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Wahlkampf in Polen: Mit harten Bandagen - und antideutschen Slogans

Am 15. Oktober wird in Polen gewählt. Auch in Niederschlesien tobt der Wahlkampf. Es geht um Feindbilder, Souveränität und den Tagebau Turow.

Von Irmela Hennig & Klaus-Peter Längert
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„Ich bin eine Gefahr“ botschaftet dieses Plakat, das Jaroslaw Kaczyński zeigt, den Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei „PiS“. Mit diesen Tafeln versucht die liberale Opposition, im Wahlkampf zu punkten.
„Ich bin eine Gefahr“ botschaftet dieses Plakat, das Jaroslaw Kaczyński zeigt, den Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei „PiS“. Mit diesen Tafeln versucht die liberale Opposition, im Wahlkampf zu punkten. © Irmela Hennig

"Ich bin eine Gefahr.“ Seit Wochen plakatiert Polens politische Opposition, die Bürgerplattform, auf Polnisch Platforma Obywatelska (PO), in Städten, Dörfern, an Autobahnen großformatig diesen Slogan. „Ja jestem zagrożeniem“.

Neben der Botschaft ist das halbe Gesicht von Jaroslaw Kaczyński zu sehen. Der 74-Jährige ist Vorsitzender der nationalkonservativen Regierungspartei „Prawo i Sprawiedliwość“ (PiS) und seit Juni dieses Jahres Vizeministerpräsident des Landes. Und für die Opposition, die bei der Wahl am 15. Oktober nach Jahren wieder die Regierungsmacht übernehmen will, ist Kaczyński der Hauptfeind im Wahlkampf.

Darum die Aktion: Die riesigen Plakate hängen in Warschau und Bialystok, im nordostpolnischen Augustów oder in einer Nebenstraße im niederschlesischen Kurort Cieplice (Bad Warmbrunn). Fotos davon werden im Internet geteilt, kommentiert, zu Wahlaufrufen genutzt. Im Oktober sind 30 Millionen polnische Staatsbürger eingeladen, die 560 Abgeordneten für Senat und Parlament (Sejm), zu wählen. Sie entscheiden somit darüber, wer Polen in den kommenden Jahren regiert – die europaskeptische PiS oder die proeuropäische PO. Zimperlich geht es nicht zu im Kampf um Stimmen. Der jeweilige Gegner wird auch auf persönlicher Ebene attackiert. Die Anti-Kaczyński-Plakate wirken da fast gemäßigt.

Doch zuletzt kam die Bürgerplattform auf die Idee, eine Plakat-Software ins Internet zu stellen. Damit sollten eigentlich ihre Unterstützer die Möglichkeit haben, selbst Anti-Kaczyński-Botschaften zu entwerfen. Doch das ging schief. Vor allem Anhänger der PiS nutzten die Gelegenheit. Sie fluteten das Netz mit Slogans nach dem Schema: Kaczyński ist eine Gefahr – für Putin, deutsche Interessen oder für die Flughäfen Hamburg und Berlin. Sie drehten den Spieß also um.

Vorwürfe rund um Tagebau Turów

Das Beispiel zeigt, den Partei-Konkurrenten geht es darum, den Gegner nicht nur als jemanden darzustellen, der keine Lösungen für aktuelle Probleme hat – Inflation und Überalterung beispielsweise. Im Zentrum steht vielmehr zu betonen: Wir sind für Polen, die anderen wollen dem Land schaden. So soll Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vor wenigen Tagen auf einem PiS-Parteitag in Katowice sinngemäß gesagt haben: Entweder ihr wählt eine polnische Partei, also uns. Oder ihr wählt eine deutsche Partei, also die Opposition.

Viel Erfolg bei der jeweils gegnerischen Kernwählerschaft werden die Angriffe nicht haben, wie Dr. Andrzej Kaluza vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt vermutet. Er sieht hier inzwischen Ähnlichkeiten zur Situation in den USA. Dort bewegen sich Anhänger einer bestimmten Partei in Blasen. „Für andere Argumente sind sie nicht empfänglich“, so Kaluza.

Die antideutsche Stimmung, die vonseiten der PiS beim Stimmenfang durchaus eine Rolle spiele, sei aber nicht unbedingt das Entscheidende. Eine Polin, die schon lange in Görlitz lebt, glaubt sogar, dass dies viele Polen gerade im Grenzgebiet eher nervt. „Sie wollen gute Geschäfte mit den Deutschen machen, sie brauchen deutsche Touristen“, schätzt die Frau, die ihren Namen lieber nicht nennen will. So wie die meisten, die man dazu fragt. Man wisse ja nicht, was nach der Wahl komme, heißt es.

Wenn die Wahlkampf-Gegner in Niederschlesien auftreten, dominieren indes Vorwürfe. So deutete Polens Regierung bei einem Termin in der Grenzstadt Bogatynia (Reichenau) an, Donald Tusk, Kandidat der bürgerlichen Opposition, wolle das Braunkohlekraftwerk und den Tagebau Turów schließen.

