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Zehn Kitas schließen am Freitag

Aus Protest gegen zu wenige Erzieher wird gestreikt. Alle Kinder bleiben zu Hause. Manche Kitas nutzen den Tag anders.

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Von Daniela Pfeiffer, Anett Schmidt und Katja Schlenker

Omas und Opas sind am Freitag besonders gefragt. Allein aus der ASB-Kita Hummelnest in Görlitz sind 120 Kinder unterzubringen. Denn ihr Kindergarten und Hort bleibt an diesem Tag zu. Dann wollen ihre Erzieherinnen streiken. Sie haben die Nase voll von dem knapp bemessenen Erzieherschlüssel, den der Freistaat Sachsen vorgibt. Sie sind es leid, so wenig Zeit für Vor- und Nachbereitungen zu haben.

Im ehemaligen Landkreis Niederschlesische Oberlausitz hingegen wird der Protest ruhiger, wenn auch nicht leiser ausfallen. Von den Kindergärten der Städte Niesky und Weißwasser, der Gemeinde Boxberg sowie dem Deutschen Roten Kreuz beteiligen sich kaum welche an der Aktion. Sie haben entweder am Freitag nicht geschlossen oder wegen der Sommerferien sowieso Betriebsruhe.

Lediglich der Kindergarten „Sonnenschein“ des Deutschen Roten Kreuzes in Weißwasser macht am Freitag bei der Aktion mit – auf ganz eigene Weise. Hier ist am Freitag zwar nicht geschlossen, aber unter anderem sind Unterschriften gesammelt worden, um die Aktion „Weil Kinder Zeit brauchen“ zu unterstützen.

Mit allen zehn Kindergärten, die der Arbeiter-Samariter-Bund im Landkreis hat, beteiligt er sich an den Protesten. Darunter sind auch die ASB-Kita Sonnenweg in Niesky, die Reichenbacher ASB-Kita, das Zwergenland in Hagenwerder sowie in Görlitz die Kita Wirbelwind. Überall zeigen die Eltern Verständnis, erklärt die ASB-Kita-Verantwortliche Andrea Werner. „Ich habe aus keiner einzigen Einrichtung bisher etwas Negatives gehört, auch wenn es organisatorisch bei manchen Familien mit Schwierigkeiten verbunden ist“, sagt sie. Dass noch Ferien sind und etliche vor dem Schulanfang freihaben, kommt ihnen zugute.

Ohnehin sei die personelle Besetzung in den Kindereinrichtungen ein Thema, das auch die Eltern selbst immer wieder ansprechen. „Unternehmt doch endlich was“, bekommt auch Sabine Winkler öfter mal zu hören. Sie leitet das Hummelnest und weiß aus eigener Erfahrung, wie schön der Personalschlüssel in der Theorie aufgeht und wie schlecht in der Praxis. Urlaub, Krankheit, Weiterbildung – irgendetwas ist immer und schon geht das Rotieren los.

Als Leiterin einer Einrichtung mit mehr als hundert Kindern müsste sie eigentlich von der Arbeit in den Gruppen freigestellt sein, um sich auf die Leitung zu konzentrieren. Aber auch das geht nur so lange, bis wieder jemand ausfällt. „In der Krippe haben wir auf 18 Kinder vier Kolleginnen, davon ist aber keine in Vollzeit. Der jetzige Personalschlüssel von einer Erzieherin auf sechs Kinder ist aber für Vollzeit gerechnet“, erklärt sie. Schon eins zu sechs sei ein Wert, der zu hoch gegriffen ist: „Wenn man sechs Eineinhalbjährige am Tisch sitzen hat, die das Essen alle gerade erst lernen, ist das mit einer Erzieherin kaum machbar.“

Deshalb fordert der ASB auf einem großen Plakat am Kita-Eingang, dass der Personalschlüssel gesenkt wird. Im Kindergarten soll eine Erzieherin künftig nicht mehr 13, sondern nur noch zehn Kinder betreuen, im Hort statt zwanzig nur noch 16 Kinder. Zudem soll die Zeit für Vor- und Nachbereitung als 20 Prozent der Arbeitszeit angerechnet werden. „Die Mappen, mit denen die Kolleginnen die Entwicklung der Kinder dokumentieren, machen sie zum größten Teil alle zu Hause“, berichtet Sabine Winkler.

All diese Probleme wollen sie und ihre Kolleginnen am Freitag gerne allen Interessierten erklären und um Verständnis für die Situation werben. Denn einfach nur Zuschließen und einen schönen freien Tag verleben – das wäre für die Erzieherinnen kein Streiken. Stattdessen funktioniert der ASB in den zehn Einrichtungen den Schließtag in einen Tag der offenen Tür um. Willkommen ist jeder: Eltern, die auf der Suche nach einem Kita-Platz sind, Oma und Opa, die mal sehen wollen, wo der Enkel jeden Tag seine Zeit verbringt. Aber auch Lokalpolitiker, die am ehesten etwas bewirken können. „Wir wollen zeigen, was wir hier alles tun, dass wir eben keine pure Aufbewahrungsstelle sind, sondern es einen sehr anspruchsvollen sächsischen Bildungsplan gibt, den wir erfüllen“, sagt Andrea Werner.

Außer den ASB-Kitas beteiligt sich in Görlitz offenbar niemand an dem Protest. Das ergab eine Umfrage unter den Einrichtungen der Volkssolidarität, der Awo, im Evangelischen Kinderhaus Regenbogen und bei den DRK-Einrichtungen. „Wir kämpfen mit für einen besseren Betreuungsschlüssel“, sagt der stellvertretende DRK-Vorstand Ernst-Udo Gail. „Aber wir haben auch eine Betreuungspflicht und der kommen wir nach.“ Zudem sei in der Satzung verankert, dass man sich aus politischen Dingen heraushalte. Da sich der Wahlkampf gerade in der Endphase befindet, sei das durchaus als politisches Thema anzusehen.

Die Aktion am Freitag geht auf eine Initiative in Zwickau zurück. Hier haben sich die freien Kita-Träger zusammengeschlossen und zum Protest aufgerufen – mit dem Ergebnis, dass an vielen Orten in Sachsen am Freitag der Kindergarten zu bleibt.