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Zittau will im Verbund gegen Dresden siegen

Die Stadt will sich um den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ bewerben – und sieht fünf historische Partner.

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© Archiv-Foto: MCS

Von Frank Seibel

Zittau. Zittau gegen Dresden. Ein lächerliches Duell. Die kleine Stadt im südöstlichsten Zipfel Sachsens gegen die große, überstolze Landeshauptstadt? Ungleiche Gegner waren das über Jahrzehnte – im Badminton. Kaum jemals hatte Dresden eine Chance gegen Robur Zittau, das lange die beste „Federball“-Mannschaft in Ostdeutschland hatte.

„Eine kluge Bewerbung wirkt positiv nach. Auch wenn sie letztlich scheitern sollte“, sagt Zittaus Ob Thomas Zenker.
„Eine kluge Bewerbung wirkt positiv nach. Auch wenn sie letztlich scheitern sollte“, sagt Zittaus Ob Thomas Zenker. © www.foto-sampedro.de

Warum sollte ein Triumph nicht auch in anderen Disziplinen möglich sein? Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker reist derzeit durch die Region, um ein Team für einen wirklich großen Wettkampf zusammenzustellen: gemeinsam mit dem historischen Oberlausitzer Sechsstädtebund und mit Partnern aus der böhmischen Nachbarschaft gegen die sächsische Landeshauptstadt. „Kulturhauptstadt Europas 2025“ lautet die Mission. Und als Verbund von „Zwergen“ malt sich nicht nur Zenker Chancen gegen den „Riesen“ Dresden aus, sondern auch der Görlitzer Landrat Bernd Lange, der zugleich Vorsitzender des Kulturkonvents Oberlausitz-Niederschlesien ist. „Von Tag zu Tag nimmt man uns ernster“, sagt Lange. Das liegt, so glaubt er, nicht zuletzt daran, dass die Europäische Union weniger Wert lege auf eine tolle Stadt mit glanzvollem Kulturleben als vielmehr auf einen regionalen und vor allem möglichst grenzübergreifenden Ansatz.

Zittaus Oberbürgermeister Thomas Zenker sagt es so: „Die europäische Dimension ist in dieser Region zu Hause.“ Soll heißen: Mehr als anderswo ist die Oberlausitz durch kulturelle und ethnische Vielfalt geprägt; hier pflegten zu Beginn der Geschichte Slawen und Germanen ein weitgehend friedliches Neben- und Miteinander, und dies setzt sich einerseits im Miteinander der sorbischen Minderheit und der deutschen Mehrheit fort. Die Sorben, als die ursprünglichen Besiedler dieser Region, bilden wiederum bis heute eine Brücke zu den östlichen Nachbarn, vor allem nach Tschechien, sagt Zenker. Und dass die Oberlausitz nach Osten bis über die Neiße hinaus ins polnische Niederschlesien reicht. Denn die östlichste Partnerin des historischen Sechs-Städte-Bundes hieß bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 Lauban und seither Luban. Dass sich in der Folge des Krieges die Staatsgrenzen deutlich verschoben haben und die Lausitzer Neiße zu einem Grenzfluss wurde, gehört zur „europäischen Dimension“, von der der Zittauer Oberbürgermeister spricht.

Der alte Städtebund, angereichert um die Zittauer Partner in Nordböhmen, vor allem Reichenberg (Liberec), soll die Mannschaft bilden, die die Konkurrenten Dresden, Chemnitz, Hildesheim, Nürnberg, Hannover und Kassel bezwingen soll. Bislang steht nur fest, dass 2025 eine deutsche Stadt den Ehrentitel „Kulturhauptstadt Europas“ tragen wird. In einem nationalen Wettstreit werden ein oder zwei Sieger ermittelt, die der EU-Kommission in Brüssel vorgeschlagen werden.

