SZ + Radebeul
Merken

Ein weiterer öffentlicher Chaos-Bau?

Haushebung in Brockwitz: Matthias Müller von der Niederseite befürchtet ein großes Durcheinander und eine riesige Kostenexplosion.

Von Udo Lemke
 5 Min.
Teilen
Folgen
Matthias Müller im Hof seines Hauses Niederseite 8 in Brockwitz. Er zweifelt daran, dass das Projekt der geplanten Haushebung auf solider Basis steht.
Matthias Müller im Hof seines Hauses Niederseite 8 in Brockwitz. Er zweifelt daran, dass das Projekt der geplanten Haushebung auf solider Basis steht. © Norbert Millauer

Coswig. Unter der Überschrift „Geld gegen Hochwasser“ vermeldete die SZ am 5. Januar, dass Bund und Land zusammen 10,5 Millionen Euro für die Hebung von Häusern im Coswiger Ortsteil Brockwitz bereitstellen, um diese anzuheben und so künftig vor Elbehochwassern zu schützen.

„Sicher sind diese Bemühungen und Erfolge erst einmal positiv zu bewerten!“, erklärt Matthias Müller gegenüber der SZ. Aber: „Es reicht nicht, Geld gesammelt zu haben.“ Müller hat seinen Hof an der betroffenen Niederseite in Brockwitz. Im vergangenen Mai ist der Baufachmann in Rente gegangen. Er stört sich daran, dass in allen möglichen Medien - von MDR über die SZ bis zum ZDF - über das Projekt der Haushebung berichtet wird, doch dass es „seit der Abschlussveranstaltung nach Beendigung der Voruntersuchungen durch Experten, Hochschulen und Universitäten, das war 2019, keine weitere Kommunikation seitens der Stadt gegeben hat“.

Nicht einmal das Ergebnis der schriftlichen Befragung aus dem Herbst 2021, ob denn auch alle Anwohner und Grundstückseigentümer bei der Aktion mitmachen, sei kommuniziert worden. Das Ergebnis habe sich durch die „stille Post“ herumgesprochen und so seien einige Bewohner der Brockwitzer Niederseite inzwischen nicht mehr bereit, beim Projekt Haushebung mitzumachen. Matthias Müller zählt allein sechs Familien auf, von denen ihm bekannt ist, dass sie inzwischen Abstand von dem Projekt nehmen. Er selbst sei nicht grundsätzlich dagegen, habe aber mittlerweile starke Vorbehalte. Auf Nachfrage bei der Coswiger Stadtverwaltung heißt es: „Im Herbst 2021 wurden 23 Brockwitzer Hauseigentümer angeschrieben. 16 von ihnen können sich vorstellen, ihre Gebäude im Rahmen des Projektes in absehbarer Zeit anheben zu lassen. Der Prozess ist aber noch in ständiger Bewegung. Wer tatsächlich mitmachen wird, können wir erst sagen, wenn die entsprechenden Verträge dazu abgeschlossen sind.“ „Fakt ist, dass weder bei mir, noch bei meinen Nachbarn und Bekannten auf der Straße bisher der angekündigte Baugrundgutachter mit seinen Bohrgeräten gekommen ist, um nach dem Felsen zu suchen, auf dem sich, laut Aussage des Ordnungsamtsleiters der Stadt, Olaf Lier, im Länderspiegel des ZDF vor ein paar Wochen, die Pfähle der Hydraulikpressen abstützen sollen, damit die Haushebung stabil und sicher abläuft.“ Bei der Bohrung zu seinem Gartenbrunnen 2012 durch eine Fachfirma, habe man selbst bei neun Metern Teufe noch keinen Felsen gefunden .

