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Wenn aus Claudia Henri wird

Henri Vogel kam als Frau zur Welt und ist jetzt vor Staat und Kirche ganz offiziell ein Mann. Nun folgt die Operation.

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© Christian Juppe

Von Julia Vollmer

Drei Fragen muss Johannes Vogel immer und immer wieder beantworten. Bist du jetzt schwul? Wusstest du das schon vor eurer Hochzeit? Und: Habt ihr deshalb keine Kinder?

Mit „Das“ meinen die neugierigen Fragesteller eine große Veränderung. Johannes heiratete 2007 eigentlich eine Frau. Doch seine Ehefrau heißt jetzt Henri und ist auch laut Geburtsurkunde ganz offiziell ein Mann. Henri ist transsexuell, geboren als Mädchen fühlte er sich schon von frühester Kindheit fremd im eigenen Körper.

Johannes lernte Henri noch als Claudia kennen und verliebte sich in sie. Doch als ihn Henri drei Jahre nach der Hochzeit in seine Gefühle einweihte, reagierte er sehr verständnisvoll. „Ich liebe den Menschen, nicht das Geschlecht“, erzählt Johannes Vogel. Doch er macht kein Geheimnis daraus, dass er eine Weile gebraucht hat, um an diesen Punkt zu kommen. An der Liebe und daran, dass sie zusammenbleiben, gab es nie einen Zweifel, doch an die neue Situation mussten sich beide erst gewöhnen. Auch der neue Vorname, den Henri seit 2012 benutzt, war für ihn erst mal ungewohnt. Aber der „falsche“ rutscht Johannes nie heraus. Nur die Bezeichnung „mein Mann“ fällt ihm schwer. „Mein Partner finde ich besser“, erzählt der Einzelhandelskaufmann.

Erst mit 27 Jahren, 2010 war das, stieß Henri erstmals auf das Wort „Transsexualität“ und googelte es. „Das klingt merkwürdig, aber auf einmal war mir alles klar. Alles, was ich las, traf auf mich zu“, erzählt der heute 33-Jährige.

Ein bisschen „badearm“ waren die Sommer in den vergangenen Jahren. Viel Haut zeigen und das in der Öffentlichkeit – ist Henri unangenehm. Wenn er überhaupt ins Freibad geht, dann nicht in Dresden und nur mit einem Shirt. Auch den Besuch einer öffentlichen Toilette meidet er, wenn es geht. Er wurde schon ein paarmal in die jeweils andere Kabine geschickt – verwirrte Blicke inklusive.

Das soll sich nächsten Sommer ändern. Ende dieses Monats steht ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zum Mann an. Eine Mastektomie – die Entfernung der Brüste. Bis jetzt versteckte sie der 33-Jährige unter weiten Hemden, jetzt sollen sie in einer OP entfernt werden. Ein langer Kampf mit der Krankenkasse und unzählige Gutachten gingen dem Termin voraus. Die Kosten werden jetzt übernommen.

Nach langem Überlegen entschied er sich allerdings gegen den zweiten Teil der Geschlechtsangleichung, die Modellierung der männlichen Geschlechtsmerkmale. Zu risikoreich sei er, zu oft sei er schon schiefgegangen. Der körperlichen Nähe zwischen den beiden Partnern steht das aber nicht im Weg. Wie genau das funktioniert, wollen sie nicht verraten. „Sex wie Mann und Frau haben wir aber nicht“, erzählen sie mit einem vielsagenden Zwinkern.

Vor dem medizinischen Eingriff kämpfte sich Henri schon einmal durch den Behörden-Dschungel. Seit 2015 ist er auch laut Standesamt ein Mann. Die Ehe bleibt rechtsgültig, auch laut Kirchenrecht. Vor dieser sogenannten Personenstandsänderung befragten ihn zwei Gutachter und ein Mitarbeiter des Amtsgerichts. Immer mit der gleichen Intention: Meinen Sie es wirklich ernst? 1 400 Euro kostete das Verfahren im Ganzen. Bevor er anfangen durfte, männliche Hormone zu schlucken, musste er sechs Monate zum Therapeuten. So wie Henri änderten in diesem Jahr vier Dresdner ihr Geschlecht, 2015 waren es acht, so das Standesamt. Das Amt führt aber keine Statistik, wie viele Menschen davon vom Mann zur Frau wurden oder umgekehrt.

Als für Henri und Johannes alles klar war, blieb da noch eine Frage: Wie sagen wir es unserer Familie und unseren Freunden? Auf einer privaten Party erzählte
Henri zum ersten Mal seine Geschichte. Die Reaktionen waren durchweg positiv. Auf der Arbeit war es relativ einfach, Johannes wechselte gerade den Job. So blieben die Fragen nach der Veränderung aus. Henri geht sehr offen mit dem Thema um. Wer fragt, bekommt eine ehrliche Antwort – so das Credo. Die beiden Mütter nahmen die Nachricht gut auf.

„Für meine Mama war es keine Überraschung. Dass ich kein klassisches Mädchen bin, hat sie immer gewusst“, erzählt Henri. Aufgewachsen in der Oberlausitz mit zwei Brüdern, wählte Henri schon immer die Jungssachen von der Kleiderstange. Zu Weihnachten zog er mal ein Kleid an. „Das war Verkleiden-Spielen für mich“, so der Uni-Mitarbeiter heute. Als er in die Pubertät kam, änderte sich nichts. Mädchenkram interessierte ihn nicht, Holzfällerhemden statt Minirock lagen in seinem Schrank. Wenn Familie und Freunde ihn fragten „Wann bekommst du Kinder?“, zog sich in ihm alles zusammen. Er konnte es sich einfach nicht vorstellen, schwanger zu sein und Nachwuchs zu bekommen.

Nach der OP in den nächsten Tagen haben die beiden Männer große Pläne. Anfang nächsten Jahres steht ein Umzug nach Berlin an, und Henri wird sein erstes Buch veröffentlichen.