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Wenn Nähe zur Bedrohung wird

Sportler stehen in der Öffentlichkeit. Beim DSC müssen drei Spielerinnen erleben, wie Fans Grenzen überschreiten.

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© Robert Michael

Von Michaela Widder und Alexander Hiller

Es ist eine nasskalte Nacht im November. Myrthe Schoot kehrt mit dem Dresdner SC von einem Auswärtsspiel zurück. Die Volleyballerin steht vor ihrer Haustür in der Altstadt, zupft ihren Schlüssel aus der Tasche, als sie plötzlich eine Stimme hört. Sie erschrickt fürchterlich und zieht die Tür panisch ins Schloss. Dann klopft es. Sie stürmt in ihre Wohnung und lugt vorsichtig hinter der Gardine aus dem Fenster. Ein Mann schleicht ums Haus.

Sie schreibt ihrem Freund eine Nachricht, er ruft sie an. Plötzlich klingelt es. Ihre Knie zittern. „Aber mein Freund sagte: Schau‘ doch mal nach.“ Sie faucht ihn an: „Bist du blöd?“ Er bleibt hartnäckig. Dann dämmert es ihr. Als Myrthe Schoot noch mal aus dem Fenster schaut, sieht sie einen Luftballon in Herzform. Ihr Freund Robert ist überraschend zum fünften Jahrestag ihrer Liebe gekommen. Der Schreck sitzt trotzdem tief. Sie braucht ein paar Minuten, um sich zu freuen.

Erschrocken hätte sich wohl jede Frau, aber ihre Angst hat auch einen konkreten Hintergrund. Drei ihrer Teamkolleginnen – mit Laura Dijkema und Mareike Hindriksen zwei aus der Vorsaison sowie Jennifer Cross – sind Opfer von Stalkern geworden.

„Es waren drei ganz unterschiedliche Fälle in einer Saison. Unser Bewusstsein ist seitdem dafür noch mehr geschärft. Aktuell ist mir nichts bekannt“, erklärt DSC-Geschäftsführerin Sandra Zimmermann. „Natürlich gibt es immer wieder Fans, die in den sozialen Medien Spielerinnen mit vermeintlicher Fachkritik konfrontieren. Das ist aber nie persönlich geworden.“

Anzeige gegen unbekannt

Nicht nur persönlich, sondern bedrohlich war der Fall von Jennifer Cross, der sogar zu einer Anzeige führte. Die Kanadierin hatte in der vorigen Saison nach einer Niederlage noch im Vip-Raum eine Nachricht über Facebook von einem anonymen Nutzer erhalten. „Er drohte mir, mich zu töten, wenn ich Dresden nicht verlasse“, erzählt sie im SZ-Gespräch. Erst dachte sie an einen üblen Scherz, doch dann wurde ihr die Bedrohung klar. „Ich hatte natürlich erst mal Angst.“ Cross zeigte die Nachricht umgehend der Geschäftsführerin.

„Wir haben dem Nutzer über Facebook eine offizielle Antwort als Verein übermittelt und bei der Polizei Anzeige gestellt“, sagt Sandra Zimmermann. Der Verein wollte klar signalisieren: „Hier war eine Grenze überschritten. Da treten wir als Verein schützend für die Spielerin auf.“ Die Ermittlungen wurden eingestellt, das Profil kurze Zeit später gelöscht. Nie wieder erhielt die Mittelblockerin danach eine Nachricht in dieser Form, aber sie ist mehr als je zuvor sensibilisiert. „Als Profispieler stehen wir mehr in der Öffentlichkeit, auch durch soziale Medien. Normalerweise ist das eine tolle Sache“, sagt Cross. Allerdings sehe sie auch Nachteile. „Leute wissen, welche Autos wir fahren, wo wir wohnen.“ Die 24-Jährige fühlt sich aber sicher und betont: „Wir haben großartige Fans, und ich lasse nicht zu, dass ein ,Fan‘ den Ruf ruiniert.“ Beklemmende Situationen durchlebte auch Mareike Hindriksen. Es begann mit einem gemeinsamen Foto, worum ein Fan nach einem Heimspiel gebeten hatte. Doch dabei blieb es nicht – der Stalker schenkte Pralinen, Blumen, schrieb Liebesgedichte, machte sogar einen schriftlichen Heiratsantrag. „Wir haben Mareike dazu ermutigt, das alles zu ignorieren und einige ihrer Mechanismen am Spieltag geändert, um den Zugang zu erschweren“, sagt die Geschäftsführerin. Hindriksen ging nach den Spielen eher in die Kabine oder war im Idealfall mit einer oder mehreren Personen in ein Gespräch involviert, um die Nähe zu dem aufdringlichen Verehrer etwas zu unterbinden. Nach Recherchen des Volleyball-Magazins soll sie auch jetzt noch in Prostejov weiterhin Geschenke erhalten.

Auch Laura Dijkema, die jetzt als Zuspielerin in Italien ihr Geld verdient, musste vorige Saison erleben, dass ihr ein Fan mal zu nahe kam. Der Vorfall ereignete sich nach dem Training auf dem Parkplatz, als jemand plötzlich aus dem Gebüsch gesprungen kam und der Holländerin einen handgeschriebenen Brief übergeben wollte. Es sollte eine Überraschung für seine Lieblingsspielerin sein, wie er beteuert.

DSC-Fan entschuldigt sich

Für Dijkema hat es sich in dem Moment wie ein versuchter Überfall angefühlt. „Als Folge haben wir die Mädels ein paar Tage in Gruppen zum Auto gehen lassen“, sagt Zimmermann. Der DSC-Anhänger, der weiter in die Halle kommt, hatte die Situation offenbar völlig falsch eingeschätzt und sich für seinen Auftritt auch entschuldigt.

In allen drei Fällen waren die Spielerinnen auf die Vereinsleitung zugegangen, obwohl das eine „persönliche Hemmschwelle“ ist. Laut Volleyball-Magazin sind von anderen Bundesligisten keine Stalking-Beispiele bekannt. Sandra Zimmermann glaubt jedoch nicht an ein dresdenspezifisches Problem. „Vielleicht wird anderswo darüber nur nicht gesprochen.“

Beim deutschen Meister will man das Thema weder totschweigen noch aufbauschen. Die Mannschaft ist dafür sensibilisiert, mit eigenen Informationen im Internet verantwortungsvoll umzugehen. „Wir wollen keine Käseglocke über das Team stülpen. Die Bindung zu den Fans soll stattfinden“, erklärt die 30-jährige Zimmermann. Es werde eine gewisse Öffentlichkeit durch den Verein kreiert, und das ist eine Gratwanderung zwischen dem Interesse des Klubs nach mehr Aufmerksamkeit und dem Schutz der Privatsphäre. Das Kalendershooting in Unterwäsche voriges Jahr war mindestens gewagt.

Negative Einzelfälle kann der DSC nicht ausschließen. „Das könnte man nur unterbinden, indem wir Nähe nicht mehr zulassen. Da würden wir aber von unserer eigenen Philosophie und Identifikation so weit abrücken, dass uns das an anderer Stelle Nachteile bringt“, sagt sie. Myrthe Schoot bietet den Fans Kontakt über Facebook. Mit 20 000 Anhängern ist sie die Nummer eins beim DSC. Dort entscheidet sie selbst, wie viel Privates sie preisgibt.