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„Wir brauchen diese Brücke!“

Familie Langner pendelt zwischen Piensk, Deschka und Zodel. Sie kann den Brückenstreit nicht verstehen.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Jenny Thümmler

Es könnte so einfach sein. Ins Auto steigen, zweieinhalb Kilometer fahren, Kinder an Kita und Bushaltestelle abholen, zweieinhalb Kilometer zurück fahren, viel Zeit miteinander zu Hause haben. Doch Familie Langner aus dem polnischen Piensk (Penzig) drohen jetzt möglicherweise deutlich weitere Wege. Sie ist eine der Familien, die in der polnischen Nachbargemeinde wohnen, ihre Kinder aber in Neißeaue betreuen lassen wollen. Eigentlich kein Problem durch die Fußgänger- und Radfahrerbrücke zwischen Deschka und Piensk, die die Familie dank Sondergenehmigung mit dem Auto überqueren darf. Nun nach dem Bürgerentscheid könnte das aber bald ein Ende haben. Und die Brücke für Autos komplett gesperrt sein. „Für uns ist sie lebensnotwendig“, sagt Familienvater Siegfried Langner. „Und ich verstehe das Problem der Anwohner von Deschka auch nicht. Durch den Einbau des Pollers ist die Klauerei doch deutlich zurückgegangen.“

Morgens um sechs Uhr startet der Alltag bei Familie Langner in Piensk. Länger können die fünf- und neunjährigen Töchter Nina und Vivian nicht schlafen. Vivian, die gerade in die vierte Klasse gekommen ist, muss kurz nach sieben Uhr an der Bushaltestelle in Deschka stehen, um zur Schule nach Zodel zu fahren. Nina geht in die Deschkaer Kita. Ein enger Zeitplan, jeden Morgen. Und es passiert doch, dass der Bus schon weg ist. Dann schaffen die Eltern Vivian mit dem Auto ins fünf Kilometer entfernte Zodel. Ärgerlich, aber kein Drama. Es gibt ja die Brücke in Deschka.

Jetzt das Szenario ohne: Die Familie muss 38 Kilometer über die Brücke zwischen Zgorzelec und Görlitz nach Deschka fahren, dann dieselbe Strecke zurück. Siegfried Langner ist Rentner, er fährt danach wieder nach Hause. Seine Frau Justyna arbeitet bei Porta in Görlitz, kann die Kinder wegen des Schichtdienstes aber nicht jeden Tag bringen und abholen. Fast 160 Kilometer täglich, um die Kinder in die Einrichtungen zu schaffen? „Das kann’s doch nicht sein!“, schimpft Siegfried Langner. Und seine Frau fügt hinzu, dass das Argument, die Kinder könnten ja auch von der Brücke aus laufen, zu kurz gedacht ist. „Was ist mit den schweren Taschen? Was im Winter bei Eiseskälte? Bei Regen? Dann sind sie nass und werden krank. Das wollen wir auch nicht.“ Mit dem Fahrrad ist der Weg von der Brücke hoch zur Kita sehr anstrengend. Und: Es gibt Elternabende, Geburtstagseinladungen bei Freunden für die Kinder, Hobbys, gegenseitige Besuche mit Freundinnen. Das alles immer zu Fuß zu erledigen, geht nicht. „Das lässt sich mit zwei Kindern nicht ordnen.“ Erst recht nicht, da Vivian seit gestern an drei Nachmittagen in der Woche die Musikschule in Zgorzelec besucht. Unter 100 Bewerbern war sie dort Zweitbeste und ist mächtig stolz. Zwischen Schulschluss in Zodel und Beginn in Zgorzelec ist aber nicht genug Zeit für eine Rundreise über Görlitz. Mit dem Bus klappt es schon gleich gar nicht. Es muss schnell gehen, da sie sich zu Hause noch umziehen muss. In Polen gibt’s für Musikschüler strenge Regeln für Kleidung. Und es geht nicht nur um die Kinder. Siegfried Langner liebt es, einmal im Monat nach Uhsmannsdorf zu fahren, um dort in einer Seniorenrunde zu kegeln. Sport in fröhlicher Gemeinschaft als Ausgleich. Etwas, das in Penzig keine große Rolle spielt. „Mir würde das ganz schön fehlen.“

Die Entscheidung, in Deutschland oder Polen ein Haus zu bauen, stand schon vor vielen Jahren an. Letztendlich gaben die Kosten den Ausschlag. Grundstückskauf und Hausbau waren damals in Deutschland um ein Vielfaches teurer, selbst in Zgorzelec noch. Aber in Piensk ging es. Dort konnte sich die Familie ihr Traumhaus bauen, wohnt seit 2006 dort. Und es ist nah an der Grenze, was Langners wichtig ist. Weil sie in Görlitz arbeitet, weil die Kinder deutsche Einrichtungen besuchen sollen und weil er Kontakt zu Deutschland halten will, aus versicherungstechnischen wie sprachlichen Gründen. Alle in der Familie sprechen besser Polnisch als der Vater. Die Kinder wachsen zweisprachig auf.

Also könnten sie genauso gut eine polnische Schule besuchen? Nur theoretisch. „Sprache sprechen ist etwas anderes als zu schreiben“, sagt Justyna Langner. Sie hat sich als Polin Deutsch nahezu autodidaktisch beigebracht. Tochter Vivian hat es erst jetzt in den Sommerferien zum ersten Mal geschafft, ein polnisches Buch komplett zu lesen. „Wir wollen unseren Kindern zig Tests ersparen, wenn sie mit einem polnischen Abschluss mal in Deutschland arbeiten oder studieren wollen“, erklärt der Familienvater. Der Hochmut des deutschen Schulsystems in solchen Dingen nehme erst in jüngster Zeit etwas ab.

Eine Entscheidung haben Langners im Zuge des Brückenstreits aber schon getroffen: Tochter Nina wird nächstes Jahr nicht in Zodel eingeschult, sondern in Görlitz. „Wir haben das Theater satt“, sagen die Eltern. Bitter für Zodel, wo in den kommenden Jahren die Klassen wohl nicht einfacher als bisher gefüllt werden können. Aber da auch Tochter Vivian dann aufs Gymnasium in Görlitz geht, sind beide Kinder am selben Ort. Der Brückenstreit regt das Paar trotzdem auf. „Die Brücke wurde damals gebaut, um die Völkerverständigung zu befördern“, sagt Siegfried Langner. Und immer mit dem Hintergrund, dass es zusätzlich eine Autobrücke geben sollte – die bis heute auf Eis liegt. „Es ist in den vergangenen Jahren so viel Arbeit in die Zusammenarbeit der Gemeinden investiert worden“, sagt Justyna Langner. „Das kann man jetzt doch nicht alles einschlafen lassen, sondern muss die Kontakte pflegen.“ Dafür müsse man sich aber auch mal besuchen. „Wir hoffen sehr, dass die Sondergenehmigungen erhalten bleiben.“