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Zittauer Stadtgeläut

Der Türmer will alle Glocken der Stadt dauerhaft zu einem Orchester vereinen. Das ist in Deutschland einmalig.

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© Matthias Weber

Von Mario Heinke

Zittau. Für Felix Weickelt ist Glockengeläut wie ein vertrautes Lied, das auf die Straße hinuntertönt. Glocken sind für den Türmer von St. Johannis Musikinstrumente und ein Gut christlich-abendländischer Kultur, dass es zu bewahren gilt. Welche Melodien Glocken produzieren können, demonstrierte er bereits auf dem Xylofon. Das Glockenspiel an der Blumenuhr wird dank der erfolgreichen Spendenaktion zu Pfingsten mit völlig neuen und altvertrauten Liedern erklingen.

Was der 27-jährige Musiker jetzt vorhat, geht aber weit darüber hinaus. Weickelt möchte die Glocken der Stadt in Einklang bringen, und wie in einem Orchester aufeinander abstimmen. „Zittau besitzt einen Glockenschatz von 15 bronzenen Läuteglocken, zwei Schlagglocken, sieben Schellen und 21 Porzellanglocken“, sagt er. Die älteste von 1493 läutet noch heute im Dachreiter der Weberkirche. Manche Glocken wurden von Kunstgießern in Zittau hergestellt. Nach der massenhaften Vernichtung wertvoller Bronzeglocken zu Rüstungszwecken in den beiden Weltkriegen könnten in diesem Jahr vier neue Glocken hinzukommen. „Noch schlummert das Potenzial dieser Instrumente, auch aufgrund verschiedenster Besitzverhältnisse. Eine aufeinander abgestimmte Nutzung wäre mit den sensiblen Klangkörpern möglich und formt ein großes zusammenhängendes Stadtgeläut“, beschreibt er sein Vorhaben. Um dieses Geläut in der Stadt zu erzeugen, möchte der Türmer, dass die neun Glocken der Innenstadtkirchen - dazu gehören Johannis-, Kloster-, Weber- und Kreuzkirche - zentral von der Hauptkirche St. Johannis aus gesteuert werden. Die vier Kirchen außerhalb des Stadtrings - die Marien-, Frauen-, Spittel- und Apostelkirche - sollen eine eigene Steuerung behalten, aber klanglich und zeitlich auf das Läuten der anderen abgestimmt werden. In einer kleinen Stadt wie Zittau, in der die Glockentürme nah beieinander liegen, die Kirchgemeinden und die Stadt zunehmend fruchtbar zusammenarbeiten, wie Ökumene, Fastentücher, Johanniskirche und Epitaphienschatz beweisen, bestehe jetzt die einmalige Chance, dieses bisher beispiellose Projekt mit identitätsstiftender und repräsentativer Qualität umzusetzen, sagt Weickelt. Damit aus der Idee Wirklichkeit wird, hat der Türmer eine Projektgemeinschaft unter dem Dach des Vereins „Tradition und Zukunft Zittau“ ins Leben gerufen.

Neben der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde St. Johannis, der Evangelisch-Methodistischen Kirchgemeinde St. Jakob, der Römisch-Katholischen Pfarrei Mariä Heimsuchung, dem Landkreis und der Stadt Zittau ist die Zittauer Alten- und Pflegeheim GmbH St. Jakob mit im Boot. Unterstützt wird das Projekt von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung, der Stiftung der Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien, der Hermann Reetsma Stiftung, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Aber auch Bürger, Unternehmen und Vereine können durch eine Spende zu „Klangbotschaftern“ werden. „Das ist kein Einzelprojekt, sondern ein großes Ganzes“, so der ambitionierte Musiker.

Reparatur, Umbau und Neuanschaffung von Glocken und deren Steuerung kosten viel Geld. Deshalb freut Felix Weickelt sich über die breite Zustimmung und über erste Teilerfolge. Die Finanzierung für die Sanierung des Geläuts der Johanniskirche steht, für die Kreuzkirche hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz Hilfe zugesagt. Die Läuteglocke der Frauenkirche konnte durch eine Großspende von Erdmute Wilding aus dem rheinland-pfälzischen Altendiez instand gesetzt werden. Finanziell ungeklärt sei hingegen noch die Ertüchtigung der Glocken in der Marien- und Spittelkirche, so der Türmer.

Zu Pfingsten sollen die Zittauer einen Vorgeschmack auf das Klangerlebnis erhalten. Zu den Feiertagen wird ein Teil des großen „Glocken-Orchesters“ zu hören sein. Bis dahin bläst der Türmer regelmäßig mit der Trompete vom Turm, weil derzeit wegen der Sanierungsarbeiten kaum Glocken in der Stadt läuten. Der Uhrschlag zur vollen Stunde, das Tagesläuten am Morgen, zu Mittag und am Abend, der Ruf zum Gottesdienst am Sonntagmorgen, Osterglocken zum Sonnenaufgang, das Neujahrsläuten um Mitternacht - das Läuten der Glocken soll künftig fester Bestandteil einer lebendigen Stadt sein. „Der Klang der Glocken schallt durch Straßen und Gassen, weckt heimische Verbundenheit, ist ein akustischer Kontrast zur tobenden Geschäftigkeit und dem rauschenden Verkehr unserer Zeit“, schwärmt der Türmer. Die Befürchtung, dass Anwohner sich vom regelmäßigen Geläut, besonders in den Morgenstunden, belästigt fühlen könnten, lässt Weickelt nicht gelten. „Während der Nachtruhe zwischen 22 und 6 Uhr ist absolute Ruhe“, hält er dagegen.

Wird Zittau zur klingenden Stadt, wäre das „Zittauer Stadtgeläut“ bisher einmalig in der Welt. Auch das „große Stadtgeläut“ zum Heiligabend in Frankfurt am Main ließe sich nicht vergleichen, weil dort wie anderorts an bestimmten Feiertagen auch, die Glocken lediglich gleichzeitig läuten, aber nicht aufeinander abgestimmt sind.

Zittau hätte neben den Fastentüchern ein weiteres Alleinstellungsmerkmal, um den Tourismus als wichtigen regionalen Wirtschaftszweig voranzubringen.

Spendenkonto: Tradition und Zukunft Zittau e.V.

IBAN: DE45 8505 0100 3000 2006 64

BIC: WELADED1GRL

Verwendungszweck: Zittauer Stadtgeläut