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"Ich werde vor allem die Menschen vermissen"

Pfarrer Martin Scheiter verlässt Glaubitz, um in Radebeul eine neue Stelle anzutreten. Warum ihm der Abschied nicht leicht fällt.

Von Jörg Richter
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Pfarrer Martin Scheiter in seinem Arbeitszimmer im Glaubitzer Pfarrhaus. Er verlässt die hiesige Kirchgemeinde und geht nach Radebeul.
Pfarrer Martin Scheiter in seinem Arbeitszimmer im Glaubitzer Pfarrhaus. Er verlässt die hiesige Kirchgemeinde und geht nach Radebeul. © Sebastian Schultz

Glaubitz. Am Sonntag wird Pfarrer Martin Scheiter mit einem Gottesdienst in der Glaubitzer Kirche verabschiedet. Nach knapp zehn Jahren verlässt er seine erste Pfarrstelle und beginnt seinen neuen Dienst in der Friedenskirche in Radebeul-Kötzschenbroda. Sächsische.de sprach vorab mit dem beliebten Gottesmann, der in Glaubitz seine Spuren hinterlässt. Und auch eine Lücke.

  • Der Abschiedsgottesdienst für Pfarrer Martin Scheiter beginnt am Sonntag, 14 Uhr. Anschließend lädt die Kirchgemeinde zum gemeinsamen Kaffeetrinken ein.

Herr Scheiter, Sie werden als sportlichster Pfarrer in Erinnerung bleiben, den es bisher in Glaubitz gab. Wie wichtig ist Ihnen das tägliche Laufen?

Ich laufe nicht jeden Tag, aber fast jeden. Mittlerweile ist mir das auch ziemlich wichtig. Es begann, als unsere Kinder hier in die Krippe kamen. Da war ich dafür zuständig, sie früh in die Kita "Bummi" zu schaffen. Für das Auto ist es zu nah und mit dem Fahrrad irgendwie umständlich. Also habe ich mir meine Laufsachen angezogen, unsere Zwillinge in den Kinderwagen gesetzt, bin mit ihnen zur Kita gelaufen und danach eine Runde allein durch den Wald gejoggt. So fing es an und ich bin dabei geblieben. Auch bei Wind und Wetter. Irgendwann kam unser Pudel dazu. Der braucht ja auch seinen Auslauf. - Das Laufen durch den Glaubitzer Wald war etwas, was mir von Anfang an gutgetan hat.

War der Wald ein Kriterium, warum Sie sich damals für Glaubitz entschieden haben?

Nein, ich wurde nach Glaubitz geschickt. Als Anfänger konnte ich mir meine erste Pfarrstelle nicht aussuchen. Aber der Wald, der gleich um die Ecke ist und außerdem sehr, sehr schön, war eine meiner ersten Entdeckungen, die ich hier machen konnte. Er ist mir in den neun Jahren sehr ans Herz gewachsen.

"Hergeschickt" klingt ja irgendwie unfreiwillig.

Das ist schon so. Wir wollten eigentlich in die Nähe von Leipzig, weil meine Frau damals dort arbeitete. Doch dann wurden wir vom Personalchef der Landeskirche gefragt, ob wir nicht nach Glaubitz ziehen möchten. Ganz wichtig war uns dabei die Zuganbindung. So haben wir uns den Ort angeschaut und haben uns auch sofort verguckt in die Kirche und das schöne Pfarrhaus, das ich persönlich für eines der schönsten in der Region halte.

Sie und Ihre Frau haben es also nicht bereut, nach Glaubitz gezogen zu sein.

Nein, auf keinen Fall. Ich habe von Anfang an ein gutes Gefühl gehabt. Ich musste erst mal entdecken, dass Sachsen hinter der A14 weitergeht. Als gebürtiger Rand-Erzgebirger kannte ich dieses Gebiet bis dahin nicht. Höchstens vom Durchfahren auf den Weg zur Ostsee. Dass es hier einen schönen Landstrich gibt, war eine großartige Entdeckung für uns.

Ist es beim Morgenjogging durch den Glaubitzer Wald geblieben, oder ist daraus mehr geworden?

Ich bin letztes Jahr meinen zweiten Marathon gelaufen. Und das in Berlin, worüber ich sehr glücklich war. Denn ich habe die Startberechtigung in der Lotterie gewonnen. Man muss sich ja bewerben. Und ich habe Glück gehabt.

Welche Zeit sind Sie in Berlin gelaufen?

Ich wollte unter vier Stunden bleiben, was mir nicht ganz gelungen ist. Aber es ging mir auch weniger um die Zeit als viel mehr um das Erlebnis mit rund 50.000 Läufern aus 150 Ländern und einer Million Menschen am Straßenrand, die einen anfeuern. Das war schon irre.

