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Zum ersten Mal: „Stolpen liest“

23 Vorleser schlagen am Sonnabend an 18 Orten der Stadt ihre Bücher auf. Krönender Abschluss ist in der Kirche.

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© Marko Förster

Von Thomas Morgenroth

Vergeblich klopft, wer ohne Wein ist, an der Musen Pforte. Das war die Erkenntnis des griechischen Philosophen Aristoteles, auch Platon zugeschrieben. Dieser Weisheit konnten auch beinahe 2 500 Jahre nichts anhaben, jedenfalls soll der (maßvolle) Genuss des Rebensaftes die Beweglichkeit der grauen Zellen befördern, das lässt sich mit vielen Zitaten aus der Kunst- und Literaturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart belegen.

Das würde auch der Stolpener Autor Bernd Müller-Kaller unterschreiben, hat er doch ein ganzes Buch diesem Thema gewidmet. Der Philosoph entführt den Leser in „Weinphilosophie“ mit fiktiven Dialogen in die Gedankenwelt von Platon und Philon, unternimmt Weinreisen von Meißen bis Bordeaux und widmet dem Weinbau in Sachsen nach der Wende ein eigenes Kapitel. Es ist das erste Buch, das der aus Thüringen stammende Wahl-Stolpener geschrieben hat, in seinem zweiten, „Höllenqualen“, verarbeitet er seine sechsjährige Haftzeit im Stasi-Gefängnis Bautzen.

Ein wichtiges Buch, das freilich nicht zur Unterhaltung geeignet ist. Deshalb nähert sich der 75-Jährige diesen Sonnabend im Uhren- und Schmuckgeschäft seiner Frau Liane Kaller lieber dem Weingenuss aus philosophischer Sicht. Müller-Kaller ist einer der 23 Vorleser, die sich an der Premiere der Veranstaltung „Stolpen liest“ beteiligen. Und zugleich eine Ausnahme: Achtzig Prozent der Beteiligten, sagt Mitorganisator Peter Ufer, sind keine Autoren oder Profis, die von Berufs wegen mit dem geschriebenen Wort zu tun haben.

An achtzehn verschiedenen Orten der Burgstadt schlagen Handwerker, Händler, Polizisten, Stadträte oder Mediziner ihre Lieblingsbücher auf. Sie lesen beim Friseur, in der Feuerwehr, im Goldenen Löwen, in der Sparkasse oder der Tourist-Info Märchen, Krimis, wahre Geschichten, lustige Erzählungen und Satiren. Der pensionierte Hauptkommissar Ralf Hubrich beispielsweise liest im Privathaus Müller-Steglich aus dem Tatsachenbuch „Der Kannibale von Heidenau“, das SZ-Redakteur Jörg Stock verfasst hat. Mit Gunnar Klehm ist ein SZ-Redakteur auch persönlich dabei, er stellt in der Gärtnerei Kleinstäuber sein Buch „Der Fluthelfer“ vor.

Kinderarzt Bernd Autenried liest im Burghotel aus „Schlunz“ von Harry Voss, Stadtrat Roman Lesch im Friseurstudio Nicole Müller aus „Hummeldumm“ von Tommy Jaud, Versicherungsmakler Jörg Kirsten im eigenen Büro mit seiner Frau Babett aus „Das Jahr des Gärtners“ von Karel Capek – und so weiter und so fort.

Die Veranstaltung endet mit „Geschrammel und Gestammel“, das der Schauspieler Tom Quaas ab 22 Uhr in der Stadtkirche vorträgt, begleitet von Frank Fröhlich auf der Gitarre. Es ist der einzige Programmpunkt, der bezahlt werden muss. „Die Stolpener machen alle unentgeltlich mit“, freut sich Peter Ufer, der die Idee aus Nossen mitgebracht hat und auch selbst lesen wird, in der Amtsbaderei, aus seinem Buch „Der komische Sachse“.

Hinter dem Projekt stecken der Männerclub, der mittels Spenden und der Gewinnung von Sponsoren auch weitgehend die Finanzierung gesichert hat, und der Verein Gogelmosch, in dessen Haus das erste „Stolpen liest“ um 16 Uhr eröffnet wird. Vereinsvize Andrea Müller liest dort für Kinder ab sieben Jahren aus dem Krimi „Das Grusellabyrinth“. Dazu gibt es Limo oder Wasser. Das Philosophieren mit Wein beginnt erst kurz vor 20 Uhr im Uhrenladen. Rechtzeitiges Kommen sichert einen Platz: „Ich hoffe, dass ich zehn Leute unterbringe“, sagt Liane Kaller, die auch selbst etwas vortragen wird – zum Thema Zeit.

„Stolpen liest“, 20. September, 16 bis 23 Uhr; der Eintritt ist frei; das ganze Programm gibt es im Internet:

www.gogelmosch-haus.de