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„Wir lassen keinen Fanmarsch zu“

Bei Dynamo gibt es 500 bis 700 gewaltbereite Fans, sagt Stefan Dörner. Er leitet die Polizeieinsätze in Dresden.

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© Arvid Müller

Von Sven Geisler

Die zwei Gesichter der Dynamo-Fans: In Dresden inszenieren sie stimmungsvolle Fußballfeste mit beeindruckenden Choreografien, auswärts fallen sie immer wieder mit Ausschreitungen negativ auf wie zuletzt in Karlsruhe. Dafür gibt es verschiedene Ursachen, eine könnte im Konzept der Polizei liegen. Stefan Dörner, 39 Jahre, begleitet seit der Jahrtausendwende die Einsätze bei Fußballspielen in Dresden, seit vier Jahren leitet sie der Polizeioberrat. Im Gespräch mit der SZ erklärt er das Herangehen und wieso es sich nicht auf andere Standorte übertragen lässt.

Herr Dörner, warum gibt es auswärts immer wieder Ausschreitungen von Dynamo-Fans, während bei Heimspielen so gut wie nichts passiert?

Wir haben in Dresden einen langen, steinigen Prozess hinter uns, feilen permanent an unserem Einsatzkonzept, um die Sicherheit bei Dynamos Heimspielen zu gewährleisten. Aber vielleicht hatten wir auch nur viel Glück in den vergangenen Jahren. Es gibt keine Garantie.

Wie ist das Konzept aufgebaut?

Wir lassen grundsätzlich keinen Marsch, kein offensives Auftreten der Gästefans in Dresden zu. Damit verringern wir die Gefahren, die aus einem solchen Fanmarsch heraus entstehen und verhindern Angriffe von Dresdner Problemfans. In den 1990er- und 2000er-Jahren war es massiv zu Auseinandersetzungen in Stadionnähe gekommen, weil wir mit einem großen Pulk Gäste-Fans an gewaltsuchenden Dresdner Fans vorbei mussten. Eine solche Gefahrenlage umgehen wir komplett, indem Shuttle-Busse von einem Parkplatz fahren. Das kostet Kraft: dem Verein, der den Service organisiert und bezahlt, den Verkehrsbetrieben und der Polizei.

Wie wird dieses Angebot von den Gäste-Fans angenommen?

Von denen, die so einfach und schnell wie möglich zum Stadion wollen, um das Spiel zu sehen, sehr gut. Bei denen, die ihre Farben durch die Stadt tragen wollen, also speziell in der aktiven Fanszene, stößt es auch auf Ablehnung.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die Fans von Hannover 96 hatten geplant, das Shuttle-Konzept zu umgehen und sich an einem anderen Punkt zu treffen, um als Fanmarsch zum Stadion zu ziehen. Wir haben den Treffpunkt frühzeitig aufgeklärt und sie von dort zum Stadion gebracht.

Welche Spiele waren in dieser Saison besonders sicherheitsrelevant?

Wir ordnen die Spiele vor jeder Saison in drei Kategorien ein: hohes, normales oder geringes Risiko. Im Vorfeld war das Pokalspiel gegen RB Leipzig als besonders brisant eingestuft worden. Es verlief dann aus polizeilicher Sicht ohne größere Komplikationen. Der Bullenkopf, der in der Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt hat, ist mir als einziges Ereignis in Erinnerung geblieben. Der Transfer der RB-Fans zum und vom Stadion lief reibungslos, es gab null Angriffe, anders als später in Dortmund.

Können Sie erklären, warum die Polizei in Karlsruhe den Fanmarsch wollte?

Nein, ich kann und will nicht über das Konzept anderer Polizeidienststellen urteilen. Man muss immer die konkreten Bedingungen am Standort betrachten. Wir haben in Dresden durch das neue Stadion einen enormen Fortschritt in der Sicherheit erreicht. Unser Konzept setzt auf die strikte Trennung rivalisierender, gewaltbereiter Fans. Wenn diese aufgrund der baulichen Gegebenheiten am Stadion nicht funktioniert, ist das ganze Konzept hinfällig.

Das heißt, es gibt keine Blaupause, wie es funktioniert und wie nicht?

