Von Mario Heinke
Sylvia Gleißner hat ihr Büro im Wächterhaus in der Inneren Weberstraße 16. Stühle, Tische und Schreibtischlampe sind antiquiert und waren schon einmal ausgemustert. Im Büro der freischaffenden Ökologie- und Umweltschutzingenieurin fügen sich die betagten Gegenstände in das morbide Ambiente des Raumes ein. Kabel sind provisorisch an die Wand genagelt, der uralte Putz der hellbraunen Wände ist freigelegt, von den Holzfenstern blättert die vertrocknete Farbe stückchenweise ab. Das stört die 33-Jährige überhaupt nicht, denn alles was Sylvia Gleißner für ihre Arbeit braucht ist im Notebook gespeichert. Die im thüringischen Eichsfeld geborene Frau berät Unternehmen in Fragen der Ökologie und des Umweltschutzes und bereitet deren Umwelt-Zertifizierung vor. In der Freizeit engagiert sie sich im Freiraumverein, der das Wächterhaus „bewacht“.
Nun soll Frau Gleißner den diesjährigen Wettbewerbsbeitrag der Stadt Zittau für den sachsenweiten City-Wettbewerb „Ab in die Mitte“ vorbereiten. Im Fokus des Projektes steht in diesem Jahr die Innere Weberstraße. Die einst blühende Geschäftsstraße ist in den vergangenen Jahrzehnten zum Sorgenkind der Stadtentwickler geworden und steht exemplarisch für den schleichenden Niedergang des kleinteiligen Einzelhandels. Besonders im unteren Teil der Straße verfallen wertvolle historische Bauten, stehen Ladenlokale seit langer Zeit leer. Dazwischen leuchten die bereits sanierten Gebäude. Leerstand und fehlende Nachfrage haben dazu geführt, dass private Hausbesitzer mit der Sanierung ihrer Häuser überfordert sind. Mit den am regionalen Immobilienmarkt üblichen Mieten lassen sich die immensen Sanierungskosten oft nicht einspielen.
An der schwierigen Lage der Straße setzt der Zittauer Wettbewerbsbeitrag an und soll mögliche Alternativen aufzeigen, die dem Bedeutungsverlust entgegenwirken. Das Wächterhausprinzip steht dabei nur für eine Möglichkeit: Die Zwischennutzung maroder Häuser. Der Freiraumverein hat sich des ehemaligen Kaufhauses Messow/Schweizer Bazar angenommen und mit dem Besitzer eine zehnjährige mietfreie Nutzung vereinbart. Der Verein als Nutzer zahlt lediglich die anfallenden Betriebskosten und bewahrt als Gegenleistung das Gebäude vor dem weiteren Verfall und Vandalismus. In dem denkmalgeschützten Haus ist so viel Raum für die Ideen junger Leute, für Begegnung, alternative Kunst und Kreativität entstanden. Kapital spielt keine Rolle, weil keines vorhanden ist.
Am vergangenen Dienstag trafen sich Vereinsmitglieder, Gewerbetreibende, Anwohner, Wirtschaftsförderin Gloria Heymann und Susanne Winzen-Lienig von der Stadtentwicklungsgesellschaft im Wächterhaus, um weitere Ideen und Alternativen für die Innere Weberstraße zu entwickeln. Herausgekommen ist ein Katalog von möglichen Aktivitäten, die geeignet sind, die ehemalige Handelsstraße wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. Straßenfeste, temporäre Begrünung mit Kübelpflanzen, farbig angestrahlte Fassaden, die vertikale Begrünung zur Verschönerung bröckelnder Hauswände, Gartencafés in den Hinterhöfen und Stände von Händlern, Künstlern und Vereinen bei Veranstaltungen sind nur einige Ideen. Unter dem Slogan „Von der Handelsstraße zur Lebensoase“ wird Sylvia Gleißner die Vorschläge zusammenfassen und bis zum Abgabetermin am 28. August optisch aufbereiten lassen. Die Auswahl der Stadt fiel nicht zufällig auf die Innere Weberstraße, denn eine Voraussetzung für die Teilnahme am Wettbewerb ist eine „investive Maßnahme“, das eingereichte Projekt muss in Verbindung mit einer geplanten Baumaßnahme stehen. Die gibt es, denn im Jahr 2018 plant die Stadt die Straße zu sanieren. Pflaster, Leitungen und Gehwege sollen erneuert werden. Weil die Planungen dafür viel eher beginnen, kann der Wettbewerbsbeitrag Anregungen aufzeigen, wie die Handelsstraße zur Lebensoase umgestaltet werden könnte.
Im vergangenen Jahr belegte Zittau den zweiten Platz beim Citywettbewerb unter 22 Bewerberstädten mit dem Projekt „Die Zittauer Fleischbänke mit allen Sinnen erleben“. Der Scheck mit den 20 000 Euro Siegprämie wurde am 7. Dezember beim Lichterfest offiziell übergeben. Mit dem Geld kann die Initiative „Fleischbänke“ Künstler bezahlen und Kulturangebote finanzieren.