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Wie der Akw-Bauschutt die Meinungen spaltet

Was nach Grumbach kommt, sei ungefährlich. Sagen die Behörden. Die Nachbarn halten das für eine Frechheit.

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Von Annett Heyse und Matthias Weigel

Die Einlagerung von Bauschutt aus dem Atomkraftwerk Stade in der Deponie Grumbach wird immer mehr zum Politikum. Trotzdem schaffen der Kraftwerksbetreiber E.on und der Deponiebetreiber Amand ab kommenden Dienstag Tatsachen: Dann nämlich rollen die ersten der vertraglich vereinbarten 700 Tonnen an. 2 000 Tonnen sind bis 2015 insgesamt genehmigt. Die SZ zeigt, wie die Akteure zur Lieferung stehen.

Deponiebetreiber sieht sich im Recht

Bei dem Material handelt es sich um Bauschutt aus dem nuklearen und nicht-nuklearen Teil des Kernkraftwerks. Da die Strahlung des Abbruchs höchstens im Bereich von zehn Mikrosievert pro Jahr, weniger als bei einem Flug nach New York oder die natürliche Strahlung, gilt er als freigemessen und darf auf Deponien wie in Grumbach eingelagert werden. „Das ist Material aus einem Betriebsgelände, wo jahrzehntelang täglich Menschen gearbeitet haben. Das ist absolut ungefährlich“, heißt es bei Amand. In Grumbach liegen bereits 283 Tonnen freigemessener radioaktiver Bauschutt vom Abriss des Forschungsreaktors in Rossendorf.

Kraftwerksbetreiber fehlt Alternative

Beim Energiekonzern E.on, der das Kernkraftwerk bis 2003 betrieb, läuft die vierte von fünf Rückbauphasen. Bisher wurde der Abbruch im niedersächsischen Heidekreis deponiert. Einwohner und Politiker sorgten sich jedoch um das Image der Region. Ende 2011 war Schluss. Der Schutt wird seither direkt am Kraftwerk gebunkert. E.on suchte allerdings erst in Niedersachsen, dann deutschlandweit nach Alternativen – und tue das nach wie vor, so das Unternehmen. Amand war dabei offensichtlich einer der Interessenten, muss als privatbetriebene Deponie kaum politischen Druck wie im Heidekreis mit öffentlicher Beteiligung fürchten. Interessiert war auch die Deponie in Wetro bei Bautzen, wo 2013/14 bereits 1 055 Tonnen aus Stade hinkamen, wie jetzt bekannt wurde.

Freistaat fordert Umdenken

Bereits Ende 2013 gab es Kontakte wegen des Stade-Bauschutts mit dem Ministerium in Hannover. Eine reine Formalie: Solange die Voraussetzungen erfüllt sind, der Schutt freigemessen ist, muss eine Zustimmung erfolgen, heißt es. Im März 2014 hatte Sachsen daher das Einvernehmen erteilt. Dennoch hat Sachsens Umweltminister Frank Kupfer (CDU) vorgestern Post nach Hannover geschickt. „Niedersachsen soll eigene Möglichkeiten nutzen, um Bauschutt aus früheren Kernkraftwerken zu entsorgen“, heißt es darin. Eine Kehrtwende soll das allerdings nicht sein, eher ein Appell, auch wegen der Umweltbelastungen durch den Transport – 600 Kilometer durch die Republik. Die genehmigten Mengen werden daher trotzdem in Grumbach anrollen. Kupfer rückt kommende Woche aber zu vertrauensbildenden Maßnahmen an: Er will öffentlich die ersten Lieferungen mit einem Messgerät testen.

Hannover hebt die Hände

Der Kraftwerksbetreiber E.on sei für den Abriss verantwortlich und suche sich die Deponien selbst aus, rechtfertigt Sprecher Rudi Zimmeck den Vorgang. Die Behörde könne eine Zustimmung nicht verweigern, wenn rechtlich nichts dagegen spräche und alle Kriterien eingehalten werden. Zimmeck: „Grundsätzlich können wir solche Schutt-Ströme nicht steuern.“ Der Minister werde Herrn Kupfer natürlich schnellstmöglich antworten, war gestern aber wegen einer Atomkonferenz in der Schweiz anderweitig beschäftigt.

Anwohner machen Proteste

Viele Grumbacher sind empört und wütend. Jahrelang hatten sie gegen eine Erweiterung der Sondermülldeponie am Ortsrand gekämpft. Am Ende mit Erfolg. Ende 2010 fiel die Entscheidung, die Deponie zu schließen. Lediglich das vorhandene Restloch sollte noch verfüllt werden. Dass nun ausgerechnet solcher Bauschutt eingelagert wird, ist für Ulrich Klein von der IG „Keine Deponie am Tharandter Wald“ ein Unding. „Es gibt keine ungefährliche Strahlung. Diese künstlich geschaffene Strahlung nun mit natürlicher Strahlung zu vergleichen und zu verharmlosen, ist eine Frechheit“, sagte er. Nicht mal Experten seien sich einig, was die Strahlung wirklich bewirke. Die Grumbacher wollen das nicht klaglos hinnehmen. Für den 13. September wird es eine Demonstration durch den Ort geben. Weitere Aktionen sind in Planung. Und auch am 9. will man in der Nähe sein – nicht „wegen der Augenwischerei“ beim Freimessen, sondern um zu protestieren.