Die kann es nicht geben. In unserem alten Stadion hätte das Shuttle-Konzept nicht funktioniert, weil es am Gäste-Eingang keinen Platz gab, die Fans aussteigen zu lassen, ohne dass sie mit Dynamo-Anhängern aneinandergeraten. Wir mussten damals mit einem Fanmarsch arbeiten, um die Gäste zu schützen. Jetzt haben wir einen separaten Parkplatz am Gäste-Eingang, der massiv abgeschirmt wird durch ein zusätzliches Gitter, Diensthunde und Pferde. Im Stadion gibt es eine blickdichte Sektoren-Trennung zwischen Gäste- und Heimbereich. Das heißt, die Fans beider Vereine sehen sich zum ersten Mal, wenn sie auf ihren Plätzen sind – und dort sind sie durch die gesicherten Pufferzonen voneinander getrennt.

Bis zu 1 000 Beamte sind bei Risikospielen im Einsatz, Wasserwerfer werden aufgefahren. Steht dieser Aufwand noch in einem Verhältnis zu einer Sportveranstaltung?

Die Wasserwerfer zeigen wir bewusst an den für uns neuralgischen Punkten, auch wenn mir ein Wasserwerfer-Einsatz in Dresden nicht erinnerlich ist.

Ist der Aufwand etwa übertrieben?

Wir erstellen eine Gefahrenprognose, bilden gedanklich Szenarien, was passieren könnte. Darauf richten wir unsere Maßnahmen aus, und dabei überziehen wir nicht. Es besteht die Gefahr, dass es ohne Polizei zu Auseinandersetzungen gewaltbereiter Gruppen kommt. Bei jedem Fußballspiel der oberen Ligen gibt es eine gewisse Anzahl von Personen, die es als Plattform nutzen, Gewalt zu suchen.

Wie viele sind es bei Dynamo?

Dynamo hat eine sehr breite und sehr aktive Fanszene. Natürlich gibt es in einer so großen Szene auch eine höhere Anzahl von Leuten, die sich nicht an Regeln halten. Nach unserer Einschätzung sind je nach Spiel 500 bis 700 dabei, die als Problemfans bezeichnet werden.

Wie schätzen Sie die Zusammenarbeit mit dem Verein ein?

Wir stimmen die Maßnahmen sehr eng miteinander ab. Trotzdem vermisse ich hin und wieder eine klare Aussage von Dynamo, was seinem Fan-Leitbild entspricht, was er duldet und was außerhalb der roten Linie steht. Im K-Block gab es auch den einen oder anderen Spruch mit Polizeibezug, wenn ich an ACAB (All Cops are Bastards/d. A.) denke. Das wird von uns nicht toleriert. Aber es gibt nichts, was zu sicherheitsrelevanten Mängeln führen könnte.

In den Statistiken gibt es oft eine Diskrepanz: mehr Verletzte als Festnahmen. Greift die Polizei nicht hart genug durch?

Wir können nur diejenigen in Gewahrsam nehmen, die wir unmittelbar vor Ort als Täter identifizieren. Das war zum Beispiel in Karlsruhe erschwert durch die einheitliche Tarnkleidung und indem die Täter aus einer Nebelwand heraus agiert haben. Konkret: Wenn aus dem Pyro-Qualm eine Rakete auf Polizisten abgefeuert wird, durch die Beamte verletzt werden – wie will ich den identifizieren, der die Rakete gezündet hat? Man kann nicht 1 500 Mann festnehmen, die dort mitmarschiert sind. Das ist praktisch unmöglich und rechtlich unzulässig, denn der Großteil hat mit Sicherheit nichts strafrechtlich Relevantes begangen.

Der Verein beklagt, keine Täter genannt zu bekommen. Warum ist das so?

Das ist für mich absolut nachvollziehbar, wird sich aber nicht ändern lassen. Es gilt zunächst die Unschuldsvermutung, und ein Ermittlungsverfahren braucht Zeit, bis es vor Gericht abgeschlossen ist. Es können nur die Namen von Täter freigegeben werden, die beweissicher überführt worden sind. Der Verein hat natürlich ein Interesse daran, Strafen umzulegen oder bundesweite Stadionverbote zu erlassen.

Gibt es aus Ihrer Sicht für das Gewaltproblem beim Fußball eine Lösung?

Man muss es als das sehen, was es tatsächlich ist: Es findet zwar im Zusammenhang mit Fußballspielen statt, aber es ist ein gesellschaftliches Problem. Den Hebel am Fußball anzusetzen, kommt zu spät und greift zu kurz. Es geht um Jugend- und Sozialarbeit, Elternhaus und Schule sind gefordert. Wie gehen wir mit Gewalt um? Welche Präventionsmaßnahmen haben wir? Das können wir nicht mit Polizeieinsätzen bei Fußballspielen lösen, als Gesellschaft müssen wir mehr investieren.