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Wie die SED telefonierte

Die Richtfunktürme auf einstigem DDR-Gebiet haben eine spannende Geschichte. Ein Pirnaer erforscht sie.

Von Cathrin Reichelt
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Gleich mit drei Schlössern ist das Areal gesichert, auf dem in Hartha bei Döbeln der ehemalige Funkturm steht. Er gammelt vor sich hin, hat aber trotzdem Interessenten.
Gleich mit drei Schlössern ist das Areal gesichert, auf dem in Hartha bei Döbeln der ehemalige Funkturm steht. Er gammelt vor sich hin, hat aber trotzdem Interessenten. © Lars Halbauer

Der Putz bröckelt. Die Fassade sieht regelrecht gescheckt aus. Das Tor zu dem Grundstück ist verschlossen. Wie damals, vor mehr als 30 Jahren, als der Richtfunkturm am Harthaer Kreuz bei Döbeln das offensichtlichste und gleichzeitig geheimste Gebäude der SED in der Gegend war. Gerade deshalb will Patrick Wagner mehr darüber erfahren. Mit einem Aushang sucht der Pirnaer nach Zeitzeugen, Geschichten und Fotos rund um den Turm. Ihm sei bewusst, dass das Fotografieren damals verboten war. Entsprechende Schilder wiesen das Areal als Sperrgebiet aus, von dem „bildliche Darstellungen verboten“ waren.

„Ich hoffe aber, dass Leute zum Beispiel in ihrem Garten in der gegenüberliegenden Anlage fotografiert haben und der Richtfunkturm dabei im Hintergrund zu sehen ist“, nennt er ein Beispiel, wie der Turm trotz des Verbots auf Fotos gekommen sein könnte. „Entscheidend für mich ist die Art der Antennen, die sich auf dem Dach befunden haben und in welche Richtung sie gezeigt haben“, sagt der 51-Jährige. Er vermutet, dass eine die SED-Kreisleitung in Döbeln angepeilt hat.

Über den Harthaer und 53 weitere solcher Türme, mit denen sich die SED ein Richtfunknetz geschaffen hat, schreibt Patrick Wagner ein Buch. Mehr als 400 Seiten gibt es schon. „In zwei Monaten will ich fertig sein“, sagt er. Deshalb hofft er auf die Unterstützung der Harthaer, vor allem mit Bildmaterial. Denn einige Informationen über den Turm hat der Mann, der als Selbstständiger historische Hifi-Technik repariert, bereits zusammengetragen. Der Funkturm am Harthaer Kreuz wurde in den Jahren 1957 und 58 gebaut und hat eine Grundfläche von neun mal neun Metern. Er besteht aus fünf Etagen, plus Erdgeschoss.

Die oberste Etage sei in drei Schichten rund um die Uhr von zwei bis drei Genossen der Volkspolizei besetzt gewesen, die ausschließlich für die Bewachung des Objektes zuständig waren. „Ist dem Turm doch jemand zu nahe gekommen, wurde er per Lautsprecherdurchsage aufgefordert, sich wieder zu entfernen“, so Wagner. In den unteren Etagen hätten sich Funk- und Klimatechnik sowie Aufenthaltsräume befunden. Nach SZ-Informationen wurden die Schaltschränke im Dezember 1989 auf Druck von Mitgliedern des Neuen Forums von einem Staatsanwalt versiegelt. Alle gemeinsam hätten zuvor am Tor geklingelt. Das habe ein Polizist mit Maschinenpistole geöffnet und sie eingelassen. In dem Objekt sei es über eine Leiter nach oben gegangen, wo sich auch Schießscharten und Sandsäcke befunden hätten.

So wie der Harthaer oder ähnlich seien die meisten Richtfunktürme aufgebaut gewesen, erzählt der Pirnaer, der sich schon seit 20 Jahren für das ehemalige Richtfunknetz der SED interessiert. Ein Bericht über den Dresdner Turm habe ihn im vergangenen Jahr bewogen, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen und seine Recherchen „auf fundierte Füße zu stellen.“

Der Turm in Dresden-Gompitz sei auch einer, mit dem der Harthaer in Verbindung gestanden habe. In Richtung Leipzig habe sich der nächste Turm in Machern befunden. „Das Netz war so aufgebaut, dass jeder Turm den benachbarten anfunken konnte“, sagt Patrick Wagner. Weil die Strecke zwischen Leipzig und Dresden zu weit gewesen sei, sei der Harthaer Turm dazwischengeschaltet worden.

Während der Harthaer nur von Bewachern besetzt war, arbeiteten bis Ende 1983 in den anderen Türmen Mitarbeiter aus den SED-Chefetagen. Dann habe die Deutsche Post das Funknetz übernommen.

Damit ging eine 30-jährige Ära zu Ende. Aufgebaut wurde das Funknetz nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 zur Verbesserung der Kommunikation zwischen den Partei-Verantwortlichen. Durch die Funktürme seien sie nicht mehr von der Post abhängig gewesen. Der standen für Ferngespräche zu wenige Leitungen zur Verfügung. Außerdem war keine Direktwahl möglich. Ferngespräche mussten über eine Vermittlung angemeldet werden.

Zum 31. Dezember 1989 seien die Verträge mit der Post gekündigt worden und die Türme in das Eigentum der Deutschen Bundespost/Telekom übergegangen. „Die alte Technik wurde herausgerissen und die Türme nur noch als Antennenträger für neue Funktechnik genutzt“, so Wagner.

Der Harthaer Turm sei inzwischen einer der wenigen, „die stiefmütterlich vor sich hingammeln“, meint er. Das Gebäude gehöre der deutschen Funkturm GmbH, die alle funktechnischen Liegenschaften der DDR verwalte.

Kontakt zu Patrick Wagner: Tel. 0172 7927758, Mail: [email protected]