Von Sebastian Beutler
Für Volker Schaarschmidt endet das Jahr, wie er es vor einem Jahr (intern) ankündigte: Der langjährige Betriebsratschef des Görlitzer Waggonbaus geht in den Ruhestand, seit 2002 stand er an der Spitze der Mitarbeitervertretung. Sein Nachfolger ist René Straube. Die Belegschaft hat Schaarschmidt kurz vor Weihnachten verabschiedet und dabei über 400 Euro fürs Straßentheaterfestival Viathea gespendet. Das war es nun aber. Für die SZ fand der 64-Jährige Zeit für ein Resümee.
Die Zukunft des Görlitzer Bombardier-Werkes ist ungewiss, die Belegschaft geht auf die Barrikaden, und nun gehen Sie auch noch in den Ruhestand. Mit welchen Gefühlen?
Mit gemischten Gefühlen, das ist doch klar. Gern hätte ich es so eingerichtet wie beim Abschied meines Vorgängers: Da waren die Auftragsbücher voll, der Waggonbau lieferte in hoher Qualität und pünktlich die Wagen an seine Kunden. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Ich hatte schon vor einem Jahr meinen Abschied angekündigt, somit kann nicht der Eindruck entstehen, dass ich vor Problemen davonlaufe. Aber Ende Februar werde ich 65 Jahre alt, und in meiner Lebensplanung hatte ich mir vorgenommen, diesen Geburtstag nicht mehr mit Arbeit zu verbringen. Ein Aufsichtsratsvorsitzender von Bombardier, etwas älter als ich, hatte mir mal gesagt: Es gibt ein Leben vor dem Tod. Das werde ich nun antreten.
Sie haben das Motto Ihres Vorgängers Rudi Berger übernommen, der mal sagte: „Es ist ein Fehler zu glauben, im totalen Gegeneinander von Geschäftsleitung und Betriebsrat große Probleme im Interesse der Belegschaft lösen zu können.“ Angesichts der Lage bei Bombardier: War das ein Fehler, waren Sie zu zurückhaltend?
Das ist im Nachgang natürlich schwer zu sagen. Man weiß ja nicht, wie es gekommen wäre, wenn wir anders gehandelt hätten. Ich glaube, es war richtig, dieses Motto übernommen zu haben. Auf seiner Schreibtischunterlage stand noch ein weiterer Spruch: „Hart in der Sache, freundlich im Ton.“ Auch das war ein guter Rat. Nur Aufträge und Gewinne sichern den Bestand des Werkes in Görlitz. Da haben Management und Arbeitnehmervertretung gleiche Ziele. Nur die Beweggründe sind andere; das Management muss die Anteilseigner zufriedenstellen. Wir wissen, schwarze Zahlen bedeuten in der Regel sichere Arbeitsplätze!
Ist es zu dramatisch, wenn man den Eindruck hat, dass selbst das Undenkbare nicht mehr ausgeschlossen ist, dass der Waggonbau Görlitz schließen könnte?
So weit würde ich nicht gehen wollen. Aber die Lage ist kritisch.
So kritisch wie in den 1990er Jahren, als die Russland-Aufträge über Nacht wegfielen und damit ein Hauptkunde des Görlitzer Waggonbaus?
Das ist vergleichbar. Damals hatte die Politik mit Bürgschaften zwar noch andere Möglichkeiten einzugreifen. Aber die Lage war damals schon dramatisch. Auch deswegen, weil der ostdeutsche Waggonbau zur selben Zeit unter den Wettbewerbern aufgeteilt werden sollte. Uns sollte Siemens übernehmen, mit 950 Arbeitsplätzen. Bei uns hatten damals aber mehrere Tausend Menschen Arbeit.
Sie selbst standen 14 Jahre an der Spitze des Betriebsrates – länger als ihr schon legendärer Vorgänger Rudi Berger. Was haben Sie erreichen können für die Mitarbeiter?
Wir haben es bis heute geschafft, das Werk in Görlitz zu erhalten, mit jetzt immer noch rund 1 900 Mitarbeitern. Es ist gelungen, den guten Ruf und das Ansehen des Waggonbaus zu bewahren. Auch dass Tarifverträge bei uns gelten, ist keine Selbstverständlichkeit in der Region. Das ist sicher auch auf unser Wirken und das der IG Metall zurückzuführen.
Das wird nun infrage gestellt durch die unsichere Zukunft.
