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Protest nur draußen: So lief die Asyl-Diskussion mit Grünen-Chefin Lang in Glashütte

Grünen-Chefin Ricarda Lang spricht auf dem Sachsensofa in Glashütte über Migration. Was nach potenziellem Streit klingt, endet in einem netten Austausch – auch, weil die Kritiker lieber draußen motzen, als drinnen mitzudiskutieren.

Von Jonas Niesmann
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Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang hat in Glashütte mit Sachsens Ausländerbeauftragtem Geert Mackenroth und Claudia Nikol, Leiterin des Projekts ABC-Tische, diskutiert.
Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang hat in Glashütte mit Sachsens Ausländerbeauftragtem Geert Mackenroth und Claudia Nikol, Leiterin des Projekts ABC-Tische, diskutiert. © Jürgen Lösel

Wenn Grünen-Chefin Ricarda Lang in die sächsische Provinz kommt, braucht es wohl gleich zwei Pfarrer. Während draußen ein Hupkonzert durch den Ortskern von Glashütte schallt und ein paar finstere Gestalten mit Freien-Sachsen-Fahnen im Regen stehen, nimmt Pfarrer Vinzenz Brendler in der Kirche seine Blockflöte in die Hand. Er spielt das Lied "Meine Hoffnung und meine Freude", nicht ganz sauber – aber geht das überhaupt auf einer Blockflöte? – und viele im Saal singen oder summen mit. Der zweite Pfarrer, Stephan Bickhardt, hält eine kurze Ansprache: „Wenn bei dir ein Fremder im Land lebt, sollst du ihn nicht unterdrücken. Du sollst ihn lieben wie dich selbst.“

Das Thema an diesem Abend ist Migration. In der weiß getünchten Kirche von Glashütte sitzt Ricarda Lang, Co-Vorsitzende der Grünen, auf einem sachsenfarbenen Sofa, neben ihr der sächsische Ausländerbeauftragte und frühere CDU-Justizminister Geert Mackenroth sowie Claudia Nikol, die Leiterin des Projekts ABC-Tische.

Lang: Wer kein Recht hat zu bleiben, der muss gehen

Ricarda Lang eröffnet mit einer kleinen Grundsatzrede. Bei der Migrationsdebatte gebe es für sie drei Leitlinien: Wer Schutz braucht, der muss Schutz bekommen. Wer hier arbeiten will, der soll die Möglichkeit dazu bekommen. Und wer kein Recht hat, zu bleiben, der muss auch wieder gehen. Probleme sieht sie besonders in dem Mangel an sozialer Infrastruktur. Und sie hat auch einen Appell: Man solle nicht vergessen, dass es in der Migrationsdebatte nicht um Zahlen geht, sondern um Menschen.

Geert Mackenroth ist da etwas konservativer eingestellt, aber keinesfalls ein Gegenpol zu Ricarda Lang. Er findet, es gebe Grund zu Hoffnung: Auf EU-Ebene bewege sich endlich etwas, man habe Grenzkontrollen verschärft. Den Schlüssel zur Bewältigung der gesellschaftlichen Spaltung in Sachen Migration sieht er in Arbeit: Man müsse das Prinzip aufgeben, dass Migranten erst die Sprache lernen müssen, bevor sie arbeiten dürfen. „Wenn wir bis zu den Wahlen keine guten Lösungen finden, wird es ein böses Erwachen geben“, warnt er.

Draußen Proteste, drinnen bleibt es harmonisch

Claudia Nicol erzählt zu den ABC-Tischen, ein Projekt, bei dem Migranten und Dresdner miteinander ins Gespräch kommen können. Dann dürfen die Zuschauer Fragen stellen. Es wäre jetzt der Moment, wo man erwartet hätte, dass ein entrüsteter Mensch aufspringt und ins Mikro ruft, wie sehr er seinen Wohlstand und seine Sicherheit durch Ausländer gefährdet sieht. Die Veranstaltung ist öffentlich, und draußen auf der Straße stehen einige, die ihren Protest zum Ausdruck bringen. Es hätte dann einen spannenden Dialog geben können, ein paar harte Worte, doch am Ende vielleicht eine kleine Aussöhnung mit Signalwirkung. Immerhin wird die Runde auch im Fernsehen übertragen.

Doch dazu kommt es nicht. Draußen fantasiert Neonazi Max Schreiber davon, die Regierung ins Gefängnis zu werfen, und drinnen geht es um die Verteilung von Geflüchteten in der EU. Außerdem: Wie kann man Menschen, die nach Deutschland kommen, schneller einen Job verschaffen? Wie kann man die Bürokratie entschlacken, an der Ehrenamtliche und Eingewanderte täglich verzweifeln?

Vorwurf: Sachsen erkennt Abschlüsse nicht an

Viel Sympathie gibt es für einen Arzt, der aus Jordanien nach Deutschland gekommen ist. Er mag Dresden gerne, sagt er, aber in Sachsen werde, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, sein Abschluss nicht anerkannt. Ricarda Lang erklärt dazu: „Wir haben hier manchmal ein Problem mit Arroganz, wenn es um Abschlüsse geht.“

Geert Mackenroth wird dann doch noch ein bisschen markiger und sagt, man müsse den Migrationsgegnern schon auch etwas entgegenkommen, zum Beispiel mit Verfahrensbeschleunigungen: „Dass wir diejenigen notfalls mit Nachdruck bitten, das Land zu verlassen, die kein Recht haben, bei uns zu bleiben.“ Dann beendet Co-Moderatorin Maxi Konang die Diskussion mit den Worten: „Ich habe wirklich Hoffnung, denn: Glashütte kann Dialog, und das freut mich sehr.“

Die Veranstalter hätten sich kritische Stimmen gewünscht

Ricarda Lang freut das auch. „Ich hatte wirklich das Gefühl, man hört sich zu, man geht aufeinander ein. Das ist derzeit nicht selbstverständlich“, sagt die Grünen-Chefin. Auch die Veranstalter des Sachsensofas sind erleichtert, hatten sich aber mehr erhofft: „Die Diskussion entsprach nicht der gesellschaftlichen Stimmung“, sagt Mitveranstalterin Lisa-Marie Eberharter. „Ich hätte mir mehr kritische Stimmen gewünscht.“

Die kritischen Stimmen warten dann ein paar Kilometer weiter, an der Abzweigung Richtung Cunnersdorf. Mehrere Traktoren stehen quer über der Landstraße, die orangen Warnlichter blinken grell durch die Dunkelheit. Von den Freien Sachsen habe man sich fernhalten wollen, sagt einer, der dort im Regen steht. Ein Zeichen wolle man trotzdem setzen: „Ricarda Lang kommt auf diesem Weg jedenfalls nicht nach Berlin.“

Hier draußen geht es teilweise um ganz andere Themen als im Saal: „Wir sind die ersten, die Umweltschutz gut finden“, sagt ein Landwirt mit einem Jägerhut. „Aber was wir brauchen, um das umzusetzen, sind fair bezahlte Lebensmittel und nicht so viele Vorschriften.“ Ein anderer sagt: „Die in Berlin haben den Bezug zu den Menschen verloren.“ Warum waren sie dann nicht bei der Veranstaltung und haben ihre Anliegen dort vorgebracht? „Mit denen kann man ja nicht reden“, sagt der Dritte.