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Wie Häuser wachsen

Coswig will den Bebauungsplan ändern, um Fluthäuser anheben zu können. Viele Betroffene hätten lieber einen Deich.

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Von Ulrike Keller

Thekla Marek zieht ein Flugblatt aus der Klarsichthülle. Dutzende hat sie drucken lassen. „Bürgerinitiative Hochwasserschutz Niederseite“ steht darauf in weißer Schrift groß auf blauem Grund geschrieben. Thekla Marek ist die Sprecherin dieser Ende Mai gegründeten Interessenvertretung. „Dresden rüstet sich auf, in Cossebaude zum Beispiel, und wir sind ungeschützt, zum Untergang verurteilt“, kritisiert sie.

Um zwei Meter sollen die Häuser auf der Brockwitzer Niederseite angehoben werden. Dann wäre der Wohnraum flutsicher. Als Sprecherin der neu gegründeten Bürgerinitiative Hochwasserschutz Niederseite ist Thekla Marek skeptisch, ob die Hebung eine Lösung auc
Um zwei Meter sollen die Häuser auf der Brockwitzer Niederseite angehoben werden. Dann wäre der Wohnraum flutsicher. Als Sprecherin der neu gegründeten Bürgerinitiative Hochwasserschutz Niederseite ist Thekla Marek skeptisch, ob die Hebung eine Lösung auc © Norbert Millauer

21 der 30 betroffenen Familien auf der Brockwitzer Niederseite gehören der Bürgerinitiative bislang an. Als Erstes haben sie Geld zusammengelegt für einen gemeinsamen Anwalt. Der ist bereits tätig und setzt da an, wo für die Anwohner das Hauptproblem liegt: in der Prioritätenliste des Freistaates Sachsen für Hochwasserschutzmaßnahmen.

Darauf ist die Sicherung der Niederseite mit niedriger Priorität versehen, also als wenig dringlich eingeordnet. Heißt: „Wir bekommen einen Deich frühestens in zehn Jahren“, erklärt Thekla Marek. Der Anwalt prüfe nun, warum das Wohngebiet so eingestuft wurde und werde gegen diese Priorisierung vorgehen. Die Betroffenen gehen davon aus, dass der jetzige Prioritätenstatus auf falschen Zahlen zur Schadenshöhe genauso wie zur Pegelhöhe beruht. „Wir wollen klar machen, dass wir stark betroffen sind“, so Thekla Marek. Fünf Millionen Euro Gesamtschaden haben die Hochwasser 2002, 2006 und 2013 in den Häusern auf der Niederseite angerichtet, heißt es auf dem Flugblatt. Die Bürgerinitiative meint: Ein Deich hätte sich schon lange gerechnet.

Die Stadt Coswig sucht bereits nach anderen Möglichkeiten des Hochwasserschutzes für die Brockwitzer Niederseite. Alternativen zum Deich. Ordnungsamtschef Olaf Lier ist ein großer Befürworter der Hausanhebung. Im Internet stieß er auf eine Firma im Ruhrgebiet, die diese Technik seit mehreren Jahren anwendet, etwa im sächsischen Delitzsch. Am Rechner zeigt er anhand weniger Bilder und Grafiken, wie ein Einfamilienhaus im bewohnten Zustand innerhalb einer Woche um zwei Meter gehoben wird und dann entsprechend zwei Meter aus dem Erdboden ragt. In die Bodenplatte des Kellers werden Löcher gebohrt, um Stahlrohrpfähle hineinzurammen. Beim Hebeprozess drücken hydraulische Pressen nach unten auf die Pfähle und nach oben auf Stahlplatten. An diesen sind jeweils vier Zugankerstangen befestigt, die unterhalb der Bodenplatte enden und diese durch den stets gleichbleibenden Druck nach oben ziehen. Alles computergesteuert. Erreicht das Kellergeschoss das frühere Niveau des Erdgeschosses, wird der darunter frei werdende Raum mit Beton verfüllt.

Um solche baulichen Änderungen in Brockwitz problemloser vornehmen zu können, bereitet die Stadtverwaltung Coswig zurzeit die entsprechende Anpassung des Bebauungsplanes vor. Bis Ende des Jahres könnte der Stadtrat sein Okay gegeben haben, sagt Lier. Er erzählt von ersten Interessenten für eine Haushebung auf der Niederseite, gerade für modernere Häuser.

Auch das Eigenheim von Thekla Marek wäre geeignet. „Ein Deich wäre uns lieber“, sagt sie. Dabei findet sie die Idee der Haushebung grundsätzlich gut. Auch auf dem Flugblatt wird diese Möglichkeit des Flutschutzes mit abgebildet. Doch ihre Bedenken sind: „Es wird nicht für alle Häuser gehen, nicht für die, die keine Bodenplatte haben.“ Und die Bürgerinitiative sucht eine Lösung für alle, hat sich jüngst etwa auch über eine mobile Lösung informiert.

Ordnungsamtschef Olaf Lier hält das Hebeverfahren für die Mehrheit der Häuser auf der Brockwitzer Niederseite für praktikabel. Denn auch für Fachwerkhäuser und Altbauten aus Bruchstein mit Streifenfundament existieren abgewandelte Varianten, selbst bei Statikproblemen.

Offen ist allerdings noch die Finanzierung. Die Hebung kostet pro Haus rund 100 000 Euro. Nach den aktuellen Förderrichtlinien in Sachsen werden aber derartige vorsorgliche Maßnahmen nicht unterstützt. „Das muss man überdenken und Wege finden“, sagt Olaf Lier. Man sei bereits im Gespräch und werde dranbleiben. Für zeitlich realistisch hält er, dass in fünf Jahren die ersten Eigenheime auf der Niederseite zwei Meter höher stehen. „Spätestens!“ Bei einem Elbepegel wie im vergangenen Jahr würde das Wasser dann nur noch den Keller erreichen.