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Querelen wegen der Liebe zum Trainer

Im Blickpunkt

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Von Martin Haas

Besucher zucken zusammen, wenn sie klingeln. Bevor Waltraud Kretzschmar an der Gartentür erscheint, verteidigt Dogge Paula lautstark ihr Revier. Heute hat Paula Gartenverbot, denn Waltraud Kretzschmar feiert ihren 60. Geburtstag. Die Besucher geben sich in Schöneiche die Klinke in die Hand. Die Mutter von Stefan Kretzschmar, der vergangenes Jahr nach 218 Handball-Länderspielen zurücktrat, war in den 70er Jahren die erfolgreichste Handballerin der Welt. Ihre Bilanz: in 15 Jahren 217 Länderspiele, 727 Tore, drei WM-Titel, zweimal Europapokalsiegerin, Silber und Bronze bei Olympia, zehn DDR-Meistertitel für den SC Leipzig.

Dabei hing die Karriere am seidenen Faden. Dem Wechsel von Traktor Dahmsdorf nach Leipzig stimmte der Vater nur zu, wenn für seine Tochter eine Lehrstelle in einer Bank herausspringen würde. Diese Bedingung war für einen Spitzenklub damals zu erfüllen. Die Karriere nahm schnell Fahrt auf. Schon mit 16 spielte sie in der Frauen-Oberliga, mit 17 im Nationalteam. Nach der Lehre gab es auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur, nach acht Jahren Studium das Trainer-Diplom.

1970 durchlebte sie mit ihrem damaligen Trainer Peter Kretzschmar schwere Zeiten. „Ich hatte mich in Peter verliebt. Die Mannschaft spürte, dass zwischen dem Trainer und mir was lief. Es war nicht einfach. Peter sollte das Team nicht mehr trainieren“, erinnert sich die einstige Top-Spielerin. Doch die Liebe war stärker. „Wir standen alle Querelen durch“, sagt der 75-jährige Peter Kretzschmar. 1971 wurde geheiratet, zwei Jahre später kam Stefan zur Welt. Nach dem dritten WM-Gold 1978 erblickte Tochter Katharina das Licht der Welt. Nach kurzer Babypause bereitete sich die gebürtige Lehninerin (Mark Brandenburg) auf Olympia in Moskau vor. Dort half sie 32-jährig mit, Bronze zu erkämpfen. Ehemann Peter war längst zum Auswahltrainer aufgestiegen, also zogen die Kretzschmars nach Berlin. 1987 vergrößerte sich die Familie um Enkel Felix. Bei einem Autounfall waren Peter Kretzschmars Tochter aus erster Ehe und deren Ehemann ums Leben gekommen, der vier Jahre alte Felix stand allein da. Waltraud Kretzschmar: „Natürlich haben wir ihn zu uns genommen, wie unser drittes Kind großgezogen.“

Nach der Wende traf es die Kretzschmars wie Millionen andere Familien im Osten zunächst hart. „Wir standen plötzlich ohne Jobs da. Ich habe dann drei Jahre zur Hotelfachfrau umgeschult. 1994 haben wir die Gaststätte im BVB-Stadion in Berlin-Lichtenberg übernommen und zehn Jahre bewirtschaftet. Dann waren die Kosten nicht mehr zu stemmen“, erzählt Waltraud Kretzschmar. Ehemann Peter ging in Rente, Waltraud heuerte in einem Sonnenstudio an. Um Haus und Hof müssen sich die „Kretzsches“ allerdings keine Sorgen machen. Sohn Stefan hat bei der Errichtung des Heimes in Berlins reizvollem Umfeld mitgeholfen. (sid)