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Wie frauenfeindlich ist der Literaturbetrieb?

Witzig, boshaft und gescheit rechnet die österreichische Autorin Gertraud Klemm mit der Buchbranche ab.

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Gertraud Klemm
Gertraud Klemm © imago/Manfred Segerer

Von Bettina Ruczynski

Wenn Frau oder Mann mal wieder verzweifeln an Erdogan, Trump, Johnson und anderen selbstverliebten Machos: Gertraud Klemm lesen hilft. Man sieht danach schärfer, urteilt härter, handelt aber vielleicht nicht so verbindlich, wie es die Welt von einem – und vor allem von einer – erwartet. Wer bei diesem Roman nun mit einem feministischen Manifest rechnet, wird allerdings aufs Allerfeinste enttäuscht. Denn die österreichische Schriftstellerin ist eine kluge Frau, der die Welt nichts vormachen kann, und verfügt über einen wetterfesten Humor, der schwärzer ist als jener der abtrünnigen Briten.

Die 48-jährige Getraud Klemm, vielfach ausgezeichnet für ihre Bücher, zum Beispiel mit dem Publikumspreis des Klagenfurter Bachmann-Wettbewerbs, widmet sich in ihrem neuen Roman kenntnisreich und sarkastisch einer heiligen Kuh: dem Literaturbetrieb im deutschsprachigen Raum. Auch ihre Kollegin und Landsfrau Marlene Streeruwitz hat das in Romanform getan, leider ohne sichtbare Folgen. Das ist kein Grund, es bleiben zu lassen. Im Gegenteil. Am Beispiel der Literaturbranche zeigt Gertraud Klemm, wie ungerecht es zugeht zwischen Frauen und Männern. Das gilt für die Vergabe von Stipendien und Preisen wie für die öffentliche Wahrnehmung ihrer Bücher.

Unerbittliche Marketingmaschine

Der Roman folgt einem ungewöhnlichen Plot: Helene Schulze, längst vergessene Autorin der feministischen Avantgarde, ist gestorben. Leider war ihr Tod kein spektakulärer, den Buchverkauf ankurbelnder Suizid, sondern die Folge von Magenbluten, draußen zwischen den Beeten, forciert von zu viel Alkohol. Das weiß aber nur ihre frühere Freundin Elvira Katzenschlager. Und die 60-Jährige hält den Mund, jedenfalls so lange, bis Helene mit ihrem letzten Roman, dem „Drohnenkönig“, auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis auftaucht. Was für eine Sensation: Eine tote Autorin, nach der zu Lebzeiten kein Hahn gekräht hat, ist plötzlich auf dem besten Weg, eine preisgekrönte literarische Berühmtheit zu werden. „In den Zeitungen plötzlich eine Schleimigkeit ungeahnten Ausmaßes. Jahrelang wurde sie vergessen und ignoriert, aber kaum hat der Markt Fährte aufgenommen, legt sich der Literaturbetrieb und das Land die tote Helene über die Schultern wie den Pelz eines kostbaren ausgestorbenen Tieres.“

Derweil sichtet die Lebens- und Aktionskünstlerin Elvira Katzschenschlager den Nachlass der Freundin. Doch die unerbittliche Marketingmaschine der Literaturbranche ist angesprungen, als es der „Drohnenkönig“ auf die Shortlist schafft, und giert nun nach neuem Futter. Elvira soll ein Fernsehinterview geben. Der finanziell stets klamme Adrian fungiert dabei als Assistent und Mädchen für alles.

Sprüht die Hoden pink an

Elvira und Adrian sind die Hauptdarsteller, die Gertraud Klemm in einem alten VW-Bus auf einen abenteuerlichen Roadtrip quer durch Österreich bis nach Neapel schickt. Ihre Mission ist es, mit spektakulären Aktionen die von Männern verzerrte Biografie der toten Autorin geradezurücken, die Auslassungen und Leerstellen mit Wahrheit zu füllen.

Bereits in ihrer rebellischen Jugend haben Helene und Elvira heimische Heldendenkmäler attackiert. Sie haben die Hoden der stolzen Rösser, auf denen Heroen gewöhnlich zu thronen pflegen, in leuchtendem Pink angesprüht. So wurde die demonstrativ ausgestellte männliche Herrlichkeit von Pferd und Reiter vom Sockel geholt, sehr zum Ärger der Männer in Kirche, Kunstbetrieb und Politik. „Aber die Revolution ist mit dem Kollaps der Kommunisten ausgestorben.“ Nicht für Elvira. „Die komische Alte ist keine schlechte Rolle, wenn sie auch noch dreist ist“, findet die renitente Dame. „Ihr Delikt ist Lästigkeit.“

Auf ihrem Kreuzzug stören sie und ihr Helfer Adrian Literaturpreisverleihungen, ärgern Literaturkritiker ob ihrer Beliebigkeit und zeigen, wie schäbig Klagenfurt mit Ingeborg Bachmann umgeht, obwohl die Stadt mit dem nach der Dichterin benannten Wettbewerb viel Geld verdient.

Alle Aktionen der beiden sind signiert mit der Silhouette eines Seepferdchens, lateinisch Hippocampus. So heißt auch jener Teil des Gehirns, der dafür sorgt, dass Erinnerungen vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis wandern. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Gertraud Klemm: Hippocampus. Kremayr & Scheriau, 384 Seiten, 22,90 Euro