Deutschland & Welt
Merken

Festnahme im Fall "NSU 2.0"

Seit 2018 erhielten unter anderem Politiker und Journalisten mit "NSU 2.0" unterzeichnete Morddrohungen. Die Suche nach den Tätern schien erfolglos - bis jetzt.

 2 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Ein mutmaßlicher Verfasser von mehr als 100 teils volksverhetzender Drohschreiben mit dem Absender "NSU 2.0" ist festgenommen worden. Laut Staatsanwaltschaft sei der Mann wegen rechtsmotivierter Taten vorbestraft.
Ein mutmaßlicher Verfasser von mehr als 100 teils volksverhetzender Drohschreiben mit dem Absender "NSU 2.0" ist festgenommen worden. Laut Staatsanwaltschaft sei der Mann wegen rechtsmotivierter Taten vorbestraft. © Arne Dedert/dpa

Wiesbaden/Berlin. Ermittlungserfolg zur Serie rechtsextremer Drohschreiben "NSU 2.0": Ein 53 Jahre alter Mann wurde in Berlin bei einer Wohnungsdurchsuchung festgenommen. Der arbeitslose Deutsche stehe im dringenden Verdacht, "seit August 2018 unter dem Synonym "NSU 2.0" bundesweit eine Serie von Drohschreiben mit volksverhetzenden, beleidigenden und drohenden Inhalten verschickt zu haben", teilten die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main und das Hessische Landeskriminalamt in der Nacht zu Dienstag mit. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, sagte in Berlin: "Der Tatverdächtige ist gestern festgenommen worden am offenen Rechner."

Die Absenderkennzeichnung "NSU 2.0" nahm Bezug auf die Mordtaten der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) zwischen 2000 und 2007. Empfänger der Drohschreiben waren überwiegend Personen des öffentlichen Lebens, vor allem aus der Medienwelt und der Politik, darunter Abgeordnete des Bundestags und des Hessischen Landtags.

Heikel war der Fall auch, weil es den Anschein hatte, dass der oder die Täter sich Insiderwissen der Polizei zunutze gemacht haben könnten. Nach dpa-Informationen soll sich der Festgenommene die Informationen über die Angeschriebenen mutmaßlich auch bei Behörden beschafft haben: Dafür soll er möglicherweise telefonisch etwa beim Einwohnermeldeamt entsprechende Anfragen gestellt haben. Im Raum stehe zudem, dass sich der Mann über das Darknet illegal verbreitete Daten der Betroffenen beschafft haben könnte, hieß es.

Mutmaßlicher Verfasser kein Polizist

Der Verdächtige sei bereits in der Vergangenheit wegen zahlreicher - unter anderem auch rechtsmotivierter - Straftaten rechtskräftig verurteilt worden, teilten die Ermittler mit. Die bei der Durchsuchung am Montag sichergestellten Datenträger würden nun ausgewertet. Zudem werde unter anderem wegen des Verdachts der Volksverhetzung, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der Bedrohung sowie der Beleidigung ermittelt.

Der mutmaßliche Verfasser der Drohschreiben sei zu keinem Zeitpunkt Bediensteter einer Polizeibehörde gewesen. Sehr aufwendige und zeitintensive gemeinsame Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft und des Hessischen Landeskriminalamtes hätten letztlich zur Identifizierung des Beschuldigten geführt.

Mitte März hatte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) von insgesamt 133 verschickten Drohschreiben berichtet. Dabei würden die Ermittler 115 dieser Schreiben dem Tatkomplex "NSU 2.0" zurechnen. 18 Schreiben seien mutmaßlich von Trittbrettfahrern verfasst und versendet worden. Empfänger seien überwiegend Personen des öffentlichen Lebens gewesen, vor allem aus der Politik und der Medienwelt. Die 115 Schreiben hätten sich an 32 Personen und 60 Institutionen in insgesamt neun Bundesländern und in Österreich gerichtet. Überwiegend geschah der Versand per E-Mail, aber auch per Fax, per SMS sowie über Internetkontaktformulare.

Im Juli 2020 war der hessische Landespolizeipräsident Udo Münch wegen der Affäre um die Drohmails zurückgetreten.
Im Juli 2020 war der hessische Landespolizeipräsident Udo Münch wegen der Affäre um die Drohmails zurückgetreten. © dpa

Im Juli 2020 war der hessische Landespolizeipräsident Udo Münch wegen der Affäre um die Drohmails zurückgetreten. Die Adressen der Opfer waren in Polizeicomputern abgefragt worden. Zu den Betroffenen zählte auch die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz. Anfang März hatte sie gesagt, sie habe mehr als ein Dutzend "NSU-2.0"-Drohschreiben erhalten. Opfer waren auch die Kabarettistin Idil Baydar und die aus Frankfurt stammende heutige Linkspartei-Chefin Janine Wissler.

Nach Angaben des Innenministeriums gibt es insgesamt drei festgestellte Abfragen von hessischen Polizeicomputern im Tatkomplexes "NSU 2.0". Neben einer unerlaubten Abfrage im 1. Polizeirevier in Frankfurt im August 2018 seien noch von zwei unterschiedlichen Revieren in Wiesbaden im Frühjahr 2019 und im Februar des vergangenen Jahres Daten unerlaubt abgefragt worden.

Lehre für die Sicherheitsbehörden

Innenminister Beuth sieht durch die Festnahme nach bisherigen Erkenntnissen die hessische Polizei entlastet. "Die Drohschreiben hatten einen sehr schwerwiegenden Verdacht auf die Polizei gelenkt", erklärte er. "Nach allem, was wir heute wissen, war nie ein hessischer Polizist für die "NSU 2.0"-Drohmailserie verantwortlich." Zugleich versicherte der Minister, man werde aus dem Fall weitere Lehren für die Sicherheitsbehörden ziehen. "Die Ermittlungen werden mit der gleichen Beharrlichkeit und Akribie, die jetzt zum Erfolg geführt haben, fortgesetzt."

Ein Team um den polizeilichen Sonderermittler Hanspeter Mener habe "zehn Monate lang nichts unversucht gelassen, um den mutmaßlichen Täter aus der Anonymität des Darknets zu reißen", erklärte Beuth. Auch Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) sprach von einem herausragenden Schritt bei der Aufklärung der Drohmailserie. Wenn sich der dringende Tatverdacht bestätige, sei das eine großartige Nachricht für die Opfer und die Bürger im Land. "Hass, Hetze und Drohungen werden nicht die Oberhand gewinnen."

Als "NSU" hatten sich die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bezeichnet, die zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordeten. Es waren acht türkischstämmige und ein griechischstämmiger Kleinunternehmer sowie eine Polizistin. Ihre Mittäterin Beate Zschäpe wurde 2018 verurteilt. Die Juristin Basay-Yildiz hatte in Prozess um die Morde Opferfamilien vertreten. (dpa)