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Protest am Pflegeheim

Mitarbeiter von Vitanas fordern mehr Geld. Selbst ein Streik ist nicht ausgeschlossen.

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Mitarbeiterinnen von Vitanas haben am Dienstag vor dem Seniorenhaus an der August-Bebel-Straße für einen Tarifvertrag protestiert. Mittendrin Manuela Schaar (4.v.l.) von der Gewerkschaft Verdi. Drinnen liefen den ganzen Tag Tarifgespräche.
Mitarbeiterinnen von Vitanas haben am Dienstag vor dem Seniorenhaus an der August-Bebel-Straße für einen Tarifvertrag protestiert. Mittendrin Manuela Schaar (4.v.l.) von der Gewerkschaft Verdi. Drinnen liefen den ganzen Tag Tarifgespräche. © Sebastian Schultz

Riesa. Bei drei Grad über null ist die Stimmung an der August-Bebel-Straße frostig. Vor dem Zaun des Vitanas-Seniorenzentrums ziehen sich acht Frauen ihre Jacken enger um die Schultern, deutlich sichtbar zittern Fingerspitzen. Sieben Vitanas-Mitarbeiterinnen haben sich um ein Protestplakat postiert, zwischen ihnen steht Manuela Schaar von der Gewerkschaft Verdi. Denn im benachbarten Dreigeschosser beginnen an diesem Dienstagvormittag gleich die Tarifgespräche. „Es ist bereits die vierte Verhandlung, die zweite in diesem Jahr“, sagt die Gewerkschaftssekretärin.

Jetzt geht es um den wohl wichtigsten Punkt aus Mitarbeitersicht: die Bezahlung. „Der Arbeitgeber hat noch kein Paket vorgelegt“, sagt Manuela Schaar. Bislang zahle das Unternehmen nach eigenen Richtlinien, aber ohne eine Mitsprache der Mitarbeiter. Und deutlich unter dem sächsischen Branchendurchschnitt, sagt die Gewerkschafterin. „Das Einstiegsgehalt für Fachkräfte liegt bei Vitanas brutto bei 2 200 bis 2 300 Euro.“ Das gelte bei einer 40-Stunden-Woche. Tatsächlich würden aber viele Kolleginnen in Teilzeit arbeiten. „Manche müssen trotz ihrer Arbeit noch aufs Amt rennen, um Transferzahlungen zu beantragen“, sagt Manuela Schaar.

Vitanas selbst möchte zu individuellen Gehaltsfragen öffentlich keine Stellung nehmen, sagt Thomas Schmidt, Geschäftsführer des Berliner Unternehmens. „Wir befinden uns gerade in Verhandlungen und sprechen direkt mit unseren Partnern, nicht über die Presse.“ Die von der Gewerkschaft genannten Eckdaten seien bekannt. Allerdings müsse man beachten, dass zu diesen Grundgehältern auch noch Weihnachts- und Urlaubsgeld komme, außerdem Schicht- und Funktionszulagen.

So oder so: Es gibt offenbar eine Unzufriedenheit unter den Mitarbeitern. Der Gewerkschaft Verdi sei es im vergangenen Jahr „aus dem Stand“ gelungen, den Anteil der Gewerkschafter in Riesa und Bautzen – die Gespräche laufen zu beiden Vitanas-Standorten – auf jeweils mehr als die Hälfte der Mitarbeiter zu erhöhen. Aus Gewerkschaftssicht gehören Riesa und Bautzen zu den fünf rentabelsten Häusern der 47 Vitanas-Standorte. Mit jeweils – laut Vitanas – etwas mehr als 80 Mitarbeitern seien die Einrichtungen ähnlich groß. „Da bietet sich eine gemeinsame Verhandlung an“, sagt Manuela Schaar. Verdi-Ziel sei es, den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes auf ortsüblichem Niveau anzuwenden. „Unsere Referenz ist der Tarifvertrag der Awo in Sachsen. Da geht es um 2 400 bis 3 000 Euro im Monat.“ Das wären jeweils einige Hundert Euro mehr auf dem Lohnzettel.

Jetzt rollt eine Limousine mit Vertretern der Arbeitgeberseite auf das Grundstück. Ein Mann im Anzug kommt heraus auf den Bürgersteig und begrüßt lächelnd per Handschlag die Mitarbeiterinnen und die Gewerkschafterin. Während der Mann im Haus verschwindet, treten die Frauen vor dem Zaun von einem Bein auf das andere. Das Vitanas an der August-Bebel-Straße liegt quasi an Riesas Pflegemeile: Dort reihen sich jeweils in Sichtweite die Senioreneinrichtungen von Diakonie, Vitanas, Azurit und PBZ aneinander. Wo steht aus Gewerkschaftersicht Vitanas bei der Bezahlung im Vergleich? „Vitanas und Azurit sind gewinnorientiert am Markt“, sagt Schaar. Das Besondere an Vitanas ist, dass das Unternehmen seit 2017 der US-Beteiligungsgesellschaft Oaktree gehört, die zuvor in Deutschland vor allem als Immobilieninvestor aufgetreten war. Mit nach Unternehmensangaben über 5 000 Pflegeplätzen und mehr als 4 000 Mitarbeitern gehört Vitanas zu den größten privaten Pflegeheimbetreibern in Deutschland. „Und natürlich geht es dort darum, Gewinn herauszuziehen – anders als etwa bei der Diakonie“, sagt die Gewerkschaftssekretärin. Deshalb würden bei der Diakonie die Mitarbeiter auch besser bezahlt.

Derzeit könnten Pflegefachkräfte auch relativ leicht den Arbeitgeber wechseln: Der Markt sei leergefegt, zusätzlich würden sächsische Krankenhäuser massiv Altenpflegekräfte abwerben, sagt Manuela Schaar. „Wer im Krankenhaus arbeitet, kriegt deutlich mehr. Das macht 900 Euro Unterschied bei Fachkräften aus.“ Allerdings sei es nicht das Ziel, Vitanas zu verlassen, sondern den Betrieb zu erhalten. „Dafür fordern wir ein angemessenes Gehalt, 30 Tage Urlaub und einen Ausgleich für Nachtschicht- und Feiertagsarbeit.“ – Die Stimmung in Riesa sei „aufgeheizt“, sagt eine Mitarbeiterin. Weil zu wenig Personal da sei, müssten die Kolleginnen ständig einspringen. „Und das sind dann immer dieselben“, schimpft eine jüngere Kollegin. Tatsächlich würden in Riesa fast nur Frauen als Pflegefachkräfte arbeiten. „Wir sind Mütter, Ehefrauen, haben Kinder“, sagt eine dritte Mitarbeiterin. „Und gefühlt ist man bei den Schicht-Arbeitszeiten nie für die Familie da!“

Sollte es bei den Gesprächen keine Einigung geben, wäre laut Gewerkschaft selbst ein Streik denkbar. „Wer im Sozialbereich arbeitet, hat dieselben Grundrechte wie alle anderen auch“, sagt Manuela Schaar. Im Fall des Falls gäbe es einen Notdienst, sämtliche Verwaltungsarbeiten fielen dann eben weg. Zulasten der Bewohner solle es aber nicht gehen. Die Verhandlungen sollten am Dienstag bis in die Abendstunden gehen. Wann ein Ergebnis erzielt wird, war am Nachmittag noch völlig offen.