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Zittauer Seemann verliert nach einem Schiff nun auch seine Schule

Bagger reißen jetzt die ehemalige 9. POS ab, in der Kapitän Podlipny lernte. Im vergangenen Jahr ist schon sein Schulschiff versunken.

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Von Mario Heinke

Von seinen Eltern hat Steffen Podlipny erfahren, dass seine Schule jetzt abgerissen wird. Von 1976 bis 1986 hat Podlipny die ehemalige 9. Polytechnische Oberschule in Zittau-Nord besucht. Der 44-Jährige erinnert sich gern an seine Schulzeit. „Die Plattenbauschule war damals sehr modern, wir kannten nichts anderes“, sagt der ehemalige Zittauer. 1971 wurde der Grundstein für die erste Schule in Großblockbauweise gelegt. Weil Ende der 1960er Jahre viele junge Familien in das Neubaugebiet Zittau-Nord gezogen waren, platzte die
1. Oberschule gegenüber dem Theater aus allen Nähten, sodass ein Schulneubau erforderlich wurde. Bei der Einschulung wohnten die Podlipnys noch in Zittau-Nord. Als sie später in die Weinau umzogen, blieb der Schüler trotzdem in der 9. Oberschule.

Kapitän Steffen Podlipny Bild: Privat
Kapitän Steffen Podlipny Bild: Privat

Es war wohl im fünften Schuljahr als seine Mitschüler einen Stuhl mit Leim eingeschmiert hatten, erinnert sich Podlipny. Die Lehrerin vermutete in ihm den Übeltäter und forderte ihn auf, sich auf den Stuhl zu setzen. „Ich war damals zu feige, um mich zu wehren“, erzählt der ehemalige Schüler. Als er wieder aufstand, klebte der Cord von seiner Cordhose am Stuhl, die Hose war hin. Das sind die Geschichten für Klassentreffen. Am letzten Treffen konnte der Ehemalige nicht teilnehmen, weil er Dienst hatte. So liegt die letzte Begegnung mit den Mitschülern schon zehn Jahre zurück. Viel ist vom DDR-Alltag in der Schule nicht hängen geblieben, die meisten Erinnerungen Podlipnys haben mit der Freizeitgestaltung zu tun. An das Schwimmtraining im maroden Stadtbad, an den Fechtunterricht in der Hauptturnhalle und die Diskothek im Eckartsberger „Eichenwäldchen“ kann sich Podlipny aber noch schwach erinnern. „Ich war eher ein ruhiger Typ“, erklärt der heute in Bremerhaven lebende Kapitän.

Eine gehörige Portion Fernweh trieb den jungen Zittauer gleich nach der Schule nach Rostock. Dort hatte er sich um eine Ausbildung zum Vollmatrosen der Handelsschifffahrt beworben. Ein gutes Zeugnis und das große Interesse an der Schifffahrt ebneten wohl den Weg. Im Alter von 16 Jahren packte Podlipny seinen Koffer und bezog eine Kajüte auf dem legendären Ausbildungsschiff „Georg Büchner“ des VEB Deutsche Seereederei. Das Schulschiff und ehemalige Wahrzeichen Rostocks liegt heute in 36 Metern Tiefe in der Danziger Bucht auf dem Grund der Ostsee, weil es auf dem Weg nach Klaipeda zur Verschrottung unter mysteriösen Umständen sank.

Mit der 9. Oberschule verschwindet nun ein weiterer Ort, an dem der Kapitän fürs Leben gelernt hat. Reisen in die weite Welt blieben für den Zittauer Vollmatrosen auch nach der Ausbildung nur ein Traum. Ein fehlender Sichtvermerk in seiner Personalakte verhinderte Reisen in das „kapitalistische Ausland“. Bis heute weiß der Seemann nicht, welche Gründe vorlagen, dass er nicht ins Ausland durfte. So fing er nach der Lehre bei der Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei in Rostock an. 1998 legte Steffen Podlipny das Kapitänspatent ab, wurde erst zweiter, später erster Offizier, bis er 2002 Kapitän des Schwimmkrans „Enak“ der Bugsier-, Reederei- und Bergungs-Gesellschaft in Bremerhaven wurde. 660 Tonnen Tragkraft hat der Schwimmkran, dessen biblischer Name den Stammvater eines Volkes von Riesen bezeichnet. Mit dem stählernen Riesen ist Steffen Podlipny in der Ostsee, der Nordsee, vor England oder in Skandinavien unterwegs und transportiert beispielsweise Teile für Off-Shore-Windkraftanlagen. In der Rückschau ist der Käpt’n ganz froh darüber, dass es damals mit der Handelsflotte nicht geklappt hat. In seiner Reederei hat der Bremerhavener eine geregelte Arbeitszeit – 28 Tage Dienst und 28 Tage frei. Monatelange Törns fern von zu Hause bleiben ihm erspart. Die alte Heimat und die Eltern besucht er nur noch ein bis zweimal im Jahr. Seine alte Schule wird bei der nächsten Stippvisite nicht mehr stehen.

Nach dem letzte Bericht über die Schule („Begehrt, französisch und namenlos“, SZ vom 22. November 2013) meldeten sich Leser, die der Meinung sind, die Schule sei anders als von einer Lehrerin behauptet, nicht die erste Zittauer „Latschenschule“ gewesen. In welcher Schule zuerst Hausschuhe getragen wurden, bleibt deshalb eine offene Frage für die Historiker.