Grundsätzlich würden sich die Anwohner der Niederseite lieber einen Deich als die Haushebung wünschen, sagt Matthias Müller. Denn dann könnten sie in ihrem gewohnten Umfeld bleiben, außerdem sei dass dann Bundes- bzw. Landesaufgabe und sie müssten nichts bezahlen. Allerdings fehlten dann der Elbe die Ausdehnungsflächen, die der Deich einnehme, weshalb es bislang keine Zustimmung zu solch einem Vorhaben gegeben habe.

Matthias Müller kritisiert, dass über die vertragliche Gestaltung zwischen der Stadt, den Grundstücksbesitzern und den Baufirmen noch kein einziges Wort gefallen ist. „Da gibt es sicher einiges rechtssicher zu regeln, angefangen von der Frage, wer Bauherr ist, die Stadt oder die Hauseigentümer? Wie wird die Finanzierung geregelt? Wie die Gewährleistung, falls Bauschäden auftreten? Was ist mit der Baubegleitung durch externe Sachverständige und Ingenieure, die den Firmen über die Schulter schauen? Wie wird die Bauphase versicherungsseitig abgedeckt?“

Ebenfalls nicht geklärt ist, nach welchen Verfahren die Fachfirmen gefunden werden und wie es mit der Eignungsprüfung aussieht? „Mir ist im näheren Umfeld keine Firma bekannt, welche dazu in der Lage wäre, allein so eine Aufgabe zu stemmen. Und Hans und Fritz, mit ihrer Tagesleistung von drei Mauersteinen, zwei Dachlatten und einer Kiste Bier auf dem Pico-Dreirad, erhalten bei mir und den meisten Grundstückseignern keinen Zutritt.“

Abschließend bliebe zu erwähnen, dass bisher auch noch kein einziges Ingenieurbüro aufgetaucht sei, um den Bestand der Gebäude zu analysieren, aufzunehmen, daraus Lösungen und statische Berechnungen und eine objektbezogene Kostenermittlung zu erstellen. „Ein Projekt dieser Größenordnung kann nicht durch ein Allein-Unterhalter-Büro vorbereitet und geplant werden. Da muss schon eine Ingenieurgemeinschaft ran, wo die Fachlichkeit nicht nur durch eine Visitenkarte, zu erkennen ist.“ Auch sollten die zuständigen Behörden für das Straßenwesen, die Eigner und Betreiber der Medien, wie Wasser, Strom, Gas, Abwasser, Telekommunikation usw. mit an den Tisch.

Wie könne man seitens der Stadt erklären, dass es noch in diesem Jahr mit der ersten Haushebung losgehen soll, wenn nichts geklärt ist? Auch, was den Kostenrahmen betrifft, ist Matthias Müller sehr skeptisch: „Ich frage mich, was das werden soll. Ein weiterer öffentlicher Chaos-Bau, wie der BBR, mit Bauzeitüberschreitungen von Jahren und einer Kostenexplosion ins Überdimensionale?“ Seiner Schätzung nach müsse man statt der 1 bei 10,5 Millionen Euro Förderung mindestens eine 4 davor schreiben.

Matthias Müller hatte sich mit seinen Bedenken an die SZ gewandt: „Warum ich das schreibe? Weil ich es im Gefühl habe und rieche, was da für ein Chaos auf uns zukommt, wenn das so weiter geht. Wer einschließlich Lehrzeit, Hochschulstudium und Arbeitsleben, immer im Bauwesen verhaftet war, sei es als Bauleiter, Projektleiter, Abteilungsleiter oder Niederlassungsleiter, im Tiefbau, Hochbau und Innenausbau sowie immer mit Herzblut und Engagement an den vielen großen und kleinen Bauvorhaben mitgearbeitet hat, der hat es einfach im Gefühl.“ Man müsse die Menschen durch richtige Information und eine kluge und andauernde Kommunikation mit auf die geplante Reise nehmen, erklärt er.

In diese Richtung hatte auch Ordnungsamtschef Olaf Lier im eingangs erwähnten Artikel in der Sächsischen Zeitung argumentiert: „Wir müssen jetzt mit den Leuten sprechen.“