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Wenn der Wirt in die Baumkrone einlädt

Über 60 Tanzlinden gibt es in Deutschland, nur zwei davon im Osten. Eine steht im 44-Seelen-Örtchen Rehnsdorf.

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Von Manuela Reuß

Eigentlich steppt Steffen Jack eher in der Küche als übers Parkett. Kein Wunder. Als Küchenmeister steht er meist am Herd, sorgt dafür, dass seine Gäste genussvoll satt werden. Tanzen? In der Linde? Keine Zeit! Doch zu einem Fototermin mit Ehefrau Claudia in luftiger Höhe lässt sich der Wirt schließlich doch überreden.

Mit dieser Grafik über Tanzlinden überraschte kürzlich das Zeit-Magazin. Tanzlinden unterscheiden sich von gewöhnlichen Linden dadurch, dass um sie herum eine Tanzfläche gebaut ist, meist auf einem Gerüst, das die Natur so nicht vorgesehen hat, heißt es d
Mit dieser Grafik über Tanzlinden überraschte kürzlich das Zeit-Magazin. Tanzlinden unterscheiden sich von gewöhnlichen Linden dadurch, dass um sie herum eine Tanzfläche gebaut ist, meist auf einem Gerüst, das die Natur so nicht vorgesehen hat, heißt es d

Vor allem seit er weiß, dass es der 150 Jahre alte prächtige Lindenbaum, dem der Rehnsdorfer Gasthof seinen Namen verdankt, zu einiger Berühmtheit gebracht hat: als Tanzlinde. Im östlichen Teil Deutschlands gibt es gerade einmal zwei solcher besonderer Bäume, im restlichen Teil des Landes rund 60. Eine Tanzlinde steht in dem winzigen 44-Seelen-Örtchen Rehnsdorf, direkt vor Steffen Jacks Lokal.

Die Linde ist mehr als ein natürlicher Schattenspender für den Biergarten. In ihrer Krone kann man es sich gemütlich machen. Zum Beispiel mit Kaffee und Kuchen. Denn Wirt Adolf Semmer, der den Rehnsdorfer Gasthof 1911 übernahm, baute vor 91 Jahren eine Plattform in die Baumkrone. Ob dort oben je getanzt wurde? Das kann keiner so genau sagen. „Meine Frau sagt, dass ältere Herrschaften manchmal davon erzählen“, so der Gastwirt. Doch so richtig vorstellen kann es sich Steffen Jack nicht. Dafür sei zu wenig Platz. Zumindest für mehrere Tanzpaare.

Aber unter der Linde ging und geht es ordentlich zur Sache. Der letzte Schwof ist noch gar nicht so lange her. Am letzten Juni-Wochenende, zum Dorffest, wurde auch wieder unterm Geäst getanzt. Gleich drei Jubiläen feierten die Rehnsdorfer: Der Ort beging sein 750-jähriges Bestehen, die Gaststätte „Zur Linde“ ihren 300. Geburtstag und die namensgebende Linde wurde vor 150 Jahren gepflanzt „Da herrschte echter Ausnahmezustand. Wir wurden völlig überrannt“, erinnert sich der Gastronom an das Festwochenende. Dabei habe nicht mal eine Band gespielt. Lediglich ein DJ sorgte für gut tanzbare Musik. Tags darauf musste er erst einmal losfahren und Wein besorgen, denn die Festgäste hatten seine Vorräte restlos ausgetrunken. Auch beim sonntäglichen Frühschoppen war der Andrang groß. „Da gab’s keinen freien Stuhl mehr.“

Dass sich das Geschäft mal so entwickelt, hätte der 43-jährige Pulsnitzer vor vier Jahren nicht vermutet. Damals war Steffen Jack auf der Suche nach einem neuen Job. Nachdem er an vielen Orten, unter anderem in der Schweiz, in Radeberg und in Dresden als gastronomischer Leiter und Küchenchef gearbeitet hatte, wollte er sesshaft werden. Schließlich war er inzwischen auch Familienvater.

Damals habe ihm ein Bekannter den Tipp gegeben, sich mal den Rehnsdorfer Gasthof anzusehen. Denn der würde gerade „den Bach runter gehen“, erzählt der Gastwirt. Also machte er mit seinem Schwiegervater einen Abstecher zur Linde. Liebe auf den ersten Blick sei es nicht gewesen. Eher das Gegenteil. Das Flair war nicht einladend. Alte Gardinen aus DDR-Zeiten, Löcher in den Kunststofftischdecken im Biergarten, keine Blumen auf den Tischen. Dennoch wagten Jacks – nach gründlichem Abwägen – am 1. Juli 2010 den Schritt in die Selbstständigkeit. „Wir geben uns vier Wochen Probezeit, haben wir damals gesagt“, erinnert sich der Gastronom.

Um sich den Gästen vorzustellen, öffneten sie an einem Wochenende die Türen ihres Lokals. Gerade die zum Haus gehörende Pension kannten viele Leute nicht. Die Wirtsleute luden auch zum Tanz unter die Linde ein. Das kam an. Seitdem hat der Gasthof eine erfreuliche Entwicklung genommen. Jacks sind in der dörflichen Gemeinschaft angekommen. „Mittlerweile sind wir mit allen per Du. Auch wenn die Rehnsdorfer anfangs vielleicht gedacht haben: Was kommt jetzt für einer“, sagt der Wirt augenzwinkernd. Längst sind die Zeiten vorbei, dass er mit seiner Frau den Laden allein schmiss. Inzwischen zählt das Gasthof-Team sechs Leute.

Geändert haben sich aber auch Öffnungszeiten, Angebot und Interieur. Bei Letzterem ist alles in Grün und Braun gehalten. Gardinen, Tischdecken, sogar die Kleidung der Kellner. Aus gutem Grund. „Wir haben eine klare Linie. Bei uns dreht sich alles um die Linde.“ Das Grün symbolisiere die Blätter, das Braun den Stamm.

Und auch auf die Speisekarte hat es die Linde geschafft. In Rehnsdorf kann man beispielsweise einen Lindenburger verspachteln oder sich am Lindentöpfchen gütlich tun. Für selbiges ließ der Wirt in der Elstraer Töpferei Holland extra Porzellantöpfchen anfertigen. Die Rehnsdorfer setzen auf frische, hausgemachte Küche. Deshalb gibt es – gerade in den Aktionswochen – „Speisen, die man in anderen Gaststätten so nicht bekommt“. Nur eines gibt’s bei Steffen Jack nicht: Bockwurst. Dafür aber einen Lindentrunk – Eierlikör mit Espresso und Sahne. Und den kann man auch ganz genüsslich im Baumwipfel schlürfen.