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Zurück in die Zukunft

Die 162 Jahre alte Löbauer Tischlerei Pötschke investiert 1,6 Millionen Euro in Hightech – der Schritt in die 6. Generation.

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© Matthias Weber

Von Markus van Appeldorn

Löbau. Wilfried Pötschke schaut zur Decke seiner Produktionshalle und schwärmt wie ein kleines Kind: „So was wollte ich immer haben.“ Dort oben bewegt sich wie von Geisterhand gesteuert eine Schwebebahn durch ein Gewirr von Schienen und Weichen. Dann tritt Wilfried Pötschke an das Steuerpult der Anlage heran. „Damit kann man spielen wie auf der Modelleisenbahn“, sagt er.

Pötschkes Schwebebahn ist allerdings kein Spielzeug, sondern absolutes Hightech. Die Laufkatzen an der Decke transportieren zahllose Fensterrahmen vollautomatisch an computergesteuerte Produktions-Stationen. Mit ruckartigen, aber hochpräzisen Bewegungen bringt ein Lackier-Roboter eine Farbschicht auf die Fensterrahmen auf. „150 Micrometer auf 10 Micrometer genau“, schwärmt Pötschke. Das ist gerade mal ein Siebtel eines Millimeters. „Diese Präzision spart 30 Prozent Farbe“, sagt er.

162 Jahre ist die Tischlerei Pötschke im Löbauer Gewerbegebiet in diesem Jahr alt. 1856 gründete Wilfried Pötschkes Ur-Ahn Gottlob Pötschke in Kittlitz eine kleine Dorftischlerei. Mit der neuen Technologie stößt der Handwerksbetrieb in sechster Generation nun in die Dimension „Industrie 4.0“ vor. „Ich habe so was immer gewollt. Aber bisher hatte ich mich nicht getraut, weil ich keinen Nachfolger hatte“, sagt Wilfried Pötschke.

Doch dann entschloss sich sein Sohn Thomas, nach Löbau zurückzukehren. „Mein Sohn hat an der Hochschule Rosenheim Holzbau studiert. Das ist das Harvard des Holzbaus“, sagt Pötschke. Doch damals zog es den Junior nicht zurück in die Heimat. Er lernte an der Hochschule seine Lebensgefährtin Kathrin kennen. Die Münchnerin ist ebenfalls Holzbau-Ingenieurin. Das Paar blieb in Bayern. Thomas baute in München Holzhäuser. Ende letzten Jahres fassten die beiden dann doch den Entschluss, in die Oberlausitz zu wechseln. Ein Grund dafür war auch die möglicherweise siebte Tischler-Generation, die Kathrin auf dem Arm hat: Söhnchen Jonas. „Mit einem Kind eine genügend große Wohnung in München zu finden, ist schwer und teuer“, sagt Thomas Pötschke. Für ihn hieß das: Zurück in die Zukunft – die des über 160 Jahre alten Familienbetriebes in Löbau.

Gemeinsam gingen Wilfried und Thomas Pötschke die wohl größte Investition der Firmengeschichte an. „1,6 Millionen Euro haben wir in den Bau neuer Produktionshallen und in die neue Technologie gesteckt“, sagt Wilfried Pötschke. Hightech gegen Billig-Konkurrenz aus dem Nachbarland. „Die Investition erhöht die Qualität, steigert die Produktion und die ergonomische Transport-Technologie erleichtert den Mitarbeitern die Arbeit“, sagt Pötschke. So sei das Heben schwerer Fensterrahmen wegen der Schwebebahn nun Geschichte. Genügend Aufträge vorausgesetzt, könnte er die Produktion bequem um 40 Prozent hochfahren.

Von der kleinen Kittlitzer Dorftischlerei hat sich das Unternehmen zu einem gefragten Spezialisten für Fenster und Türen entwickelt. Die Kundschaft besteht längst nicht bloß aus Häuslebauern. Auf der Referenz-Liste der Tischlerei stehen Prestige-Objekte: Das Coselpalais, der Weiße Hirsch oder das „Quartier F“ an der Frauenkirche in Dresden etwa hat Pötschke-Fenster, ebenso die Heeresschule in Dresden. In Löbau stattete das Unternehmen viele denkmalgerecht sanierte Häuser mit neuen Fenstern im Jugendstil aus. „Wir sind ein moderner Fensterbaubetrieb. Wegen unserer Geschichte nennen wir uns aber noch Tischlerei“, sagt Wilfried Pötschke. Und die Präzision der computergesteuerten Maschinen können nur wenige Mitbewerber bieten. „Die Kunden verlangen heute bei Fenstern Oberflächen in Möbelqualität“, sagt Pötschke. Deshalb hat die Firma auch Aufträge aus der gesamten Republik.

Am Dienstag nun feierten die Pötschkes mit ihren 40 Mitarbeitern, Architekten und Nachbarn Richtfest für den zweiten Bauabschnitt der Firmenerweiterung: „600 Quadratmeter ist die künftige Produktionshalle groß“, sagt Pötschke. Dazu kommen weitere 700 Quadratmeter Außenfläche zur Verladung. Traditionell war es die Aufgabe des Bauherrn, den letzten Nagel in den hölzernen Dachstuhl zu schlagen. Für diese Aufgabe hatte der Zimmermann allerdings eine kleine Gemeinheit mitgebracht: Einen gut 60 Zentimeter langen und daumendicken Sparrennagel. „Dieser wunderschöne Nagel ist eigentlich viel zu schade dafür“, sagt Wilfried Pötschke. Beim Hineintreiben wechselte er sich mit seinem Sohn Thomas ab. Doch nach weit über 100 Hammerschlägen war zwar der Holzträger längs gespalten, aber der Nagel immer noch nicht drin.