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„Wir sind selber für unseren Ruf verantwortlich“

Thomas Warkus ist der neue Schulleiter der Oberschule Innenstadt in Görlitz. Die hat nicht das beste Image. Ihn schreckt das nicht.

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© Nikolai Schmidt

Von Susanne Sodan

Görlitz. Noch nichts zu hören. Noch keine Gitarren, keine Rockstimme, kein Schlagzeug. Im Büro von Thomas Warkus ist es noch still. Aber Lord Bishop ist schon da. Er sitzt genau ein Stockwerk tiefer, im Schulclub der Oberschule Innenstadt, und unterhält sich mit den Schülern. Lord Bishop stammt aus New York, seit über einem Vierteljahrhundert macht er Musik. 1995 kam er nach Europa. Musiklehrerin Dorit Röhle hat den Rockmusiker nach Görlitz geholt – für ein Konzert an der Oberschule Innenstadt. Vorher aber unterhielten sich Lord Bishop und seine Band mit den Schülern. Über das Leben eines Rockmusikers, über Musik selbst, über Ziele im Leben. Der Mann ist auch ohne Instrumente eine Schau: Zwei Meter groß, in einen langen, grauen Mantel gekleidet, mit Rastalocken, diversen Ringen an den Fingern und buntem Halstuch.

Zur selben Zeit am Freitagvormittag sitzt Thomas Warkus ein Stockwerk höher im Schulleiterbüro und unterhält sich mit der SZ. Über das Leben eines Lehrers, über die Oberschule, über seine Ziele als neuer Schulleiter. Thomas Warkus trägt nur einen Ring an den Händen, seinen Ehering. Und einen im Ohr. Er trägt Glatze, kann nicht Gitarre spielen. Dafür kann er sehr gut kegeln und unterrichten. Seit knapp einem Vierteljahrhundert ist er Lehrer, vor zwanzig Jahren kam er ans Berufliche Schulzentrum Görlitz (BSZ). Eine Stellenausschreibung hat ihn an die Oberschule Innenstadt geholt – als Schulleiter. Lord Bishop stand im Stau auf dem Weg nach Görlitz. Thomas Warkus fühlt sich derzeit, als würde er mit vollem Tempo über die Autobahn fahren. „Es sind so viele Eindrücke.“

Anfang dieses Jahres hat die bisherige Leiterin der Oberschule Innenstadt ihr Dienstverhältnis beendet. Sie war nur ein Jahr im Amt. Danach wurde ihre Stelle ausgeschrieben. Diese Ausschreibung hat Thomas Warkus gesehen, als er zu Hause das Ministerialblatt durchblätterte. Ja, sagt er, er war überrascht, dass diese Stelle frei war, die erst ein Jahr zuvor neu besetzt worden war. Und er war neugierig, vereinbarte einen Termin für einen Schulbesuch. „Mein erster Eindruck war, dass es eine bunte, sehr vielfältige Schule ist“, erzählt er. „Sie ist gut ausgestattet. Bei den Schülern habe ich auch viel Lust am Lernen erlebt.“ Aber er weiß auch, wie die Innenstadt-Oberschule von außen bewertet wird. Nicht als die beliebteste der vier Görlitzer Oberschulen.

Für die neuen fünften Klassen hat sie eine Kapazität von über 80 Schülern. Anmeldungen für das kommende Schuljahr gab es nur 37. „Ich weiß, worauf ich mich eingelassen habe“, sagt Thomas Warkus. „Ich weiß, was manchmal in sozialen Medien über die Schule geschrieben wird.“ Er wisse auch, dass die Oberschule Innenstadt einen verhältnismäßig hohen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund hat. „Dadurch kommen hier Schüler mit ganz unterschiedlichen Wissensständen zusammen, ebenso Schüler mit unterschiedlichen Werten und kulturellen Hintergründen“, erklärt er. „Wenn dann noch Sprachbarrieren dazukommen, verstärkt das manche Dinge.“ Dennoch schickte er sein Bewerbungsschreiben ab. Inzwischen kennt er auch ganz andere Stimmen. In den ersten Tagen als Schulleiter hat er sich in jede einzelne Klasse reingesetzt. „Ich muss meine Schüler kennenlernen.“ Auch mit den Klassensprechern setzte er sich zusammen. „Es waren mehrere dabei, die eigentlich an eine andere Schule wollten“, sagt er. „Sie haben mir erzählt, dass sich das Schulleben hier nicht mit dem deckt, was sie vorher so gehört hatten.“