2010 wäre das beinahe Görlitz geworden, gemeinsam mit der Zwillingsschwester Zgorzelec, der früheren Görlitzer Oststadt. Im Finale in Brüssel unterlag die Doppelstadt an der Neiße nur knapp dem Ruhrgebiet mit Essen als seiner Kulturmetropole. Der Moment der Niederlage war im April 2006 bitter. Aber noch heute ist die Dynamik zu spüren, die diese Bewerbung damals ausgelöst hat. Das hat Heike Bojunga von der Sandstein Kommunikation GmbH erfahren, die drei Jahre lang die Oberlausitz im Rahmen eines bundesweiten Modellprojektes zur Thematik Kulturtourismus beraten hat. „Diese Bewerbung hat auch nach über zehn Jahren noch eine identitätsstiftende Bedeutung“, sagt sie. „Die Leute sind stolz auf ihre Region.“

So ein Wettstreit, bei dem möglichst viele Menschen zu Mitstreitern werden, verpufft nach der Einschätzung von Bojunga und dem Berliner Geografen Thomas Feil von der „dwif Gmbh“ keineswegs. Vielmehr kann so ein Prozess die positiven Geschichten hervorbringen, von denen eine Stadt oder eine Region über einen längeren Zeitraum zehren. Das sagten die Berater zum Abschluss des Modellprojektes „Destination als Bühne: Wie macht Kulturtourismus ländliche Regionen erfolgreich?“ Inszenierung, Erlebnis, Sehnsüchte, Träume – das sind Schlüsselworte im Kultur- und Tourismusmarketing. Damit begeistert man Gäste, aber vor allem auch die eigene Bevölkerung, sagen Bojunga und Feil.

Mit diesem Gedanken geht auch Zittau in die Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt“. „Eine kluge Bewerbung wirkt positiv nach, auch wenn sie letztlich scheitert“, sagt OB Thomas Zenker. Er ist der jüngste Oberbürgermeister in der Region und Verfechter eines modernen Heimatbewusstseins. Zittau und die Oberlausitz sollen sich auf ihre Stärken besinnen, ist sein Credo. Dass Lokal- und Regionalpatriotismus nicht altbacken sind, dafür steht auch die erste Personalentscheidung im Zuge der Zittauer Bewerbung. Mit Jenny Böttcher ist eine ganz junge Frau die Projektleiterin für die Frühphase der Bewerbung. Sie ist über Zittau hinaus als Sängerin ihrer Band „Jenix“ bekannt, die häufig in einem Atemzug mit „Silbermond“ genannt wird, wenn auch noch nicht auf der großen, nationalen Bühne.

Der betont frische Auftritt der Zittauer unterstreicht auch ein programmatisches Anliegen. „Eine solche Bewerbung darf nicht nur auf das kulturelle Erbe abzielen“, sagt OB Zenker. „Wir müssen vor allem fragen: Was soll mal werden?“ Dieser Blick in die Zukunft ist es, der am Ende den entscheidenden Kick gibt, sagt er. Die Brücken zu den europäischen Nachbarn seien da besonders wichtig. „Görlitz hat das damals genau richtig gemacht.“

Die Kulturhauptstadt-Bewerbung kommt nach Überzeugung des Beraterteams von Heike Bojunga und Thomas Feil genau zur richtigen Zeit. Denn im Rahmen des Bundesprojektes haben sie mit den Machern aus Kultur und Tourismus in den vergangenen drei Jahren intensiv Stärken und Schwächen analysiert und festgestellt: In keiner der sechs Modellregionen in ganz Deutschland, von Ostfriesland bis zum Allgäu, ist die Diskrepanz zwischen den Potenzialen und dem, was man daraus macht, so groß wie in der Oberlausitz. „Sie sollten mehr angeben“, sagt Thomas Feil. Und vor allem: Alle sollten besser im Team spielen und an einem Strang ziehen.

Ob Zittau sich offiziell bewirbt, muss die Stadt bis September entscheiden. Bis dahin versuchen Thomas Zenker und Jenny Böttcher, in der ganzen Region dafür die nötige Leidenschaft zu entzünden.