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Renate Krößner ist tot

Eine Rolle für die Ewigkeit: „Solo Sunny“-Star Renate Krößner ist im Alter von 75 Jahren gestorben.

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Renate Krößner lebt nicht mehr.
Renate Krößner lebt nicht mehr. © imago images

Von Kerstin Decker

Ein Hinterhof im Prenzlauer Berg, Abrissgebiet. Es ist Morgen, und sie sagt zu dem fremden Mann in ihrem Bett: „Is‘ ohne Frühstück.“ Der Aufgeweckte will protestieren, sie fügt an: „Is‘ auch ohne Diskussion.“ Diese Frau kann Punkte setzen. Und Ausrufezeichen. Aber auch bebendste Fragezeichen. Renate Krößner war Sunny in Konrad Wolfs letztem Film „Solo Sunny“ (1980). Eine Fabrikarbeiterin wird Schlagersängerin. In dieser Rolle hat sie sich tief ins Bildgedächtnis Ost gebrannt. Fast möchte man sagen: Sie war das Gesicht der späten DDR. Selten wird eine Schauspielerin so sehr zur Mitte und zum Spiegel von allem, was sonst noch in einem Film geschieht. Eine Ikone.

Nun ist sie nur wenige Tage nach ihrem 75. Geburtstag in Mahlow (Teltow-Fläming) gestorben. Das bestätigte ihr Ehemann, Schauspieler Bernd Stegemann. Sie wird nun die ewige Sunny bleiben. Was nicht verzerrend ist. Denn in vielem war sie diese Sunny selbst: Nicht schön auf den ersten Blick, eigentlich nicht einmal auf den zweiten. Vielleicht hatte es die junge Renate Krößner nicht einmal selbst überrascht: kleine Filmrollen, kleine Bühnen. Parchim, Stendal, Dessau, Brandenburg.

Wehmut über Prenzelberg

So fing das an. Das große Scheinwerferlicht würde sie vermutlich nie treffen. Typus beste Freundin der Hauptdarstellerin, so wie in Heiner Carows „Bis dass der Tod Euch scheidet“ an der Seite von Katrin Sass. Der kam unmittelbar vor „Solo Sunny“ und war schon ein Tabubruch: Gewalt in einer jungen Ehe. Im Sozialismus! Renate Krößner war großartig, und doch: Es war nicht ihr Film. Das war „Solo Sunny“. Von Konrad Wolf. Der fand sie am Theater Brandenburg.

Mit siebzehn Jahren in die Rote Armee eingetreten, gehörte Wolf zu den sowjetischen Truppen, die 1945 Berlin einnahmen. Sein Thema waren fast immer die Schatten des Faschismus. Und nun drehte er einen Film, der wie kein zweiter zum Abgesang auf die DDR wurde, auf die er so gehofft hatte. Der Einzelne – nein, die Einzelne – mit dem unendlichen Recht auf ihren Traum, der in keinem Kollektivtraum aufgeht. Selbst wenn er etwas geborgt, etwas subaltern sein sollte, ein Schlagerlebenstraum eben, so wie Sunnys Song: „Blue – the dawn is growing blue / A dream is coming true / When you will come away / Some sweet day.“

Sie war in vielem wie Sunny: Renate Krößner (1945 – 2020).
Sie war in vielem wie Sunny: Renate Krößner (1945 – 2020). © dpa

Renate Krößner sang mit der Stimme von Regine Dobberschütz, und die wehte rau über die Dächer des Abrissgebiets Prenzlauer Berg. Melancholie und Schönheit. Sozialismus, das sollte eine Gesellschaft sein, in der der Einzelne geborgen wäre. Aber ungeborgener als diese Sunny, grob und zart zugleich, konnte man nicht sein. Unvergessen die fehlende Hälfte ihrer rechten Augenbraue. Ja, wenn nicht einmal die eigenen Augenbrauen einen vollständigen Bogen bilden können, wie soll da ein ganzer Lebensbogen gelingen? Und dann das alte Kino-Thema: Aus dem hässlichen Entlein wird ein Schwan, wenn auch nur für Augenblicke. Wenn auch nur in einer üblen Kaschemme.

Für ihre Sunny bekam Renate Krößner 1980 den Silbernen Bären, den ersten im Osten überhaupt. Aber dann in der DDR keine Rollen mehr. Ab 1985 war sie im Westen, spielte in „Liebling Kreuzberg“, spielte noch viele Rollen, im Fernsehen und im Kino, wie zu Anfang die kleinen ganz groß. Ein weiteres Highlight ihrer lange erfolgreich andauernden Schauspielkarriere war der Deutsche Filmpreis, mit dem Renate Krößner 1993 für ihr Spiel als Fußballfan Uschi Klamm in dem Film „Nordkurve“ von Adolf Winkelmann ausgezeichnet wurde. Aber eine Rolle wie Sunny war nie wieder im Angebot.