Für Glaubitzer, die nicht in die Kirche gehen, bleiben Sie auch als Initiator des Neujahrsschwimmens in Erinnerung. Wie kam es dazu?

Ich beschäftige mich seit ein paar Jahren mit Atemübungen und kaltem Duschen. Zuerst habe ich das für mich gemacht und gemerkt, wie gut mir das tut. Ich war seitdem kaum krank und auch meine Laune ist enorm gut. Dann habe ich auch Sebastian Kneipp für mich entdeckt. Wasser hat ja durchaus einen heilenden Effekt, den die alten Ägypter schon kannten und Kneipp in seine Heilkuren aufnahm. Und das wollte ich an die Glaubitzer weitergeben und habe für das erste Neujahrsschwimmen auch gleich Leute aus dem hiesigen Kulturverein und der Feuerwehr begeistern können, wofür ich sehr dankbar bin.

Apropos Sebastian Kneipp. Er war auch Pfarrer und wirkte 40 Jahre im heutigen Bad Wörishofen. Warum gehen Sie schon jetzt?

In Sachsen sollen evangelische Pfarrer in der Regel alle zehn Jahre den Arbeitsplatz wechseln. Bei mir sind es zwar etwas mehr als neun Jahre, aber die Gelegenheit war günstig. Unsere Kinder sind noch in der Grundschule, da ist ein Ortswechsel zumutbar. In der Pubertät ist es schwieriger. Außerdem hatte ich eine Anfrage, die man sicherlich nicht zweimal bekommt.

Und vor allen Dingen ist es Fügung. Denn vor drei Jahren waren wir im Bereich Riesa noch drei Pfarrer von eigentlich sechs Pfarrstellen. Mittlerweile haben wir in Riesa, Strehla und Zeithain vier neue Pfarrerinnen und Pfarrer dazubekommen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich die Anfrage aus Radebeul nicht angenommen. Von daher sehe ich es auch als göttliche Fügung, die neue Pfarrstelle antreten zu können.

Was werden Sie vermissen?

Das Haus, den Garten, den Wald. Aber vor allem die Menschen.

Mit Ihrer unkomplizierten Art haben Sie Leute erreicht, die vorher mit Kirche überhaupt nichts am Hut hatten.

Das hoffe ich. Ich habe mich jedenfalls bemüht, Grenzen zwischen denen, die zur Kirchgemeinde gehören, und denen, die nicht dazugehören, zu überwinden. Diese Trennung zwischen Schafen und Böcken hat mir nie richtig eingeleuchtet. Ich bin Pfarrer für alle Menschen. Sie sind mir anvertraut, egal ob sie dafür empfänglich sind oder nicht. Das liegt sicher auch daran, wie ich ihnen begegne. Ich bin der Ansicht, wenn ich auf jemanden freundlich zugehe, dann kommt auch Freundlichkeit zurück.

Worauf freuen Sie sich in Radebeul?

Die Friedenskirche in Kötzschenbroda ist natürlich von historischer Bedeutung. (Anm. d. Red.: Hier wurde am 27. August 1645 zwischen Sachsen und Schweden der Waffenstillstand von Kötzschenbroda geschlossen, der für Sachsen das vorzeitige Ende des Dreißigjährigen Krieges bedeutete.) Aber es gibt hier auch eine sehr lebendige Kirchgemeinde, auf die ich mich schon sehr freue.

Werden die Themen in der "Stadt der Millionäre" andere sein als auf dem Dorf?

Das kann schon sein. Das werde ich erleben. Aber das Hauptthema bleibt am Ende das gleiche: befreit leben und getrost sterben. Daran ändert sich nichts. Trotzdem muss ich natürlich sehen, was bei den Leuten ankommt. Da ist unsere biblische Sprache einerseits sehr reich an Bildern und andererseits auch etwas verstaubt. Sie muss immer wieder neu ins heutige Leben übersetzt werden. Da gibt es sicherlich Unterschiede zwischen Glaubitz und der schönsten Vorstadt Dresdens. Den richtigen Schlüssel zu den Herzen der Menschen zu finden, ist aber hier wie dort die gleiche Herausforderung.

Was ist bei den Menschen in Glaubitz angekommen?

Dass Kirche Spaß macht. Das hat mir vor Kurzem jemand gesagt. Das empfand ich als ein sehr schönes Kompliment.

Wie soll es im Glaubitzer Pfarrhaus weitergehen? Gibt es schon die Aussicht auf einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin, was ja für Glaubitz ein Novum wäre?

Die hiesige Pfarrstelle soll auf jeden Fall wieder ausgeschrieben werden. Da bin ich dem Kirchenbezirk sehr dankbar. Die Bedingungen in Glaubitz bieten sich auch an. Für eine junge Familie ist es hier nahezu ideal - mit dem Pfarrhaus, dem großen Grundstück, dem Kindergarten und den Menschen, die uns damals sehr freundlich und offen aufgenommen haben.