Eine Stelle als Schulleiter hatte Warkus noch nie inne. Er muss in nächster Zeit deshalb auch selber noch mal die Schulbank drücken. „Der Freistaat bietet Weiterbildungen an, die ich besuchen werde.“ Thomas Warkus stammt aus Reichenbach, hat am heutigen Joliot-Curie-Gymnasium in Görlitz sein Abitur gemacht. 1998 begann er am BSZ als Fachlehrer für Deutsch und Geschichte. Heute lebt er im Markersdorfer Ortsteil Friedersdorf mit seiner Frau und zwei Kindern. „Natürlich habe ich mich vorher mit ihnen beraten.“ Der Schulleiterposten, die Weiterbildungen werden auch für Veränderungen zu Hause sorgen, Warkus ist zudem Mitglied im Gemeinderat Markersdorf. „Aber ich habe grünes Licht von meiner Familie bekommen.“

Nicht neu ist ihm dagegen der Umgang mit Schülern. Am BSZ hatte Warkus mit Jugendlichen aller Abschlussstufen zu tun. 20 Jahre sind schwer kurzzufassen, aber unter anderem hat Thomas Warkus am BSZ den Bildungsgang Luft- und Raumfahrttechnik für das Berufliche Gymnasium mit aufgebaut, hat sich für das Tonstudio eingesetzt, bei der Lehrplanreform vor reichlich zehn Jahren mitgewirkt. „Vor Verantwortung habe ich mich nie gescheut.“ Zuletzt hat er auch viel mit Schülern aus anderen Ländern gearbeitet, die am BSZ die Vorbereitungsklasse besuchen. „Wir haben bei diesen Jugendlichen häufig Bildungsbiografien vor uns, die nicht ins deutsche Schulsystem passen“, erklärt er. „Die Frage ist, wie kann man die jungen Menschen trotzdem fit machen für eine Ausbildung, eine Perspektive schaffen?“ Vor allem, sagt Warkus, indem man Netzwerke aufbaut, zu den Schulen, zu Unternehmen, zum Kompetenzzentrum Sprachliche Bildung (KSD) – das an der Oberschule Innenstadt angesiedelt ist. Auch deshalb kennt er die Schule bereits.

Die bestmögliche Perspektive, darum geht es ihm nun auch an der Oberschule Innenstadt. „Ich möchte, dass jeder Schüler hier die Voraussetzungen und den Abschluss bekommt, den er für seinen Traumberuf braucht.“ Auch dabei setzt Warkus auf Netzwerke, zum Beispiel auf die Zusammenarbeit mit Schulsozialarbeitern, Praxisberatern und Berufseinstiegsbegleitern. Mit Personal aus den drei Bereichen arbeitet die Oberschule bereits zusammen. Derzeit geht es darum, das zu erweitern, sowohl einen weiteren Praxisberater wie auch einen weiteren Schulsozialarbeiter an die Schule zu holen. Das meiste davon geht nicht auf Thomas Warkus‘ Konto, sondern auf das der stellvertretenden Schulleiterein Angelika Hahn, die in den vergangenen Monaten das Zepter in der Hand hatte. Aber diese Punkte gehen in Warkus’ Richtung: Unterstützung auch außerhalb des Unterrichts ist ihm wichtig, Praxisnähe und die Orientierung auf das, was nach der Schule kommt. Und: Dass aus den verschiedenen Kulturen und Nationen, die an der Oberschule Innenstadt zusammenkommen, mehr Gemeinschaft werden soll. „Am Ende sind wie selber für unseren Ruf verantwortlich.“

Am Freitagabend war Lord Bishop schon auf dem Weg zum nächsten Konzert. Thomas Warkus war wohl zum letzten Mal dabei, als die Absolventen vom Beruflichen Gymnasium des BSZ ihr Abizeugnis bekommen haben. Wehmut? „Vorfreude“, antwortet Warkus.