Tusk, der dies vorausgesehen hatte, warf der Regierung schon einige Tage zuvor bei einem Besuch in Jelenia Góra (Hirschberg) und vor zahlreichen Bergleuten vor: „Die PiS hat seit ihrem ersten Wahlsieg Ihr Bergwerk und Ihr Kraftwerk zerstört.“ Er erinnerte an eine Rutschung im Tagebau im Jahr 2016. Das habe die Grube tagelang lahmgelegt. Allein die Kosten zur Bewältigung der direkten Auswirkungen hätten bei 200 Millionen Zloty gelegen. Die tatsächlichen Verluste, die daraus für Turów resultierten, würden genauso wie die Hintergründe des Vorfalls von der Regierung verschleiert.

Raus aus der EU ist kein Tabu

Ein Unternehmer aus dem Riesengebirge wünscht sich für sein Land allerdings, dass es mehr nach vorn und nicht so sehr in die Vergangenheit schaut. Und er setzt auf ein gutes und selbstverständliches Miteinander von Polen, Deutschen und Tschechen.

Mateusz aus Warschau, gerade Anfang 20, der im Bereich der sozialen Medien arbeitet, hofft, dass die Opposition gewinnt. Er sieht ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Kontrahenten. Kritisiert aber unfaire Bedingungen im Wahlkampf. So nutze die Regierungspartei PiS große Unternehmen wie den Mineralölkonzern Orlen, der ungefähr zur Hälfte in Staatsbesitz ist, um darüber Wahlwerbung zu machen. Und ihn stört die Sündenbock-Mentalität der PiS. Wenn etwas schiefläuft, sind andere Schuld: die Deutschen, die EU, der politische Gegner.

Nach letzten Umfragen liegt das Bündnis „Vereinigte Rechte“, zu dem die PiS gehört, deutlich vor der Bürgerlichen Koalition, bei der die PO im Boot ist. Das habe wohl auch zu tun mit Transfers, also Geldleistungen der PiS für verschiedene Bevölkerungsgruppen und Regionen, wie Beobachter vermuten. So verhieß PiS-Kandidatin Marzena Machalek im Namen der Regierung 6,7 Millionen Zloty zur Modernisierung der Notaufnahme des Krankenhauses in Jelenia Góra.

Andrzej Kaluza vom Polen-Institut spricht von Geschenken, wie einer 13. Monatsrente an Senioren im Wahljahr. Die PiS hat zudem vor einigen Jahren eine monatliche Zahlung von 500 Zloty ab dem zweiten Kind eingeführt. Die soll 2024 auf 800 Zloty steigen und ab dem ersten Kind gezahlt werden. Die Opposition werde das Kindergeld abschaffen, droht die regierende PiS. Für viele Eltern, so berichten polnische Medien, sei dies durchaus ein Grund, die PiS zu wählen, auch wenn sie die eigentlich nicht mögen. Eine Frau mittleren Alters aus Boleslawiec sieht das Geld indes kritisch. Ihre Tochter, Mutter von zwei Kindern, habe auch deswegen noch keinen Tag gearbeitet. Das Kindergeld reiche ihr – auch dazu, viel Alkohol zu konsumieren.

Auf dem polnischen Wirtschaftsforum in Karpacz (Krummhübel) Anfang September mit über 8.000 Teilnehmern wurde in Debatten ein anderer Knackpunkt deutlich: Polens Unabhängigkeit. Sogar die Loslösung aus der Europäischen Union wurde erwogen. Soziologe Henryk Domański, früher Leiter des Instituts für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau, wies darauf hin, dass eine völlige Souveränität des Landes derzeit nicht möglich ist. „Wir müssen bis zu einem gewissen Grad von anderen Ländern abhängig sein“, so Domański. Aber niemand könne es verbieten, den nationalen Kapitalismus zu entwickeln; Deutschland mache das auch.

In Niederschlesien gibt es drei Wahlbezirke für 26 Landkreise sowie die vier kreisfreien Städte Wroclaw, Legnica, Walbrzych und Jelenia Gora. Laut Wahlkommission gibt es für die Region 34 Mandate für den Sejm beziehungsweise den Senat. Im Wahlbezirk 2, mit den Kreisen Zgorzelec, Lubań, Boleslawiec und der Stadt Jelenia Góra werben sieben Parteien und Wahlbündnisse mit 168 Kandidaten um Stimmen. Um ein Abgeordnetenmandat für den Sejm bemüht sich auch der Bürgermeister von Bogatynia, Wojciech Dobrolowicz (PiS). Schwerpunkt-Themen seien eine bessere Gesundheitsversorgung und bessere Fernverkehrsverbindungen, zum Beispiel nach Warschau.