäftigten, die in der Gastronomie, den Ferienwohnungen und dem Reitbereich des Weichaer Hofes angestellt sind, gelten als schwerbehindert. 

Sie arbeiten hier, weil sie weder für die Arbeit in den Werkstätten für Behinderte, noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Aussicht auf Anstellung haben. Anders ist das auf dem Hof von Psychologin Sonja Fritsch und Sozialpädagoge Hagen Schmidt. Hier finden Menschen mit Beeinträchtigung eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und die notwendigen Rahmenbedingungen, um dieser zuverlässig nachzugehen. 

Inklusion: mehr Personal nötig

Seit Juli letzten Jahres ist das Unternehmen vonseiten des Integrationsamtes in Chemnitz offiziell als Integrationsbetrieb zertifiziert – erhält seither einen Lohnkostenzuschuss, monatliche Unterstützung pro betroffenem Angestellten und Zuschüsse, um die Arbeitsplätze der beeinträchtigten Mitarbeiter behindertengerecht auszustatten. Mindestens 30 Prozent der Angestellten müssen schwerbehindert sein, damit ein Unternehmen den Status als Inklusionsbetrieb beantragen kann.

Neben dem Weichaer Hof haben fünf andere Arbeitgeber im Landkreis Bautzen das Antragsverfahren bereits durchlaufen, vier von ihnen sind bereits zertifiziert. Sachsenweit sind es 56. Noch nicht genug, findet Hagen Schmidt, bei dem das Verhältnis zwischen gesunden und beeinträchtigten Angestellten sogar 50:50 beträgt: Man kann mit den Leuten arbeiten! Natürlich braucht man deutlich mehr Personal, weil beispielsweise die Belastungsfähigkeit einzelner geringer ist. Das weiß man aber vorher und nichtsdestotrotz ist die Arbeit mit diesen Menschen absolut sinnvoll.“

Die Leute, so Schmidt weiter, bekämen ja erst durch ein falsches Umfeld eine Behinderung. Das macht er an einem konkreten Beispiel fest: „André Mrusek ist seit 18. Februar bei uns im Büro beschäftigt. Er hat einen Spasmus rechts. Telefonieren und gleichzeitig schreiben ist schwierig für ihn. Aber die Frage ist doch, ob man deshalb ein Problem schafft oder trotz dessen Normalität herstellt – in seinem Fall haben wir ihm eben zum Telefonieren ein Headset besorgt.“

Auslastung über Oberlaiusitz-Durchschnitt

Das heißt aber nicht, dass Mitarbeiter wie André Mrusek bei Hagen Schmidt unter Welpenschutz stehen. „Herr Mrusek war einer der wenigen, die sich in der Jobbörse der Arbeitsagentur unter Klarnamen registriert haben. Das heißt ja schon einmal, dass einer Lust zum Arbeiten hat“, erklärt Schmidt seine unternehmerische Erwartung an sein Personal. Auch unter seinen Angestellten, seien die „Normalität“ der einen und das Handicap der anderen kein Thema: „Wir sitzen in Frühstücksrunden zusammen. Da wird genauso geredet und geblödelt wie in anderen Unternehmen auch. Unser Ansinnen ist es, eine Gesamtkultur herzustellen. Wir sind ein relativ kleiner Laden. Da muss jeder mit jedem können.“

Das gilt auch und vor allem um der Gäste willen, die sogar aus Japan und Amerika anreisen, um in einer der acht Ferienwohnungen auf dem Weichaer Hof zu übernachten. „2019 hatten wir eine Auslastung von 48 Prozent. Etwa 30 Prozent sind Standard in der Oberlausitz“, sagt Schmidt stolz. Für ihn ein weiteres Indiz, dass die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen kein Nachteil für Unternehmen der freien Wirtschaft ist: „Die Zielstellung ist ja, die Beschäftigung Behinderter zum Normalzustand zu machen. Der Vorteil der Anerkennung als Inklusionsbetrieb ist natürlich auch der, dass dieses Bemühen öffentlich sichtbarer ist und anerkannt wird.“

Was Anerkennung der eigenen Leistung mit Menschen macht, die seitens der Öffentlichkeit als schwerbehindert bezeichnet werden, zeigt sich an André Mrusek. Der berichtet stolz: „Ich war in meinem ganzen Leben erst ein Jahr arbeitslos!“ Im Weichaer Hof, erzählt er, sei er für die Organisation aller täglichen Abläufe zuständig: „Ich kümmere mich zum Beispiel um Buchungen und Rechnungen und vereinbare Termine mit unseren Reitschülern. Ich bin die gute Seele des Hauses.“

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