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Radebeuler Oberbürgermeister: "Lasst das die Kommunen regeln"

Öffentliche Finanzen sind bei den Gemeinden besser aufgehoben als zentral gesteuert. So wird Politik demokratischer. Ein Gastbeitrag des Radebeuler Oberbürgermeisters.

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Die Gemeinden wissen am besten, wo die Baustellen der Gesellschaft sind.
Die Gemeinden wissen am besten, wo die Baustellen der Gesellschaft sind. © Symbolfoto: dpa/Robert Michael

Von Bert Wendsche*

Durch eine Änderung der Förderbedingungen standen wir in Radebeul beim weiteren Ausbau der Staatsstraße Meißner Straße auf einmal ohne Förderung da. Wie weiter mit den Straßenbaukosten von sechs Millionen für den nächsten Kilometer? Warten und damit die dauerhafte Einstellung des Straßenbahnbetriebes riskieren? Andere Maßnahmen verschieben oder doch Schuldenaufnahme? Diese und andere Episoden zwangen zur Selbstvergewisserung in unsicheren Zeiten. Was bedeutet die grundgesetzlich garantierte kommunale Selbstverwaltung heute?

Das kommunale Vermögen ist nicht das Vermögen der gewählten Ratsmitglieder oder gar der Verwaltungen, sondern es ist das Vermögen der Bürgerschaft. Die Pflicht zum Vermögenserhalt ist nicht nur ein moralisches Gebot, sondern eine gesetzliche Verpflichtung. Und dies ist gut und richtig.

So ist der Haushalt eben erst dann ausgeglichen, wenn auch der Werteverzehr, die Abschreibung des kommunalen Vermögens, also jene von Schulen, Straßen, Feuerwehren und anderem, einnahmeseitig erwirtschaftet und damit für Schuldentilgung und Investitionen zur Verfügung steht. So wird sichergestellt, dass der nachfolgenden Generation ein werthaltiges Vermögen übergeben wird.

Was heißt hier "Zukunftsinvestition"?

Dies erfordert Disziplin und Begrenzung. Daher ist es wenig verwunderlich, dass das Gebot der Generationengerechtigkeit immer wieder in Frage gestellt wird. Doch was wäre die Folge? Es würde kurzfristig mehr Geld für Personal, Sach- oder Sozialkosten, für Standards, die man sich eigentlich nicht leisten kann, zur Verfügung stehen – aber unser „Geschenk“ an die kommende Generation wäre ein verschlissenes Vermögen.

Haben wir das Recht, über unsere Verhältnisse zu leben und die nach uns Kommenden dies bezahlen zu lassen? Haben wir das Recht, ihnen damit ihre Entscheidungsfreiheit zu nehmen? In meinen Augen nein.

Aktuell geistert immer wieder das Wort „Zukunftsinvestition“ wie eine Art Beschwörungsformel durch Politik und Medien. Doch was ist eigentlich das Gegenteil von „Zukunftsinvestition“? „Vergangenheitsinvestition“?

Nimmt nicht jeder für sich in Anspruch, mit Investitionen die Zukunft gestalten zu wollen? Insoweit wäre der Begriff eine Plattitüde. Die Absicht dahinter ist jedoch eine andere: Mit dem Zauberwort „Zukunftsinvestition“ will man sich mit der Aura der Unangreifbarkeit einen Freibrief für Kreditaufnahmen ausstellen.

Doch wer von uns weiß, wie die Zukunft aussehen wird? So ist beispielhaft Bildung wichtig für das Morgen. Darüber ist man sich schnell einig. Aber wenn es konkret wird, sieht dies ebenso schnell anders aus. Haben dreifach verglaste Schulfenster oder digitale Unterrichtsausstattung oder mehr Lehrer, oder, oder Priorität?

Kommunen wissen, was Nachhaltigkeit ist

Gestehen wir ehrlicherweise ein, keiner weiß, wie die Zukunft aussehen, was sie bringen wird, welche Technologien unser Leben verändern werden. Diejenigen, die vorgeben, sie wüssten, was Zukunft ist, sind Hochstapler oder elitäre Bekehrer.

Jede unserer Investitionsentscheidungen, so gewissenhaft wir sie auch abwägen, kann stets auch eine Fehlentscheidung sein. Dies ist unvermeidlich. Dies können wir den Nachfolgenden leider nicht ersparen. Doch wir sollten sie nicht auch noch mit den Schulden unserer Entscheidung belasten. Eine drohende Last ist genug!

Vermögenserhalt schließt das Gebot des nachhaltigen Bewahrens der natürlichen Lebensgrundlagen ein. Kommunale Selbstverwaltung sowie Natur-, Umwelt- oder Denkmalschutz sind nicht Gegner, sondern bedingen einander.

Nur die kommunale Selbstverwaltung – im Gegensatz zum zentralstaatlichen Ansatz – ermöglicht zuverlässig, alle Teilaspekte einer nachhaltigen Entwicklung und ihrer Folgen in ihrem Für und Wider im vielfältigen demokratischen Ringen vor Ort zum Ausgleich zu bringen.

Bert Wendsche ist Oberbürgermeister von Radebeul.
Bert Wendsche ist Oberbürgermeister von Radebeul. © Norbert Millauer

Das Überhöhen eines einzelnen Teilaspektes der Nachhaltigkeit gegenüber allen anderen wird dem Ziel einer nachhaltigen Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen nicht gerecht. Es gleicht daher eher dem Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub, wenn für das wichtige Ziel der CO2-Minderung der Ressourcenverbrauch weiter beschleunigt wird. So wenn beispielhaft am Ende der Lebenszeit von Windkraftanlagen sämtliche ausgedienten Rotorblätter im Verbrennungsofen landen.

Wir können uns das nicht länger leisten. Der Ressourcenwahnsinn muss ein Ende haben! Dies wird nicht dadurch gelingen, dass wir zu Hause zum Beispiel die Erweiterung von Kiesgruben mittels Baumhäusern zu verhindern suchen und stattdessen den Ressourcenhunger im Ausland, oft im sogenannten „globalen Süden“, stillen. Geboten ist, konsequent weniger Ressourcen zu nutzen und diese zudem dann konsequent wieder und weiter zu verwenden. Sanierung vor Neubau, Umnutzung vor Neuversiegelung, Reparatur und Langlebigkeit vor Einmalnutzung und Wegwurf.

Eine Illusion? Es liegt an uns

Kommunale Selbstverwaltung ist kein Auslaufmodell, sondern eine Neubesinnung auf ihre Kraft ist der Schlüssel für die Lösung vieler Probleme. Zugleich ist die damit einhergehende Stärkung der bürgerschaftlichen Eigenverantwortung der einzig erfolgversprechende Weg, den vielfach beklagten Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft zu begegnen. Allein ein Lösen der überbordenden bürokratischen Bremsen, ein Vertrauen in die Lösungskraft, Vorfahrt für das Möglichmachen vor Bedenkenträgerei haben das Potenzial, die kommunale Gestaltungskraft wie in den 90er/2000er-Jahren kraftvoll neu zu entfachen.

Ein buntes Lichtermeer kommunaler Möglichmachereien in Verantwortung der Bürgerschaft vor Ort, welch tolles Bild, welch grandioses Ziel! Illusion? Es liegt allein an uns!

*Unser Autor Bert Wendsche, geboren 1964 in Dresden, ist seit 2001 Oberbürgermeister von Radebeul (parteilos). Er ist Diplompädagoge und Diplomverwaltungswirt.