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Wie das DDR-Kind zum Modezaren wurde

Wolfgang Joop bekennt in seinem neuen Buch: „Vielleicht bin ich aus Protest zum Narzissten geworden.“

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Designer Wolfgang Joop
Designer Wolfgang Joop © Monika Skolimowska/dpa

Von Ulrich Steinmetzger

Mit einer „Mischung aus Erlebtem und Erdachtem“ hatte Wolfgang Joop 2003 schon einmal seine Welt beschreibend skizziert. „Das alles kann keiner verstehen, der davon keine Ahnung hat“, hieß einer der weniger geglückten Sätze dieser semifiktionalen Ich-Einkreisungen. Nun schickt der gewesene Modezar dem Buch „Im Wolfspelz“ einen opulenten Band hinterher, auf dass aus den Ahnungen ein größeres Verstehen erwächst. Und er macht es gut. Zumindest in den ersten zwei Dritteln dieser Memoiren, die überquellen von präzisen Beobachtungen, bevor die Eitelkeiten ein wenig zu disproportional in den Vordergrund drängen. Da hat dann die allzu große Selbstgewissheit das Staunen verdrängt in diesen Blicken zurück.

Das Staunen beginnt in Potsdam-Bornstedt. Das Staunen des Autors darüber, wie stark ihn dann doch der Ruf der Heimat auf seinem Lebensweg begleitet hat. Und das Staunen über den Autor, welche präzisen Sätze er dafür finden kann. In Bornstedt nahe Sanssouci erstreckt sich der Garten „wie ein konzeptlos angelegtes Paradies“. Hier war er aufgewachsen und hatte von Tante Ulla den Auftrag empfangen, dieses Paradies zu beschützen. Hier lebt der 74-Jährige nun wieder, und so schließt sich ein Kreis.

Hier war das kränkelnde Kriegskind in der DDR aufgewachsen unter der Obhut von Oma und Opa. Der Vater war in Gefangenschaft, die Mutter hatte mit ihren rücksichtslosen Lebenswünschen genug zu tun, worüber sie den Sohn vernachlässigte. Nach sieben Jahren kam der Vater doch zurück, ohne dass jemand ihn erwartet hätte, nicht der Sohn und erst recht nicht die Ehefrau. Dabei hatte ihn die Sehnsucht nach ihnen am Leben gehalten. Nun drängt der Vater in seine Fürsorgerolle, die keiner will, sucht für den Sohn ein Internat, wo er dann doch den Schulabschluss schafft, muss die DDR verlassen und geht mit der Familie nach Braunschweig, wo er Chefredakteur einer Kulturzeitschrift wird.

Es drängt ihn zurück zur Kunst

Atmosphärisch dicht erzählt Wolfgang Joop von Kindheit und Frühlingserwachen. „Vielleicht bin ich aus Protest zum Narzissten geworden.“ Er erzählt mit langem Atem, poetisch, ehrlich und ohne sich und andere zu schonen. „So war das immer: Die neue Zeit fing mitten in der alten an.“ Stets waren da diese Überhänge des Vergangenen, wenn sich die Gegenwart schon verwandelt hatte. So kamen die Großeltern nicht klar mit den nach Kollektivierung drängenden Wandlungen im Osten. So schleppte der Vater eine untilgbare Hypothek mit in den Wirtschaftswunderwesten. So waren die früh zutage tretenden Talente und Neigungen des Sohnes schwer integrierbar in die jeweils herrschenden Pragmatismen. So will sich schließlich dessen Tochter Jette „von uns und unserer Vergangenheit freikaufen“.

Wolfgang Joop erzählt von frühen Schwärmereien, von sexueller Ausstrahlung auf Vertreter beiderlei Geschlechts, von seiner Individualität nicht nur in der Kleidung, von der Faszination für Antiquitäten und was er daraus machte. Er erzählt vom Studium der Kunstpädagogik in Braunschweig, von ersten Geschäftsideen, von seinen Lebensmenschen Karin und Edwin, vom oft vergeblichen Wunsch, sich in Jobs zu fügen, von ersten Entwürfen und davon, wie er Schritt für Schritt zur „Supernova jener Zeit“ wurde. Er erzählt von Hamburg, Paris, Berlin und New York, von Begegnungen mit Karl Lagerfeld, Yves St. Laurent, Claudia Schiffer, Nadja Auermann, Diana Ross und vielen mehr.

Da laust mich doch der Affe! Der Modedesigner kann auch malen: Wolfgang Joop kuratierte 2013 im Leipziger Museum der bildenden Künste die Ausstellung „Die Schöne und das Biest“ mit. Hier steht er neben seinem Gemälde „Cloud Number 7“. 
Da laust mich doch der Affe! Der Modedesigner kann auch malen: Wolfgang Joop kuratierte 2013 im Leipziger Museum der bildenden Künste die Ausstellung „Die Schöne und das Biest“ mit. Hier steht er neben seinem Gemälde „Cloud Number 7“.  © Hendrik Schmidt/dpa

Das Buch quillt über vor Stoff. Und natürlich erzählt Joop vom Modebetrieb, in den er irgendwann als einer der führenden Macher eintauchte: „Denn in Wahrheit entwirft er ein Ideal und macht die Mehrheit der Frauen untröstlich, wenn sie dem Ideal nicht entsprechen.“ Und er erzählt von seiner letzten New Yorker Show im durchweg militärgrünen Farbcode mit Stücken, „auf den Millimeter genau einem alten Trench der US-Navy nachgearbeitet“. Da ist alles zur Pose erstarrt – Zeit zu gehen. Es drängt ihn zurück zur Kunst: „Kunst erinnert uns daran, wer wir sind und wer wir sein könnten. Mode will sich nicht einmal an die letzte Saison erinnern.“

Wolfgang Joop erzählt nicht von seinem Auftreten in unterirdischen TV-Formaten. Die Verirrungen auf dem Weg zurück nach Potsdam-Bornstedt aber grundieren dieses lesenswerte Buch. Da stellte er die Moral schon mal hinten an, um ein bequemes Halbjahresvisum für den Osten zu bekommen. Später kungelte er mit den neuen Herren des Meissener Porzellans, weil die ihn an seiner Eitelkeit packten. Wie auch immer, irgendwann nach dem Mauerfall, den er in Dubai erlebte, wusste er, wohin er gehört: „Dem Vaterland hatte ich den Rücken gekehrt. Es war jetzt – wie ich – mit seiner Neufindung beschäftigt.“

Wolfgang Joop: Die einzig mögliche Zeit. Kindler. 496 Seiten. 22 Euro