Riesaer finden in Brandenburg Zuflucht

Zeischa. Endlich wieder ein normaler Sommertag. Regina Pretzsch sitzt letzten Sonnabend entspannt auf der überdachten Veranda ihres Bungalows in Zeischa, Siedlung II. Die Hitzeperiode ist vorüber – die Mücken aber noch gut dabei. „Die Wespen sind dieses Jahr auch ziemlich lästig“, sagt die 78-Jährige. Seit mehr als 40 Jahren sind Regina und ihr sechs Jahre älterer Ehemann Siegfried schon zu Gast in Zeischa. Und kurz nach der Wende haben die beiden ihren Bungalow nicht weit vom glasklaren Kiessee endlich gekauft.
„Damals wurden die Bungalows alle versteigert“, erinnert sich Regina Pretzsch an die Zeit um 1990/91. Sie selbst hatte vor der Wende wie ihr Mann zunächst im Riesaer Stahlwerk gearbeitet, war dann aber später zum Zündwarenwerk gewechselt. „Wegen der Schichtdienste im Stahlwerk“, sagt die Seniorin heute. Kein Wunder, denn das Ehepaar war ja nicht nur arbeiten, sondern hat auch drei Kinder, die alle in der kleinen Wohnung im Riesaer Ortsteil Weida aufgewachsen sind.
„Auf 56 Quadratmetern in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung“, denkt Regina Pretzsch zurück an die Anfangszeiten in Riesa, als das Ehepaar 1966 das kleine Heim in Weida bezog – und dort bis heute in den Wintermonaten wohnt.
Stahlwerk, Zündwaren, Teigwaren, Aropharm
Aus der Elbestadt stammen beide aber nicht. Sie ist gebürtige Thüringerin, er kommt aus dem Osterzgebirge. Zusammengefunden hat das Pärchen dann aber in Riesa, wo beide zunächst im Stahlwerk arbeiteten.
Und genau das war dann auch der Grund, der der Familie den Weg in die Bungalow-Siedlung am Zeischaer See ebnete. Denn zu DDR-Zeiten wurde das kleine Dörfchen bei Bad Liebenwerda von den Riesaer Unternehmen als Top-Freizeitparadies entdeckt. Bungalows entstanden mitten im Wald – ohne alles abzuholzen. Die alten Nadelbäume stehen heute noch, obwohl inzwischen einige dem Borkenkäfer oder Stürmen zum Opfer gefallen sind. Beteiligt waren an den damaligen Bungalow-Bauten außer dem Stahlwerk unter anderem das Zündwarenwerk und die Teigwaren Riesa, Aropharm Riesa sowie das Chemiewerk Nünchritz.

„Wir sind jetzt von Mai bis Oktober immer hier“, sagt Regina Pretzsch lächelnd, während Ehemann Siegfried sich drin im Häuschen über das nächste Kreuzworträtsel hermacht. Der Vorteil: Er bleibt hinter den Schutzfenstern von den allgegenwärtigen Mücken verschont. Und die Wespen haben nach dem Regen vom Sonnabend an diesem Tag endlich mal Pause.
Rund 300 Quadratmeter groß ist die Parzelle von Familie Partzsch in Siedlung II. Also nur wenig größer als eine Kleingartenparzelle etwa im Riesaer Reiter. Mit dem Unterschied, dass man in Zeischa den ganzen Sommer entspannt wohnen kann, während die Kleingärten nur zur Wochenendnutzung gedacht sind – und dort auch diverse Anbauregeln gelten, die es in Zeischa nicht gibt. Gemüse im Vorgarten? Fehlanzeige in der dortigen Siedlung II – wobei das prinzipiell wohl kein Problem ist. Schließlich ist in dem Verein mit 59 Bungalows alles möglich. Vorausgesetzt, es herrscht Ruhe zwischen den Häusern.
So wie am benachbarten großen Kiessee, der mit seinem glasklaren Wasser zum Schwimmen einlädt. Nicht umsonst gibt es in einer Bucht ein Waldbad, dazu einen Campingplatz und ein Ferien- und Freizeitzentrum. „Ich gehe auch heute noch oft zum Schwimmen. Morgens, manchmal mittags und auch am Abend“, erzählt Regina Partzsch. „Leider geht der Wasserspiegel auch hier bei uns immer mehr zurück.“ Schon um mehrere Meter hat sich am Ufer das Wasser zurückgezogen.
Wobei der See nicht von Flüssen oder Bächen, sondern von Grundwasserquellen gespeist wird. „Unseren Brunnen mussten wir aber auch schon tiefer machen lassen“, sagt die 78-jährige Seniorin. Das war zwingend nötig, denn der Partzsch-Bungalow hat keinen Wasseranschluss, sondern bezieht das Nass zum Kochen, für die Dusche oder auch das Gießwasser für die Pflanzen aus der hauseigenen Wasserstelle.
Refugium für den ganzen Sommer
Sorgen um die Zukunft ihres Bungalows im Grünen muss sich das Ehepaar Partzsch übrigens nicht machen, denn der 1997 abgeschlossene Erbbau-Pachtvertrag gilt 99 Jahre. „Jetzt im Sommer, da macht Heike unseren Briefkasten in Weida leer“, freut sich Regina Partzsch über die Unterstützung ihrer Tochter, die in der Nähe von Mühlberg zuhause ist und auch die wöchentlichen Einkäufe für ihre Eltern im nahen Bad Liebenwerda mit dem Auto erledigt.
Seitdem Familie Partzsch in Zeischa urlaubt, hat sich dort viel verändert. „Früher gab es ein Badehaus für alle Bungalows, die alle kein Bad hatten. Und es gab einen Konsum“, erinnert sich die 78-Jährige. „Später haben wir uns dann selbst ein Badezimmer eingebaut. Jetzt haben wir schon einen Generationswechsel. Das junge Volk zieht nach, da kennen wir manche gar nicht mehr.“

Für den Winter ist zumindest der Partzsch-Bungalow nicht perfekt gerüstet. „Wir haben hier Elektroheizer, keine Heizung.“ Deshalb kehrt das Ehepaar auch jeden Herbst zurück in die kleine Balkon-Wohnung in der zweiten Etage des Wohnblocks in Riesa-Weida, in der über den Sommer alle Verbraucher abgeschaltet sind und Tochter Heike nach dem Rechten sieht.
Was bleibt noch nachzutragen: Eigentlich gibt es jedes Jahr in Siedlung II eine „Schüsselparty“. Dann kommen die Anwohner mit ihrem eigenen Essen und den Getränken zur großen Fete auf dem Festplatz zusammen. 2020 fiel auch das wegen der Corona-Pandemie aus. Da bleibt Regina Partzsch außer dem täglichen Seeschwimmen und dem Kochen nur noch das Saubermachen vor dem heimischen Bungalow. „Da kann ich täglich fegen“, sagt die Seniorin beim Blick auf die Tannenbäume, die regelmäßig für Nadeln sorgen. Oder Tannenzapfen. Dafür spenden sie Schatten - den man in diesem Sommer wirklich braucht.