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Wenn Mitarbeiter in großem Stil stehlen

Würde man die in Riesa innerhalb eines Jahres verschwundenen Reifen aufstapeln, käme ein Turm heraus, der deutlich höher wäre als die Zugspitze. Was tun?

Von Christoph Scharf & Kevin Schwarzbach
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Reifen aus Riesa sind begehrt. Bei einer benachbarten Logistikfirma sind Tausende Exemplare gestohlen worden – mithilfe eines dortigen Mitarbeiters.
Reifen aus Riesa sind begehrt. Bei einer benachbarten Logistikfirma sind Tausende Exemplare gestohlen worden – mithilfe eines dortigen Mitarbeiters. © Lutz Weidler

Riesa. Aus unseren Betrieben ist noch viel mehr herauszuholen: Dieses Erich Honecker zugeschriebene Zitat kommt einem beim Fall des Riesaer Reifendiebstahls unweigerlich in den Sinn. Das Urteil ist gesprochen – ein Trio wurde zu Bewährungsstrafen verurteilt, weil es bei einer Logistikfirma Lkw-weise Neureifen gestohlen habe. 

Offenbar waren die drei Männer aber nicht die Einzigen, die sich auf dem Areal des Unternehmens neben dem Reifenwerk bedient haben. Bei einer Inventur nach dem Auffliegen der Taten stellte man dort fest, dass 13.000 Reifen im Wert von 655.000 Euro fehlen. Wie der Geschäftsführer vor Gericht sagte, waren das Reifen, die in nur einem Jahr verschwunden seien.

Für den Laien ist diese Menge kaum vorstellbar. Klar ist, solche Taten erfordern Logistik: Würde man die fehlenden Reifen aufeinanderstapeln, käme ein Turm von gut drei Kilometer Höhe raus – deutlich höher als die Zugspitze. Jetzt verlangt offenbar das Reifenwerk die Bezahlung der gestohlenen Reifen von der Logistikfirma.

Aber wie schützen sich andere Firmen vor diebischen Mitarbeitern? Die SZ hat eine ganze Reihe regionaler Unternehmen angefragt. Offenbar handelt es sich dabei um ein ziemlich sensibles Thema. Die meisten angefragten Firmen ließen die Anfrage unbeantwortet oder richteten aus, sich dazu nicht zitierfähig äußern zu wollen. 

Beim Wacker-Chemiewerk in Nünchritz gibt man sich offener. Dort habe es in den vergangenen Jahren keine nennenswerten Eigentumsdelikte gegeben, sagt Sprecherin Asta Tehnzen-Heinrich. „Der Werkschutz leistet hier durch Stichprobenkontrollen sehr gute Arbeit.“ Mitarbeiter seien sensibilisiert, auffällige Handlungen zu melden. Der Zutritt zu Gebäuden sei so geregelt, dass nur der reinkommt, der dort auch etwas zu erledigen hat.

Mancherorts ist es auch üblich, dass Mitarbeiter die eigenen Produkte günstiger oder gar kostenlos bekommen. So gibt etwa ein Getränkehersteller monatlich eine festgesetzte Flaschenmenge an Mitarbeiter ab. Bei Wacker können die Kollegen im Werkverkauf für den Eigenbedarf unter anderem Kartuschen mit Kleb- und Dichtstoffen etwas billiger erwerben.

Zweifelsohne sind Mitarbeiterdiebstähle ein Thema für die Wirtschaft, sagt Lars Fiehler von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden. In der IHK-Rechtsberatung sei es zuletzt zwar vermehrt um den sogenannten Datenklau durch Mitarbeiter oder Praktikanten gegangen.

Der „klassische“ Diebstahl spiele aber nach wie vor am ehesten in Einzel- und Großhandel eine Rolle. Arbeitgeber hätten großes Interesse, Diebstahlsfälle aufzuklären – müssten sich aber wegen der Persönlichkeitsrechte ihrer Mitarbeiter an strenge Regeln halten.

„Sie dürfen beispielsweise nicht ohne zu fragen einen Spind öffnen oder persönliche Sachen durchsuchen. Es ist ihnen auch nicht erlaubt, Kameras zur Überwachung der Mitarbeiter einzusetzen, Telefonate mitzuhören oder den E-Mail-Verkehr zu durchsuchen.“ Allerdings gäbe es Möglichkeiten, vorzubeugen.

Mitarbeiter sollten aber bedenken, dass ein Diebstahl auch zu einer außerordentlichen Kündigung führen könne – selbst wenn es nicht um bergeweise Reifen, sondern etwa nur um ein Stück Kuchen geht. „Hintergrund für arbeitsrechtliche Konsequenzen ist weniger der konkrete Schaden, sondern das zerrüttete Vertrauensverhältnis“, sagt Fiehler. Will der Arbeitgeber fristlos kündigen, muss er das innerhalb von zwei Wochen tun, nachdem er Kenntnis vom Diebstahl erlangt hat. Ein milderes Mittel wäre etwa eine Abmahnung.

Auch beim betroffenen Reifen-Logistikunternehmen hat man reagiert. Der Geschäftsführer sagte vor Gericht, dass die Kameras auf dem Gelände früher nur aller zwei Wochen stichprobenartig gesichtet worden seien. Heute sei das anders. Ob man die Reifen auf dem Gelände nun sicherer lagert, teilt das Unternehmen nicht mit: Eine Anfrage der SZ blieb unbeantwortet.