Problematisch ist vor allem, dass das Management von Bombardier keine Details der zweiten Einsparungswelle bekannt gibt. Diese zweite Welle war schon mal im Frühjahr angekündigt, dann wieder abgesagt worden. Nun soll sie doch kommen. Aber es gibt nur schwammige Aussagen. 5 000 Stellen sollen weltweit wegfallen, in Deutschland unbestätigten Pressemitteilungen zufolge nochmals 2 500. Das ist nicht ganz ausgeschlossen, denn Bombardier betont immer wieder, in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich oder Großbritannien mehr als einen Standort zu unterhalten. Insofern ist zu befürchten, dass deutsche Standorte überproportional von dem angekündigten Stellenabbau betroffen sein werden. Das A und O für uns und auch für mich persönlich ist die Frage, wie es Bombardier gelingt, weitere Aufträge für seine Werke, speziell natürlich für Görlitz, zu akquirieren.
Nach 2020, wenn der Schweiz-Auftrag abgearbeitet ist, sieht es düster in Görlitz aus.
Es beginnt schon früher, 2018. Wir haben noch aus einem Rahmenvertrag mit der Deutschen Bahn 231 Doppelstockwagen offen, es gibt Optionen beim Schweiz-Auftrag. Aber es gibt keine neuen, zusätzlichen Abschlüsse. Das ist aber das Allerwichtigste, dann kann man auch über die Verteilung der Arbeit reden. Ich sehe durchaus Möglichkeiten, durch einen Werksverbund Synergien zu erzielen. Dazu bedarf es aber klarer Zusagen des Top-Managements und sichtbare aggressive Marktbearbeitung und Angebotstätigkeit.
Sie sprechen das Schienenfahrzeugzentrum Sachsen mit den Werken Bautzen und Görlitz an. Der Rohbau soll in Görlitz stattfinden, der Innenausbau in Bautzen. Kritiker fürchten, dass damit der gewinnträchtige Ausbau nach Bautzen gegeben und Görlitz langfristig Nachteile haben wird.
Die Experten sagen, das Know-how steckt im Rohbau. Richtig ist aber auch, dass man im Innenausbau mehr Geld verdienen kann. Das liegt an den hohen Investitions- und Energiekosten im Rohbau. Aber wenn das Werk ordentlich ausgelastet ist, dann kann auch Rohbau kostengünstig sein. Außerdem besteht unser Ziel darin, auch Innenausbauaktivitäten in Görlitz zu behalten.
Sie waren 14 Jahre Chef des Betriebsrates, dagegen wechselten seit 2010 die Werksleiter beinahe jährlich. Hat das dem Görlitzer Waggonbau geschadet?
Es wäre für unser Werk viel besser, wenn es wie früher mit Siegfried Deinege einen langjährigen Werksleiter gebe, der sich mit dem Standort verbunden fühlt und den die Kunden kennen und respektieren. Das würde die Zusammenarbeit mit Kunden ungemein erleichtern. Was aber bei Bombardier Transportation stattfindet, dieses Managerkarussell, ist einer der Hauptgründe für die Krise, in der sich das Unternehmen befindet. Und einen Werksleiter im eigentlichen Sinne gibt es in Görlitz mittlerweile gar nicht mehr. Unübersichtliche Strukturen bei Bombardier Transportation führen dazu, dass die einzelnen Bereiche in den Werken unterschiedlich unterstellt sind.
Sie sind 1977 als Schlosser in die Reparaturschlosserei des Waggonbaus gekommen. Was verbindet Sie heute mit dem Werk?
Im Laufe der Jahre ist eine tiefe emotionale Bindung an den Standort gewachsen. Ich merke das immer, wenn ich irgendwo einen Doppelstockzug sehe und denke: Schau an, auch hier fahren unsere Wagen. Und ich habe versucht, in all den Jahren, in ruhiger und vernünftiger Art und Weise, für die Interessen unserer Mitarbeiter einzutreten. Mit Parolen kommt man in einem Unternehmen wie Bombardier nicht weit.
Was werden Sie jetzt mit Ihrem „Leben vor dem Tod“ anfangen?
Ich treibe viel Sport, im Winter laufe ich Ski oder Schlittschuhe, im Sommer fahre ich Rad oder skate. Zehnmal habe ich am Europamarathon teilgenommen. Und wir sind vier Läufer, die auch gern den Berlin-Marathon unter die Füße nehmen – der ist nicht so anstrengend wie der Görlitzer, weil das Terrain in der Bundeshauptstadt nicht so hügelig ist wie an der Neiße. Und dann habe ich mir immer gewünscht, auf dem Balkon oder im Garten zu sitzen, die Zeitung aufzuschlagen und die Schlagzeile zu lesen: „Dem Görlitzer Waggonbau geht es wieder gut“. Diese Hoffnung werde ich nie aufgeben, deshalb wünsche ich allen, vor allem meinen Nachfolgern, viel Erfolg!