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Wie harte Regeln zum Mindestlohn nach und nach weicher werden

Sachsen hat zusätzliche Kontrolleure bekommen – doch jetzt verlieren sie Kompetenzen.

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© Ronald Bonß

Von Georg Moeritz

Dresden. Wirtin im Stress: Nach einer Flaute zu Anfang Juli ist das Landgasthaus Ziegelscheune in Krippen an der Elbe wieder gut besucht – doch Christine Strohbach-Knaller fühlt sich von Behörden gegängelt. An den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro hält sich die Wirtin. Doch mit dem Mindestlohn sind auch strenge Arbeitszeit-Kontrolleure vom Zoll angekündigt worden. Strohbach-Knaller fühlt sich eingeengt, weil sie ihre zehn Angestellten nicht so flexibel einsetzen darf wie sie möchte – etwa bei einer langen Hochzeit.

Nun hat die Wirtin eine Ausnahmegenehmigung für Saisonbetriebe beantragt, damit sie die Kellnerinnen bei Bedarf bis zu zwölf Stunden an manchen Tagen arbeiten lassen kann. Der Antrag sei „sofort bewilligt“ worden, aber mit einer Behördenrechnung über rund 250 Euro. Von so viel Geld sei vorher nicht die Rede gewesen. Dagegen hat sie Widerspruch eingelegt.

Viel Glück wird die sächsische Wirtin mit ihrem Widerspruch nicht haben, sagt die Rechtsanwältin Sandra Warden. Sie arbeitet beim Gastwirteverband Dehoga in Berlin und hat mit Gebührenordnungen der Länder schon Erfahrungen gemacht. Doch ihr Verband Dehoga und andere Lobbyisten haben seit Einführung des Mindestlohns schon einige Änderungen zugunsten der Arbeitgeber erreicht. Sächsische Gewerkschafter fürchten nun, dass die Mindestlohn-Regeln ausgehebelt werden.

Dabei trat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) noch im März in Chemnitz recht unnachgiebig auf, als sie vor sächsischen Firmenchefs ihr neues Gesetz erläuterte. Damals war die Rede von 1 600 zusätzlichen Zöllnern bundesweit, die in Betrieben den Mindestlohn und die Stunden kontrollieren sollten. Eine halbe Million Euro Strafe kann drohen, wenn der Mindestlohn nicht gezahlt wird. 30 000 Euro kann es kosten, wenn die Stunden nicht ordentlich aufgeschrieben worden sind. Denn ohne tägliche Angaben zu Arbeitszeit und Pausen lässt sich nicht ausrechnen, ob wirklich 8,50 Euro für jede Stunde bezahlt worden sind, oder ob ein Teil Schwarzarbeit mit geringerem Lohn war.

Sachsen hat 130 zusätzliche Zöllner bekommen, weiß Geschäftsführer Volkmar Heinrich von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). In den ersten Monaten wurden sie geschult. Laut Bundesfinanzministerium wurden in ganz Deutschland im ersten Halbjahr 146 Ermittlungsverfahren wegen des Mindestlohns eingeleitet, davon vier in Sachsen. Auch Gastwirtschaften wurden kontrolliert, etwa der Landgasthof „Zum Ross“ von Gabriele Dörner in Diesbar-Seußlitz. Doch bei ihr gibt es schon seit mehr als zehn Jahren eine Stechuhr, die Arbeitszeiten dokumentiert. Drei Zöllner seien gekommen, sagt Dörner. Die hätten Fragen gestellt, aber nichts zu den Ergebnissen mitgeteilt.

Landesdirektion wird zuständig

Auch Wirtin Dörner ärgert sich, dass ihre Angestellten nach dem Arbeitszeitgesetz im Durchschnitt nur acht Stunden am Tag arbeiten dürfen – und zehn Stunden dürfen an keinem Tag überschritten werden. Anders als ihre Kollegin in Krippen hat Dörner noch nicht herausgefunden, wo sie eine Sondergenehmigung für zwölf Stunden beantragen kann. Doch Bundesministerin Nahles hat vor wenigen Wochen mitgeteilt, dass sie den Ländern bei diesem Thema einige Freiheiten lässt. Vor allem Bayern hatte darauf gedrängt. Demnach dürfen die Arbeitsschutzbehörden der Länder Arbeitszeiten von zwölf Stunden am Tag erlauben. Das gilt für „Saisonbetriebe“ in der Landwirtschaft, Gastronomie und Hotellerie sowie für Schausteller.

Die zuständige Landesdirektion Sachsen hat in diesem Jahr rund 50 Anträge auf solche Ausnahmegenehmigungen bekommen; Wirtin Strohbach-Knaller erhielt eine Genehmigung für drei Jahre. Mit Zollkontrollen muss sie trotzdem rechnen. Aber die Zöllner haben eine Zuständigkeit verloren, wie Ministerin Nahles mitteilt: „Die Aufzeichnung von Überstunden nach dem Arbeitszeitgesetz soll nicht mehr durch den Zoll überprüft werden.“ Vielmehr wird dafür die Landesdirektion zuständig.

Gewerkschafter Volkmar Heinrich sieht in dieser Neuregelung eine „Amputation“ des Zolls. Die Kontrolleure von der Bundesbehörde könnten künftig einen Teil ihrer Erkenntnisse nicht nutzen, höchstens weiterleiten an die Landesbehörde – und die ist nach seiner Einschätzung weniger streng und nicht so gut mit Kontrolleuren ausgestattet. Ein Sprecher der Landesdirektion sagt allerdings, dass auch diese Behörde Arbeitszeitnachweise kontrolliere und Zeugenaussagen verwende.

Der Wirteverband Dehoga fordert indes eine weitere „Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes“. Auch Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer möchte, dass künftig eine wöchentliche Höchstarbeitszeit statt einer täglichen vorgeschrieben wird.

Zufrieden zeigt sich die Dehoga dagegen, weil Arbeitsministerin Nahles schon einige Vorschriften in Verbindung mit dem Mindestlohn gemildert hat. Angestellte Eheleute, Kinder und Eltern müssen keine Arbeitszeiten mehr aufschreiben. Außerdem müssen keine Stundenzettel mehr für Angestellte ausgefüllt werden, wenn sie schon seit einem Jahr regelmäßig mehr als 2 000 Euro brutto im Monat bekommen; bisher lag die Grenze bei fast 3 000 Euro. Auf den ersten Blick scheint das bei einem Lohn von 8,50 Euro pro Stunde gleichgültig zu sein. Doch laut Gewerkschafter Heinrich bekommen viele Kellner in Sachsen wegen Überstunden mehr als 2 000 Euro im Monat. Diese Grenze sei „völlig aus der Luft gegriffen“. Heinrichs Freude über den durchgesetzten Mindestlohn lässt inzwischen nach: „Wir wollten ein Gesetz, das mit einfachen Mitteln kontrollierbar ist.“