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Woher die Wut in Schweden kommt

Das Land wird für seine Sozialpolitik gelobt. Doch junge Leute mit „falschem“ Einwandererhintergrund haben Probleme.

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© dpa

Von André Anwar, Stockholm

Der Stockholmer Vorort Husby wirkt wie eine kleine Idylle. Alles ist ordentlich begrünt, Bürgersteige und Fassaden sind sauber. Dort wohnt auch Mustafa. Aber zur Schule geht der Gymnasiast mit ausländischen Eltern lieber woanders. Die freie Schulwahl macht es möglich. In Schweden können Eltern unabhängig von ihrem Wohnort selber wählen, wo ihre Kinder zur Schule gehen sollen. „Das ist vielleicht ein wenig egoistisch von mir. Ich will eine gute Schulbildung haben. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, sind die Schulen hier bei uns nicht gut genug“, sagt er über Husby.

Der Vorort war in den vergangenen Tagen Schauplatz heftiger Krawalle. Randalierer setzten Autos und Schulen in Brand, attackierten Feuerwehrleute und Polizisten. Als Auslöser galt der Tod eines 69-jährigen Immigranten aus Portugal, den Polizisten nach eigener Darstellung in Notwehr erschossen hatten. Anwohner vermuten aber einen rassistischen Hintergrund. Inzwischen sind die Unruhen abgeflaut. Aber die Probleme bleiben.

In Mustafas Innenstadtgymnasium lernen Kinder aus besseren Verhältnissen. Es sind Söhne und Töchter von Ärzten, Anwälten und Unternehmern. Der Unterricht sei anspruchsvoller, das Klima ist inspirierender und zukunftsbejahender, sagt Mustafa. Dort fühlen sich die Schüler als Teil der Gesellschaft. „In Husby ist das nicht so“, sagt er. Die Menschen dort seien nicht klüger und nicht dümmer als andernorts. Aber sie haben einfach nicht die gleichen Chancen. Es ist ein langer Weg für ihn bis zur Schule mit den öffentlichen Verkehrsmitteln „Ein langer Weg. Aber der lohnt sich.“

Schweden tut tatsächlich viel mehr für seine Einwanderer als die meisten anderen EU-Länder. Obwohl das Land seit den 90er-Jahren von einem von Chancengleichheit und geringen sozialen Unterschieden geprägten sozialdemokratischen Bild in eine marktliberale Gesellschaft nach dem Vorbild von Großbritannien umgebaut wird. Steuern, Sozialleistungen und Umverteilungsquoten sind noch immer relativ hoch.

Auch das hat dafür gesorgt, dass sich die meisten Bewohner der sozial schwächeren Stadtteile wie Husby von den schweren Krawallen distanziert haben, statt sie zu unterstützen.

Doch seit den Unruhen kommt auch deutliche Kritik auf. Denn es sind vor allem die besseren Schüler aus Husby und anderen Vororten mit vorausdenkenden, oft akademisch gebildeten Eltern, die ihre Kinder auf bessere Schulen in der Innenstadt schicken. „Viele Familien empfinden die freie Schulwahl als Möglichkeit, aus der sozialen Absonderung durch ihren Wohnort auszubrechen, auch wenn sie kein Geld haben, um in den feineren Stadtteilen zu wohnen“, sagt die Stockholmer Soziologin Jenny Kallstenius.

Jugendarbeitslosigkeit gestiegen

Gleichzeitig klagen Lehrer in Husby darüber, dass ihnen viele gute Schüler verloren gehen. Das beeinträchtige das Unterrichtsniveau. Doch ein großes Problem für Schweden ist der Arbeitsmarkt, nicht nur für junge Menschen aus Einwanderervierteln. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den letzten sechs Jahren kräftig angestiegen – auf derzeit rund 27 Prozent bei 15- bis 24-Jährigen. Die Arbeitslosenquote in Schweden beträgt 8,7 Prozent in der gesamten rund 9,5 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung. Gerade der große öffentliche Sektor Schwedens war lange Zeit wichtiger erster Arbeitgeber für junge Menschen mit wenig Berufserfahrung. Inzwischen werden viel Bereiche ausgelagert und an Zeitarbeitsfirmen vergeben – ohne das Gefühl von Verantwortung für die Zukunft junger Leute.

Besondern schwierig ist die Suche nach Arbeitsplätzen für Kinder von Einwanderern. Latenter Rassismus sorgt dafür, dass Bewerber mit muslimisch klingenden Namen oder südländischem Aussehen trotz guter Noten keine Praktika bekommen und bei Bewerbungsverfahren oft ausgefiltert werden. Genauso wie auch an den Eingängen zu vielen Stockholmer Bars und Nachtklubs, wo sich Menschen unterschiedlichster Herkunft eigentlich kennenlernen und austauschen könnten.