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Wie kam der Name Rathen in die Sächsische Schweiz?

Heute wäre der Heimatforscher Alfred Neugebauer 100 Jahre alt geworden. Besonders eine seiner Theorien sorgt für Diskussionen.

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Von Andreas Fels

Viele Theorien hat uns der leidenschaftliche Archäologe und Kenner der Sächsischen Schweiz, Alfred Neugebauer, hinterlassen. Ein strittiger und ebenso umstrittener Mann war er. Aber wie kommt er dazu, das schlesische Rathen mit dem hiesigen in Zusammenhang zu bringen?

Doch der Reihe nach. Erst müssen wir Alfred auf seinem Weg durch die Jahrzehnte folgen. Am 29. Juli 1914 wird Alfred Neugebauer in Dresden geboren. Nach dem Schulbesuch folgt eine Lehre als Steindrucker. Als der „Gebirgsverein für die Sächsische Schweiz“ im Jahre 1933 mit Ausgrabungen in der Burganlage Neurathen unter der Leitung von Dr. Herbert Lindner beginnt, ist Neugebauer schon dabei. Nach dem Krieg erhält Neugebauer die Möglichkeit, seine Neigung zum Beruf zu machen und am Landesmuseum für Vorgeschichte in Dresden zu arbeiten. Im Frühjahr 1961 wird er mit der Untersuchung der bronzezeitlichen Höhensiedlung auf dem Pfaffenstein betraut. Seinen „Bombenjob“ mit 460 Mark Monatsgehalt gibt er 1968 auf, bleibt der Sache aber treu. Erst geht er als Lagerist in die Pharmazie, ab 1970 als Beauftragter für Arbeits- und Gesundheitsschutz in das Energiekombinat Dresden.

Als er 1979 in Rente geht, steht eine erneute Grabung auf der Burg Neurathen an, verbunden mit einer umfassenden Rekonstruktion des Wehrganges. Den Verfasser dieser Zeilen nimmt Neugebauer als Zwölfjährigen an die Hand und führt ihn in die Archäologie ein, wofür ihm herzlich gedankt sei. Am 13. Mai 1984 hatte Neugebauer seine Grabungen abgeschlossen, und die Burganlage Neurathen war durch Sebnitzer Bergsteiger um Klaus Böhme neu erstanden. Jetzt kommt das schlesische Rathen ins Spiel.

Neugebauer hatte in Erfahrung gebracht, dass es am Fuß des Heuscheuergebirges nicht nur ein Rathen, sondern auch zwei Ortsteile mit denselben Namen wie an der Elbe gibt, nämlich Oberrathen (Ratno Gorne) und Niederrathen (Ratno Dolne). Der historische Zusammenhang ist für ihn schnell gefunden. Der letzte Ritter der hiesigen Burg Rathen, Hans von der Oelsnitz, hatte nach längerer Belagerung seine Herrschaft Rathen im Mai 1469 verloren.

Neugebauer schreibt in einem Brief: „Ich nehme an, dass … Hans v.d. Oelsnitz nach Schlesien zurückkehrte und am Nordrand des Heuscheuergebirges eine Burg Rathen erbaut hat.“ In der Tat steht auch heute noch im schlesischen Niederrathen die Ruine eines Schlosses, dessen Ursprünge auf eine ältere Burg zurückgehen. Doch ist Alfred Neugebauers Vermutung richtig? Zweifel sind angebracht.

Der blinde Ritter

Das schlesische Rathen wird 1347 als Rathin und 1414 als Rathen erwähnt, also weit vor Hans von der Oelsnitz. Und nicht weit entfernt von Rathen liegt der Wallfahrtsort Albendorf (Wambierzyce), das „schlesische Jerusalem“. Dort soll bereits im Jahre 1218 der blinde Ritter Jan von Rathen gebetet und das Augenlicht wiedererlangt haben. Zum Dank stiftete er einen Altar, woraus später eine der größten Wallfahrtskirchen in Schlesien erwuchs.

Der frühere Rathener Ortschronist Dieter Nitzschner vermutete, dass der 1261 als erster Ritter im sächsischen Rathen genannte Dietrich oder latinisiert Theodericus de Raten ein Verwandter des blinden Jan von Rathen in Schlesien gewesen sein könnte. Seit 1253 hatte Ottokar II. als König von Böhmen und Herzog von Österreich versucht, die Grenze zur Markgrafschaft Meißen zu sichern und dazu auch schlesische Adelige angeworben. Das heute sächsische Rathen gehörte damals zu Böhmen und somit zum Machtbereich Ottokars. So herum klingt es plausibel.

Aber man weiß es nicht genau, und eine vertiefende Gemeindepartnerschaft gibt es leider auch nicht. Und unser Alfred? Wenn er heute da wäre, an seinem 100. Geburtstag, könnten wir lang und laut debattieren. Aber er ist am 13. August 2006 mit 92 Jahren verstorben. Sein Grabstein mit eingehauener Basteibrücke und dem Zusatz „Heimatforscher“ befindet sich auf dem Alten Annenfriedhof in Dresden.