Von Anja Ehrhartsmann
Beerwalde. Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil“, diesen Spruch hat Sebastian Berthold schon oft in seinem Leben gehört. Allerdings nicht als Angeklagter, sondern von der Richterbank aus. Denn der 39-Jährige aus Beerwalde ist seit fast zehn Jahren ehrenamtlich als Schöffe am Landgericht Dresden und entscheidet dort mit, ob ein Angeklagter verurteilt oder freigesprochen wird. Auch beim Strafmaß hat er ein Wörtchen mitzureden, vom Bußgeld bis zur Freiheitsstrafe.
Mehr als 20 Jahre Haft, so lautete das Urteil, das im November 2016 gegen zwei Männer gesprochen wurde. Mitgefällt hat das Sebastian Berthold. Bei seinem bisher größten Prozess mit mehr als zehn Verhandlungstagen ging es um den Handel mit 23 Kilogramm Crystal – der größten Menge der Partydroge, mit der es das Landgericht Dresden damals je zu tun gehabt hat. „Mit dieser Menge hätte man ganz Dresden versorgen können“, sagt Sebastian Berthold. So etwas einzuschätzen, lerne man übrigens mit der Zeit. „Mittlerweile kenne ich auch die Preise, die man in Dresden pro Gramm bezahlt.“
Der Drogenprozess hatte für Sebastian Berthold nicht nur die meisten Prozesstage, auch die Auswertungen für ihn als Schöffen seien relativ umfangreich gewesen. Denn die beiden angeklagten Männer wurden im Zuge der Ermittlungen abgehört. Die Protokolle, drei prall gefüllte Aktenordner, musste der 39-Jährige Zuhause lesen. Doch so was ist eher die Ausnahme, erklärt er. Vorbereiten auf die Prozesse muss er sich in der Regel nie. Wenn Sebastian Berthold bei Gericht aus dem Hinterzimmer tritt, weiß er manchmal nicht mehr als in der Sitzungseinladung steht. Diese Unvoreingenommenheit ist auch gewollt. Da er aber mit vielen Berufungsverfahren zu tun hat, bei denen das Urteil angefochten wird, erzählt der Richter auch manchmal kurz, um was es geht.
Wer kann Schöffe werden?
Während der Verhandlung hat er immer sein graues Notizbuch dabei. „Ich schreibe mir auf, was einzelne Zeugen gesagt haben, aber das macht jeder anders.“ Das Aufgeschriebene dient ihm als Gedächtnisstütze. Vor dem Urteilsspruch werde im Hinterzimmer dann kurz das Für und Wider besprochen. Das Strafmaß richte sich nach dem Gesetzesrahmen und damit kenne sich der Berufsrichter aus, er selbst muss die Gesetze nicht kennen. „Schöffen sind unbedarfte Bürger, die mit ihrem Menschenverstand entscheiden“, erklärt Sebastian Berthold. Meist sind einem Berufsrichter zwei Schöffen beigestellt. Alle sind gleich stimmberechtigt. „Wenn sich die Schöffen zusammenfinden, können sie den Richter überstimmen.“
Vor mehr als neun Jahren hat Sebastian Berthold zum ersten Mal auf der Richterbank Platz genommen. An seinen ersten Prozess erinnert er sich aber nicht mehr. „Der Zweite ist mir mehr im Gedächtnis hängen geblieben.“ Dabei ging es um Trunkenheit im Verkehr. Dem Angeklagten sollte der Führerschein entzogen werden, weil er alkoholisiert Fahrrad gefahren war. „Er war Lkw-Fahrer und hätte seine Stelle verloren.“ Statt der von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafe bekam der Mann letztlich nur eine Geldbuße. „Manchmal muss man auch die Staatsanwaltschaft einbremsen, zum Teil wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“
Was ihm außerdem nachdrücklich im Gedächtnis ist, ist die Messerattacke am Landgericht Dresden, bei der 2009 eine Zeugin getötet wurde. „Ich war an dem Tag nicht am Landgericht, sondern ein Mitschöffe, aber es war meine Strafkammer“, berichtet der 39-Jährige. Dass Justizvollzugsbeamte während der Verhandlung haben einschreiten müssen, habe er aber auch schon erlebt. Der Angeklagte, an Händen und Füßen gefesselt, schlug und trat um sich, sodass der angeschraubte Tisch durch den Raum flog. Sechs Wachtmeister konnten den Mann überwältigen, der Richter hatte sie per Druckknopf alarmiert. Angst habe er in der Situation aber keine gehabt. „Ich habe das noch nicht als für mich direkt bedrohlich empfunden.“
Der 39-Jährige stammt gebürtig aus Dresden. Als er mit seiner Familie 2007 wieder auf den Hof seiner Eltern nach Beerwalde zog, wollte er etwas für die Gemeinschaft tun und ein Ehrenamt übernehmen. „Für die Feuerwehr war ich schon zu alt“, sagt er und lacht. Gleichzeitig wurden in der Gemeinde Klingenberg Schöffen gesucht, und so kam eins zum andern. Nach diesem Jahr ist für Sebastian Berthold dann aber erst mal Schluss. Nach zwei Amtsperioden muss er für fünf Jahre aussetzen. „Dann muss ich schauen, wie es sich mit der Firma entwickelt. Als mittlerweile Selbstständiger ist es schwieriger, weil niemand einspringt“, sagt der Imker. „Aber es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Es ist hochinteressant.“