SZ +
Merken

Wo George Washingtons Efeu rankt

Alexander Grohmann war gerade mit dem Studium fertig, als er sein Haus an der Peterskirche sanierte.

Teilen
Folgen
NEU!
© nikolaischmidt.de

Von Daniela Pfeiffer

Wenn einer weiß, wer sonntags in die Kirche geht, dann Alexander Grohmann. Wer wohnt schon vis à vis vom Eingang der Görlitzer Peterskirche. Außer den Kirchgängern findet er die Fremdenführer noch ziemlich interessant. Er amüsiert sich darüber, dass zu bestimmten Dingen jeder eine andere Version erzählt. „Manchmal frage ich mich wirklich, was stimmt denn nun?“ Ansonsten lässt es Grohmann und seine kleine Familie inzwischen unbeeindruckt, am höchsten und einem der geschichtsträchtigsten Gebäude der Stadt zu wohnen.

Bei der Peterskirche3: links eine Ansicht von 1998, rechts das Ergebnis nach Alexander Grohmanns Sanierung – mit dem berühmten Efeu. Fotos: privat, Pawel Sosnowski
Bei der Peterskirche3: links eine Ansicht von 1998, rechts das Ergebnis nach Alexander Grohmanns Sanierung – mit dem berühmten Efeu. Fotos: privat, Pawel Sosnowski
Alexander Grohmann vor seinem Haus Bei der Peterskirche 3. Heute sei es für junge Görlitzer viel schwieriger, eine Haussanierung durchzuziehen. Aber die Mühe sei es auf jeden Fall wert, sagt er. Foto: Nikolai Schmidt
Alexander Grohmann vor seinem Haus Bei der Peterskirche 3. Heute sei es für junge Görlitzer viel schwieriger, eine Haussanierung durchzuziehen. Aber die Mühe sei es auf jeden Fall wert, sagt er. Foto: Nikolai Schmidt © nikolaischmidt.de

Ganz gewiss haben sie sich ihr Haus mit der Adresse Bei der Peterskirche auch nicht deswegen ausgesucht. Vielmehr ist es Alexander Grohmann – damals noch ohne Lebenspartnerin Jana und Tochter Elly – 1998 mehr oder weniger zufällig in die Hände gefallen. Ein Freund machte ihn darauf aufmerksam, dass das Görlitzer Wohnungsunternehmen WBG – heute KommWohnen – an der Peterskirche ein Haus verkaufe. Sein Plan war das nun nicht gerade, aber weil der Preis unschlagbar war, sagte sich Grohmann: Warum Miete zahlen, wenn man sich auch was Eigenes aufbauen kann?

In Weißwasser, wo der heute 42-Jährige herstammt, hatte er Buchbinder gelernt, in Leipzig Verlagsherstellung studiert. Die Zeit zwischen Studienabschluss und neuem Job nutzte er 1998 intensiv für die Haussanierung. Innerhalb weniger Monate waren die zwei Wohnungen schon fertig, man zog ein. Grohmann bezeichnet es als sein Glück, dass bis kurz vor dem Verkauf eine alte Dame in dem Haus lebte, es also gut in Schuss war. Zum Einziehen reichte es, die alten Kachelöfen durch Heizung zu ersetzen, frische Tapete an die Wand zu kleben, die Dielung ein wenig aufzuarbeiten. Den ganzen Rest stemmte er schon in bewohntem Zustand – mit all dem Dreck, der eben entsteht, wenn man etwa neue Fenster einbaut.

Doch die richtigen Brocken kamen noch. Da das Haus denkmalgeschützt ist, musste eine gründliche Untersuchung der Bausubstanz sein. Dabei stellte sich heraus, dass die einst überputzte Fassade früher eine Sandsteinfassade gewesen war. Und die wollte der Denkmalschutz wieder sehen. Da war Grohmann aber gerade mit allen seinen Förderanträgen durch, alle Töpfe waren ausgeschöpft. Woher nun noch mal 30 000 Euro nehmen? Der Zufall half. Oder das Glück. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz trifft sich einmal im Jahr mit ihren Geldgebern, um Ausnahme- oder Notfälle zu diskutieren. Hier kam der Fall Peterskirche 3 auf den Tisch. Und siehe da: Eine einzelne Dame wollte dem jungen Mann helfen und schenkte 20 000 Euro. „Das hat mich gerettet“, ist Grohmann auch Jahre danach noch froh und dankbar. Der Spenderin persönlich danken konnte er nie – eine Kontaktaufnahme war nicht möglich.

Wann das Haus letztlich fertig war, lässt sich nicht wirklich sagen. Es geht immer weiter, erklärt der Eigentümer. Irgendwann wurde sein Arbeitszimmer zum Kinderzimmer, das zentrale Bad im Erdgeschoss wurde aufgelöst, als jede Wohnung eigene Bäder bekam, vor zwei Jahren hat sich das Paar eine schicke, neue Küche eingerichtet. „Und so geht es weiter“, sagt Alexander Grohmann, der heute eine Fliesenlegerfirma hat. Irgendwelche Dinge, die noch zu verändern wären, gibt es immer. Nur die Holzbalkendecken wird wohl erst die nächste Generation in Angriff nehmen, glaubt Alexander Grohmann. Zu Barockzeiten muss sie zugeschalt worden sein, hat er bei seinen Recherchen über das Haus in den städtischen Archiven herausgefunden. Bei einer Probebohrung kam im ersten Obergeschoss eine zweifarbige Decke zum Vorschein. Er hat das Bohrloch aber wieder geschlossen. Zu teuer, die Restaurierung in Angriff zu nehmen.

Die Suche nach der Geschichte des Hauses war mühsam. Aus früheren Jahrhunderten des 600 Jahre alten Hauses gibt es so gut wie keine Einträge. Vermutlich waren Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft von Kirchen nicht bedeutend, glaubt Grohmann. Hier haben wohl normale Leute gewohnt, keine Reichen. Was er aber herausfand: dass es bis zum Jahre 1886 ein direktes Nachbarhaus mit der Hausnummer 2 gab. Heute hingegen gibt es nur die Adressen Bei der Peterskirche 1 und 3. Eine kleine Schusterkate muss es gewesen sein, vermutet man. Heute erinnert nur noch die rechte Außenmauer daran, die Bestandteil von Grohmanns Häuschen ist. An ihr rankt eine Pflanze mit einer besonderen Geschichte empor: „Das ist ein Ableger vom Efeu, den US-Präsident George Washington am Weißen Haus gepflanzt hat“, erklärt der Hausherr voller Stolz. Gerhart Hauptmann, nach dem das Görlitzer Theater benannt ist, soll von seinem Amerikabesuch einen Ableger mitgebracht und an seinem Haus auf Hiddensee gepflanzt haben. Von dort zwackte sich wiederum Alexander Grohmanns alter Buchbindermeister aus Weißwasser ein Stückchen ab und von ihm wiederum hat es Grohmann.

Die Geschichte erzählt er gern – auch den Fremden, die hin und wieder bei ihm klingeln und fragen, ob sie mal schauen dürfen, sie hätten doch früher in dem Haus gewohnt. Wie viele Menschen das über die Jahrhunderte ingesamt waren, fragt sich Grohmann oft. Wie viele mögen hier geboren und gestorben sein?

Nächste Folge am Montag: Wie ein Geigenbauer sich sein eigenes Reich schaffte